Die Handelsbeziehungen Russlands und Kasachstans stehen an der Schwelle zur Einführung eines Lieferverbots für eine breite Palette an landwirtschaftlichen Produkten. Auch wenn die Sanktionen wahrscheinlich einen bedeutend höheren Verlust für die russischen Hersteller bedeuten, sucht das Nachbarland Kasachstans den Konflikt. Es bleibt die Frage: Wozu all das? Informburo.kz hat sich informiert, was der Grund für den schwelenden Handelskrieg sein könnte. Novastan gibt den Artikel in übersetzter und gekürzter Form wieder.
Zweifel an der Objektivität der Entscheidung der russischen Regierung kommen auf, wenn man die vorausgehende Entwicklung der Ereignisse betrachtet. Als Beispiel sei auf den großen Skandal um die Oraler Firma „Kubley“ verwiesen. Der russische Aufsichtsdienst für Veterinärwesen und Pflanzenschutz stellte im September eine erhöhte Menge an Cadmium in einem Fleischkonservenprodukt fest. Die Laborwerte der russischen Seite zeigten dabei 0,18mg pro Kilogramm des Endproduktes, nach der entsprechenden technischen Norm ist für Trockenkonserven jedoch ein Cadmiumgehalt von bis zu 0,3mg zulässig. Deshalb sieht sich der Hersteller aus Oral keiner Grenzwertüberschreitung schuldig.
Alles nur Verbraucherschutz?
Möglich ist, dass die kasachstanischen Konserven von der russischen Seite „verwechselt“ und nicht als Innereien, sondern als vollwertige Fleischkonserven betrachtet wurden. Für diese liegt der zulässige Höchstwert des Cadmiumgehalts bei nicht mehr als 0,05mg pro Kilogramm. Wenn man das kasachstanische Produkt in dieser Weise klassifiziert, hat die russische Regierung Recht. Momentan warten die Juristen der Firma „Kubley“ auf offizielle Dokumente. Man ist überzeugt, dass der Betrieb, welcher auch in Grenzregionen Russlands exportiert, in jedem Fall eine ernsthafte Rufschädigung in Kauf nehmen muss.
Ende September fand die russische Lebensmittelaufsicht den nächsten Grund, um den Export von kasachstanischen Lebensmitteln nach Russland zu verhindern. Am Grenzpunkt „Karausek“ zwischen den wurden Lieferungen kasachischer Kartoffeln und Honigmelonen zurückgewiesen. Der offizielle Grund: „Die Produkte wurden von Herstellern eingeführt, welche sich nicht in der Liste der Hersteller befanden, die pflanzliche Produkte aus Kasachstan in die Russische Föderation exportieren.“
Nach Angaben des kasachischen Landwirtschaftsministeriums existiert eine solche Liste von Herstellern nicht. Und selbst wenn sie von russischer Seite bestünde, hätte sie keinerlei juristische Kraft. Die offizielle Position der kasachstanischen Regierung ist klar: „Nach den rechtsgültigen Beschlüssen der Eurasischen Wirtschaftsunion ist für den Bereich der Pflanzenquarantäne keine Einführung eines Registers der Hersteller vorgesehen, welche pflanzliche Produkte exportieren“. Damit übertritt die Russische Föderation die Rechte des Handelsbundes und die Entscheidung der Eurasischen Wirtschaftskommission.
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Die kasachstanische Seite behielt sich sogar das Recht vor, bei der Wirtschaftskommission Beschwerde einzulegen, da eine Schädigung der internationalen Handelstätigkeit besteht. Vorerst erhielten die Russen jedoch eine direkte Antwort: Am 1. Oktober wies die kasachstanische Seite zwei Transporte mit Kartoffeln und Sonnenblumen an der Grenze ab. Der formale Grund: Das Fehlen eines pflanzensanitären Zertifikats. Darüber hinaus kündigte die kasachstanische Seite eine Einführung von Spiegelmaßnahmen im Rahmen der Gesetzgebung der Eurasischen Wirtschaftsunion an.
Kehrt vor eurer eigenen Tür
Einer der Hauptkritikpunkte der russischen Aufsichtsbehörde war das gegenseitige Missverständnis bei der geplanten Fusion der Datenbanken der Veterinärkontrollen beider Länder. Das kasachstanische Programm, mit dessen Hilfe man das Schicksal einer Kuh bis hin zur fertigen Wurst auf dem Ladentisch nachverfolgen kann, wurde 2010 eingeführt. Im Zusammenhang damit wurde auch der Viehbestand landesweit registriert, was unter anderem dazu führte, dass eine Million „Fake-Kühe“ entdeckt wurden, die nach der Zuweisung individueller Nummern für jedes Tier nicht gefunden werden konnten.
Seit ein paar Jahren fordert das kasachstanische Kontrollsystem bereits von heimischen Tierärzten, alle Dokumente ausschließlich in elektronischer Form auszufüllen. Die russische Seite besitzt einen Online-Zugang zum kasachischen System zur Kontrolle relevanter Nachweise seit Mai 2016. Die Russen selbst führten erst am 1. Juli 2018 die verpflichtende elektronische Zertifizierung bei sich ein. Am 26. September, inmitten des Landwirtschaftsskandals, vereinbarten beide Seiten die vollständige Fusion der Datenbanken und Systeme beider Länder bis Oktober 2019. Wie das Landwirtschaftsministerium der Republik Kasachstan angibt, ist die kasachische Seite bereit, die an sie gestellten Forderungen bereits bis Mai zu erfüllen, die Russen schaffen ihre Arbeit jedoch aus verschiedenen Gründen nur bis Oktober 2019.
Die Beschuldigungen der russischen Aufsichtsbehörde, Kasachstan würde die festgelegten Termine zur Vereinigung der beiden Kontrollsysteme nicht einhalten, erklärte das Landwirtschaftsministerium folglich für grundlos. Die kasachstanische Seite hatte im Gegenteil über das russische Programm nicht einmal die Möglichkeit, Genehmigungen einzusehen, thematisierte dies jedoch nicht öffentlich. Möglicherweise ist der Konflikt um die Informationssysteme beider Länder auch nur ein vorgeschobener.
Wer leidet unter dem Konflikt?
Die Beziehungen Kasachstans und Russlands im Agrarbereich sind alles andere als einfach. 2017 führten die Russen Produkte der Agrarindustrie im Wert von 1,3 Milliarden US-Dollar nach Kasachstan ein, in die andere Richtung flossen Produkte im Wert von 287 Millionen. Kasachstan ist für Russland folglich eher als Absatzmarkt interessant. Das Land steht nicht einmal unter den Top 10 der Importländer von Agrarindustrieprodukten für Russland, doch für Kasachstan ist der Import landwirtschaftlicher Produkte aus Russland genauso wichtig wie der von Produkten aus Usbekistan, Afghanistan und China. Trotz ernsthafter Versuche, eine vollständige Produktionsunabhängigkeit zu erreichen, ist der kasachstanische Markt kaum ohne Waren „Made in Russia“ zu denken. Beide Seiten verstehen, was das heißt: Russland dominiert im Agrarbereich.
Was das bedeutet, musste Kasachstan nach der Einführung der russischen Sanktionen auf Produkte aus der EU und anderen Ländern erfahren. Seit 2014 werden Unionspartner wie Weißrussland, Kasachstan und Kirgistan immer wieder von russischer Seite beschuldigt, durch den Reexport sanktionierter Produkte zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Während man dies im Falle von Minsk für Produkte wie Krabbenfleisch und Lachs mehrmals offiziell nachweisen konnte, bestehen in Bezug auf Kasachstan so gut wie keine Beweise.
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Das hinderte die russische Aufsichtsbehörde jedoch nicht, an der kasachischen Grenze vor ein paar Jahren sogenannte Vorbescheidspunkte für veterinäre und pflanzensanitäre Kontrollen einzurichten – und das trotz offenem Markt und, zumindest formell, offener Grenzen. Ein paar Jahre nutzt Russland nun schon diese 32 Grenzpunkte als Druckhebel gegenüber seinen Partnern.
Vielleicht ist alles ganz einfach…
Rachim Oschabajew, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des Zentrums für angewandte Forschung „Talap“, vertritt die Ansicht, dass der aktuelle Konflikt nicht politisch motiviert ist: „Ich kenne nicht die genauen Gründe für diesen Konflikt und kann nur vermuten, dass das, was momentan geschieht, möglicherweise das Werk einer Lobby von russischen Playern aus der Agrarindustrie ist. Hier geht es ganz bestimmt nicht um Politik“, meint Oschakbajew. „Ich sehe keinerlei Gründe, warum man irgendwelchen Druck auf uns ausüben sollte. […] Offensichtlich zieht die russische Agraraufsichtsbehörde Nutzen aus einer Verschärfung der Situation an der kasachischen Grenze. Und irgendjemand von dieser Seite könnte seine amtlichen Interessen höher als die politischen Interessen seines Landes stellen.“
Wenn die russische Aufsichtsbehörde nicht bald ihre Aktivität an der Grenze einstellt, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Kasachstan sich zu deutlichen Spiegelmaßnahmen entschließt. Nutzt der Nachbar aus dem Norden also momentan Grenzpunkte für die veterinäre und pflanzensanitäre Kontrollen, so ist es durchaus denkbar, dass zu Beginn des nächsten Jahres analoge Kontrollen von kasachstanischer Seite aus eingeführt werden.
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Nach Angaben des kasachstanischen Landwirtschaftsministeriums sind momentan28 Einheiten in sieben an Russland grenzenden Regionen geplant. Das würde eine Angleichung an die Verhältnisse auf der russischen Seite der Grenze bedeuten, wo momentan 32 Punkte existieren, verteilt auf die 11 angrenzenden Oblaste. Der Vorsteher der Fraktion „Volkskommunisten“ im Maschilis (Unterhaus d. kasach. Parlaments, Anm. d. Red. ) Ajkyn Konurow betont, dass vor der Einführung von entschiedenen Spiegelmaßnahmen nicht zurückzuschrecken ist:
„Wir sehen, welches Volumen an russischem Import auf unseren Markt schwemmt, und die andere Seite weiß auch nur zu gut, dass sie ein Interesse an unserem Markt hat. […] wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Rechte einzufordern, werden wir auch weiterhin solche Unannehmlichkeiten ertragen müssen – ob von Seiten der russischen Aufsichtsbehörde, des russischen Zolldienstes oder anderer Ämter. Wir müssen Zähne zeigen, schließlich wird eine gerechte Kooperation vorgeschlagen, sie würden ja potenziell um einiges mehr verlieren. Man muss antworten – hart, aber im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen. Im Idealfall will auch Kasachstan nicht den russischen Markt verlieren, aber wenn man uns aufgrund von Lobbyarbeit oder aus anderen Gründen einschränkt, dann muss eine starke Antwort gegeben werden.“
Sergej Dankwerts persönliche Interessen
Nicht zu übersehen ist die Tatsache, dass Sergej Dankwert, seit 2004 Vorsitzender der russischen Agraraufsichtsbehörde, die Situation zum persönlichen Vorteil nutzen kann. Dankwerts Name tauchte in den 14 Jahren seiner Arbeit beim Föderalen Aufsichtsdienst für Veterinärwesen und Pflanzenschutz der Russischen Föderation in mehreren Korruptionsskandalen auf. 2017 sendete die russische Abteilung von Transparency International eine Anfrage an die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.
Laut den öffentlich zugänglichen Informationen stand Sergej Dankwert in einem Interessenskonflikt: In seinem Besitz befanden sich Anteile großer Agroholdinggesellschaften, obwohl er in seinem Amt im Grunde die gesamte Agrarindustrie des Landes kontrollierte. Ein Interessenskonflikt konnte von Seiten der Staatsanwaltschaft dennoch nicht festgestellt werden. Die Ermittlungen diesbezüglich hatten vor dem Hintergrund der öffentlichen Beschuldigung Dankwerts von Seiten des Präsidenten Weißrusslands stattgefunden. Lukaschenko vermutete persönliche Interessen Dankwerts hinter dem Einfuhrverbot weißrussischer Produkte.
Wie geht es weiter?
Noch schweigen die Vertreter der kasachstanischen Regierung, geäußert haben sich bislang nur Abgeordnete des Maschilis. Das Abweisen einiger russischer Lastwagen an der Grenze ist eher schöne Geste, als entschiedene Maßnahme. Aber die Pläne der Einrichtung von 28 Kontrollpunkten auf kasachischer Seite ab Januar 2019 sind ernst zu nehmen. Sollte es so weit kommen, wird die eurasische Zusammenarbeit ein weiteres Mal in Frage gestellt. Trotz der gegenseitigen Versicherungen und der Vereinigung der nationalen Datenbanken, trotz Festlegung der Spielregeln und einem allgemeinen Interesse an einem geeinten Markt, werden die Partner der Eurasischen Wirtschaftsunion auf diese Weise nichtmarktwirtschaftliche Mechanismen und Druckmittel gegeneinander gebrauchen. Zur gleichen Zeit suchen kasachische Hersteller aktiv nach alternativen Absatzmärkten. Das ist am Ende eines Finanzjahres nicht leicht, doch viele sehen keinen anderen Ausweg mehr.
Aus dem Russischen von Katharina Kluge
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