Bei dem Wort „Marxist“ schießt einem das Bild eines alten, griesgrämigen Philosophen in den Kopf. Georgi Mamedow ist ist jedoch anders. Er ist jung, progressiv und kleidet sich wie ein Hipster. Georgi Mamedov überführt die Theorie des Marxismus in die Gegenwart und begegnet der Realität mit den Waffen der Kunst und des kritischen Denkens.
Georgi Mamedow, geboren 1984 in Duschanbe, Tadschikistan, ist derzeit künstlerischer Leiter der Schule für Theorie und Aktivismus in Bischkek (STAB). Außerdem ist er Kurator, Kunstkritiker und Autor von Texten über die zeitgenössische Kunst und Kultur Zentralasiens. Von 2007 bis 2009 war er Leiter der Kulturinitiative „Bactria Cultural Cenre“ in Duschanbe. Als Co-Kurator gestaltete er den Pavillon von Zentralasien auf der 54. Biennale von Venedig und kuratierte das zentralasiatische, interdisziplinäre Projekt „Artist and/in Community“ (2010-2011). Seine Interessenschwerpunkte liegen im Bereich der Kulturtheorie und -geschichte, Gegenwartsphilosophie und Kulturpolitik.
Im Interview mit Novastan spricht er über Konflikte, kritisches Denken, zeitgenössische Kunst und die Ziele der Kunstinitiative STAB.
Was ist der allerschwerste innere Konflikt, den sie je durchleben mussten?
Das menschliche Dasein besteht eigentlich aus ständigen Konflikten. Das Existieren unter den Bedingungen der Realität, in der wir uns befinden – sie ermöglicht dir kein anderes Dasein als jenes im Konflikt. Ich kann nicht sagen, dass es bei mir einen inneren Konflikt gebe, der sich aufgelöst hat. Mein gesamtes Dasein besteht aus diesem… (nachdenklich)… ich würde sagen Widerspruch. Und in seiner aktiven Phase ist das ein Konflikt.
Und wie hängt das mit der Haltung zur Welt zusammen?
Bei einer kritischen Position begibst du dich unvermeidbar in einen Konflikt mit deiner dich umgebenden Wirklichkeit, einfach weil du siehst, wie widersprüchlich, wie repressiv sie ist. Ja, man kann sagen, dass du mit einer linken, kommunistischen Haltung stets im Konflikt mit deiner Umwelt stehst. Ebenso befindest du dich als Feministin in einem steten Konflikt mit der patriarchalen Realität. Das heißt, diese Spannungen lassen sich auf keinen Fall vermeiden, weil du in dem jeweiligen System unterdrückt bist. Hier muss ich sagen, dass dies Raum für Spekulationen gibt. Die Leute meinen: „All diese Feministinnen und Kommunisten da können keine Harmonie erreichen“, aber eigentlich befinden wir uns alle, als Unterdrückte, in einem ständigen Konflikt mit der Realität. Die Sache ist, wenn du eine kritische Position einnimmt, dich politisiert, dann machst du das offenkundig, erkennbar, und du verstehst, dass du dich bereits im Konflikt befindest und nicht erst in ihn hineinbegibst. Damit erkläre ich mit einfachen Worten die Theorie des Marxismus (lacht). So ist mein Dasein, konfliktbeladen.
So kam es, dass Georgi sich fast unmittelbar nach seinem Umzug nach Bischkek in einen Konflikt mit Bischkeker Künstlern hinein manövriert hat. Ihm zufolge ist Kunst, insbesondere in Zentralasien, uninteressant und nicht aktuell, mit anderen Worten: unmodern.
Was ist Ihrer Meinung nach aktuell?
Zum Beispiel verhalte ich mich, wie auch zeitgenössische Künstler, zur Kunst nicht wie zu einem Handwerk. In der Kunst sein bedeutet, irgendeine aktive Position einzunehmen: eine politische Position als Bürger. Wenn du dich als zeitgenössischen Künstler bezeichnest, bedeutet dies, dass du dich der traditionellen Kunst und allem was damit verbunden ist, entgegenstellst: ihren Verbindungen mit dem Staat und der Politik, die in diesem Staat ausgeübt wird. Und du, als zeitgenössischer Künstler, bist in einer gewissen Weise Protestant. Aber mir scheint es, als hätte sich ein solcher Konflikt schon lange erschöpft. Dem Großteil der jungen Generation scheint es an der nötigen Kritikalität zu mangeln, um die eigene Rolle in dem politisch-wirtschaftlichen System bewerten zu können, bei dem sie mitmachen. Wir können von der Naivität eines Kindes gerührt sein, aber es ist merkwürdig, sich von der Naivität eines Erwachsenen rühren zu lassen. Die Naivität erwachsener Leute erzeugt keine Rührung, sondern Verärgerung und Ablehnung. Die Naivität erwachsener Leute, die meinen, sie würden sich mit purem Schaffen befassen und sich keine Gedanken machen, die nicht reflektieren und nicht versuchen, die Bedingungen ihres Daseins in dem Projekt, das sich Kunst nennt, zu verstehen, rührt mich jedenfalls nicht.
Was würden Sie Künstlern – im weitesten Sinne des Wortes – antworten, die das Land verlassen und sich damit rechtfertigen, dass man hier nicht künstlerisch tätig sein darf, keine bürgerschaftliche Position beziehen kann und nicht verstanden wird?
Wieso sollte ich nur eine Sekunde meiner Zeit und Energie an die Kommunikation mit Leuten verschwenden, die solcher Meinung sind. Ich habe nicht die Absicht, auf die Einstellung solcher Leute Einfluss zu nehmen. Ich habe nicht das Ziel, ein ideologischer Agitator zu sein und das Bewusstsein irgendwelcher konkreten Leute zu ändern. Dass wir versuchen, das öffentliche Bewusstsein zu ändern, ist eine andere Angelegenheit. Wir versuchen nicht, Leute mit einem Glauben zu einem anderen Glauben zu überreden. Damit hab ich mich nie befasst. Das interessiert mich nicht und ich halte es nicht für effektiv.
Sie versuchen vor allem, Leuten kritisches Denken beizubringen.
Ja, aber nur jenen Leuten, die zu uns kommen und die dies wollen. Das Anliegen von „STAB“ ist, eine Möglichkeit zu schaffen, um auf verschiedenen Ebenen, kritisch mit der Realität zu interagieren. Wir rufen diese Möglichkeiten für uns als Kulturschaffende ins Leben, für kritische Gedanken, ob verbaler oder nichtverbaler Art. Für Leute, die mit Bildungsprogrammen zu tun haben, versuchen wir Bedingungen für die komplizierte Wirklichkeit der Kritik zu schaffen.
Was ist die unsinnigste Äußerung über STAB, die Ihnen je zu Ohren gekommen ist?
Heutzutage begegnen die Leute STAB und seinen Aktivitäten recht angemessen. Es gibt nichts an unserem Publikum auszusetzen. Wir haben nicht das Gefühl, dass die Leute uns nicht verstehen. Mittlerweile sind wir seit zweieinhalb Jahren aktiv und die Leute begreifen, dass STAB eine Institution ist, die einen gewissen kritischen Blick von Links bietet. Und so gibt es bezüglich unserer Aktivitäten auch keine unangemessenen und unsinnigen Ungereimtheiten mehr.
Reagieren Leute, die über eure Zusammenarbeit mit LGBT-Organisationen erfahren nicht negativ?
Kann sein, dass jemand denkt: „Normale würden sich nicht mit Schwuchteln beschäftigen“, aber uns hat noch niemand so etwas gesagt und ich habe noch nie erlebt, dass einer der Leute, mit denen wir in Kontakt sind, sich homophob verhält. Wenn man den Tatsachen ins Auge sieht, dann würden die Leute STAB aber vermutlich mehr mögen, wenn wir uns nicht mit diesem Thema beschäftigen würden.
Wie kann zeitgenössische Kunst gegen nationalistische und homophobe Aggressionen ankämpfen?
Man kann dagegen auf jeglicher Sphäre ankämpfen und eine aktive bürgerschaftliche Position einnehmen: in der Kunst, der Bildung. Jegliche Aktivität kann eine bewusste und politische sein, ganz zu schweigen vom Journalismus. In dieser Hinsicht hebt sich die Kunst nicht ab. Ein Künstler oder eine Künstlerin kann seine Funktion bewusst einsetzen, also auf das reagieren, was geschieht. Eine andere Sache ist, dass Kunst natürlich ihre eigenen Besonderheiten und Ressourcen, also auch materielle Ressourcen hat. Wenn man zum Beispiel STAB nimmt, dann ist das eine Organisation, die ihre Finanzierung hat und wir finden, dass man eine Finanzierung braucht, um über solche Sachen reden zu können. Die Kunst hat ein Repertoire an eigenen Fertigkeiten, Empfindungen, Kräften – sie hat die Fähigkeit, über bestimmte Grenzen der Vernunft hinaus zu wirken und kann so als Waffe und Werkzeug eingesetzt werden. Auf diese Weise kann man arbeiten und versuchen, diese Eigenheiten der Kunst in den Dienst jenes politischen Kampfes zu stellen, mit dem sich Künstler und Künstlerinnen solidarisieren.
Worin besteht Georgi Mamedows kuratorische Mission im Kampf gegen die Banalität?
Die Banalität ist unbesiegbar. Wieso mit ihr kämpfen? (lacht) Ich habe zurzeit keine Mission, die abgesondert von der Institution ist, mit der ich zurzeit zusammenarbeite. Das kann man als seltene Gelegenheit ansehen, bei der es keine entfremdete Arbeit gibt und das Individuelle kollektiv ist. In diesem Sinne kann ich mich nicht als professionelle Einheit von STAB absondern. Meine Ziele, meine Mission, fällt mit dem zusammen, was STAB macht. Das bedeutet, wie ich bereits sagte, Bedingungen für eine kritische Interaktion mit der Wirklichkeit zu schaffen. Ich möchte, dass meine Arbeit darauf ausgerichtet ist, den verschiedenen Menschen, mit denen wir interagieren, eine kritische Sichtweise zu ermöglichen.
Und zum Schluss drei Bücher, die man als zeitgenössischer Künstler lesen sollte?
„Manifest der Kommunistischen Partei“ von Marx und Engels, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von Benjamin und „Avantgarde und Kitsch“ von Greenberg. Das sind keine Bücher, sondern kleine Texte.
Das Interview führte Dschamilja Dandibajewa
Autorin für Novastan.org, Bischkek
Aus dem Russischen übersetzt von Sofia Tscholakidi