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Zentralasien wächst auseinander (1/2)

Seit ihrer Unabhängigkeit entwickeln sich die fünf zentralasiatischen Staaten zunehmend auseinander. Das sowjetischen Erbe weicht dem Nationalismus und stellt eine "Schicksalsgemeinschaft" mehr denn je in Frage.

panpietch 

Redigiert von: daniela

Karte Zentralasien
Karte Zentralasien

Seit ihrer Unabhängigkeit entwickeln sich die fünf zentralasiatischen Staaten zunehmend auseinander. Das sowjetischen Erbe weicht dem Nationalismus und stellt eine „Schicksalsgemeinschaft“ mehr denn je in Frage.

Ende 1993, also nur zwei Jahre nach dem Erscheinen der fünf zentralasiatischen Staaten (Usbekistan, Kirgistan, Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan) auf der politischen Landkarte, sagte „The Economist“ voraus, dass diese Region im Laufe des folgenden Jahrzehnts zu einer der instabilsten der Welt werden würde. Obwohl die Entwicklung dieser jungen unabhängigen Staaten seitdem gewiss alles andere als reibungslos voran schritt, zeigt sich weder eine dramatische Instabilität noch ein generalisiertes Chaos. Bei Krisen und Bedrohungen hat das postsowjetische Zentralasien Rückgrat bewiesen.

In der Vergangenheit trafen in der Region immer Reiche und Welten aufeinander (eurasische Steppen, Persien, Indien, China, Russland, und sogar die griechische Welt); und so ist es auch heute noch. Trotz seiner Vielfalt besitzt Zentralasien jedoch eine „starke historische Persönlichkeit“ (1). Außerdem kann auch  das Xinjiang (oder orientalische Turkestan, das von den Uiguren bevölkerte Territorium) zum zentralasiatischen Raum gezählt werden.

Nationalismus fördert Desintegration

Die Erfahrungen russischer Kolonialisierung und siebzig Jahre Sowjetismus haben paradoxerweise dazu beigetragen, dass die zentralasiatischen Länder heute miteinander vergleichbar sind. Und das, trotz all der neuen Identitäten, Grenzen und Abgrenzungen, die der Region ihre heutige Form verleihen. Den Unabhängigkeitserklärungen 1991 folgte ein wachsender Nationalismus, der bis heute anhält. Er bedeutete das Ende des einst gemeinsamen, sowjetischen Daches und verbreitert zunehmend die heutigen Risse zwischen den verschiedenen Republiken.

Presidents SCO

Die sowjetische Vergangenheit und das kulturelle Erbe der Region sollte als Bindeglied dienen, doch selbst diese Vergangenheit wird für nationalistische Streitigkeiten instrumentalisiert: „Die Gegenwart Zentralasiens ist immer mehr von der Distanz [zwischen den Staaten] gezeichnet. Dies Betrifft sowohl die verschiedenen inneren sozio-politischen Erfahrungen jeder der Republiken, wie  auch ihre Probleme und geopolitischen Repräsentationen.“ (2)

Kann demnach noch von „einem“ Zentralasien die Rede sein? Wie haben die Unabhängigkeitsbewegungen und die Globalisierung (bis jetzt) die Entkopplung anstatt die Integration gefördert?

1991-2005: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Zwischen 1992 und 1997 erlebt Tadschikistan einen komplexen Bürgerkrieg mit politischen, regionalen und ethnischen Ursachen. Und doch zeichnet dieser Krieg auch die erste Abkoppelung des einzigen persischsprachigen Landes der Region, da er neben dem Trauma, dass er hinterlassen hat (20000 bis 100000 Tote, je nach Quellen) auch in Interaktion mit den Ereignissen im Süden des Pjandsch, in Afghanistan stattfand. Dieser blutige Krieg und die Einnahme Kabuls durch die Taliban bilden noch heute reale Ängste, sind aber gleichzeitig auch ein Vorwand zur Verhärtung aller Regime nach usbekischem Vorbild (man muss bemerken, dass dieses Land 1999 und 2004 mehrmals von terroristischen Attentaten getroffen wurde). Folgend einem Schema, das es schon in der arabischen Welt gegeben hat, präsentieren sich die Autoritäten als letzter Schutzwall gegen den Fanatismus und legitimieren so ihre politische Verhärtung. Dieser internen Entwicklung folgt eine externe, da der verstärkte Sicherheitsdiskurs ebenfalls Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Regionen hat.

In diesem Kontext leidet die Region, die  auch mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat (In Tadschikistan etwa leben noch 46% der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze, und 34% in Kirgistan)(3), unter einem vergifteten politischen Klima: Dissidenten werden ins Exil getrieben oder ermordet, Gewerkschaften und Vereine sind fast immer von der Zentralmacht infiltriert (außer in Kirgistan), und die Muslime, die als „zu gläubig“ angesehen werden, oder die von der Sowjetunion geerbten Strukturen des offiziellen Islam nicht anerkennen, werden misshandelt und teilweise sogar eingesperrt.

„Korruption auf höchster Ebene“

Auch die flächendeckende Korruption ist eine weitere Gemeinsamkeit zwischen all diesen Ländern. Dabei handelt es sich auch um eine Korruption auf höchster Ebene, die zeigt, dass sich die Präsidenten, ihre Familien und/oder mehr oder weniger erweiterte Klans und Netzwerke sowohl die Machtpositionen als auch die wirtschaftlichen Ressourcen der Staaten angeeignet haben (die Familien der Präsidenten Akajew und Bakijew in Kirgistan, Karimow in Usbekistan, Nasarbajew in Kasachstan, usw.). Das alles ist nur ein Zeichen eines tiefgreifenden Phänomens: erkennbar am jüngsten Ranking der NGO Transparency International. Kirgistan steht dort als 150. von 177 Ländern, Tadschikistan als 154., Turkmenistan und Usbekistan stehen gemeinsam auf dem 168. Platz.

Obwohl die eingeschlagenen Wege der verschiedenen Länder bei weitem nicht identisch sind, ist dieser Autoritarismus in den Regionen politische Realität. Diese Regime verschlechtern die Kooperation und verstärken nur das stetige Auseinanderdriften (auf einer nationalistischen Grundlage) der verschiedenen zentralasiatischen Staaten.

Panpi Etcheverry

Absolvent des französischen Instituts für internationale und strategische Beziehungen (IRIS)
Autor für Francekoul.com (Novastan.com)

Aus dem Französischen übersetzt von
Florian Coppenrath und Daniela Neubacher

Quellen

1. FOURNIAU V., Histoire de l’Asie centrale, Que sais-je ?, PUF, Paris, 1994, p. 4

2. DAMIANI I., Géopolitique de l’Asie centrale, PUF, Paris, 2013, p. 118

3. DAMIANI I., Géopolitique de l’Asie centrale, PUF, Paris, 2013, pp. 107-110

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