In Bischkek fand letzten Herbst die Ausstellung „А4: Frau, Dorf, Kunst, Aktivismus“ statt (auf Kirgisisch Ajal, Ajyl, Art, Aktiwizm). Dort wurde Kunst gezeigt, mit der Frauen vom Land ihre Probleme vermitteln. Die Feministin und Aktivistin Rada Galkina hat die Ausstellung besucht und in der Rubrik „Meinung“ der Website Kloop.kg über die angesprochenen Probleme erzählt. Wir veröffentlichen den Text mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Durch Kunst drücken Frauen vom Land aus, mit welchen alltäglichen Probleme sie kämpfen. Diese Probleme sind oft unsichtbar für die Personen, die Entscheidungen treffen, da sie meistens Männer sind. Die Ausstellung der Werke der Frauen auf dem Land namens „А4“ schreien heraus, was Frauen normalerweise verschweigen.
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Begrenzter Zugang zu sauberem Trinkwasser
Füllen Sie zwei Eimer mit Wasser und laufen Sie zwei hundert Meter. Das ist die Strecke von vielen Einwohnerinnen des Dorfs Togolok Moldo, vom Wasserhahn bis zu der Tür ihres Hauses. Diese Strecke legen die Frauen mehrmals am Tag zurück.
Ich habe diese Strecke einmal durchgemacht und am Ende fielen meine Hände fast ab. Das ist in der Tat eine schwere Arbeit und die Männer können sie nicht einschätzen, da die Wasserträger meistens Frauen und Kinder sind.
Laut den Angaben des Amtes für die Wasserversorgung haben 1,5 Millionen Einwohner Kirgistans in 396 Dörfern keinen Zugang zum sauberen Trinkwasser. Das Ministerium für das Gesundheitswesen meldet, dass die Folgen der Krankheiten, die durch das unsaubere Wasser entstehen, das Land mehr als vier Milliarden kirgisische Som kosten. Jedes Jahr werden etwa 30.000 Fälle von akuter Darminfektion registriert.
Mangel an Straßen und öffentlicher Verkehrsmittel
In Kirgistan kann man merken, dass Straßen für Autos gebaut werden. Die Regierung baut in den meisten Dörfern keine Gehwege. Selbst in vielen neuerrichteten Vierteln laufen Kinder auf der Fahrbahn von der Schule zurück nach Hause und spielen auch dort.
Komfortable öffentliche Verkehrsmittel sind in unserem Land ein unerfüllter Traum. Die Männer auf dem Lande denken nicht an den Mangel der Gehwege für die Fußgänger, da sie entweder mit dem Auto oder auf dem Pferd unterwegs sind. Das Problem der schlechten Straßen ist das Problem der Frauen, die jeden Tag große Strecken zu Fuß zurücklegen, oft auch mit ihren Kindern.
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Mangel an qualifizierter medizinischer Versorgung
Wodka, Rasierklinge, Betttuch und Gummihandschuhe sind die einzigen Mittel der Geburtshelferin zu Hause. Man benutzt die Gummihandschuhe für die Fixierung der Nabelschnur bevor man sie durchtrennt.
Der Mangel an Zugang zu medizinischen Einrichtungen im Dorf Kamyschanowka in der Nähe von Bischkek führte zur Gründung des informellen Instituts der Hebammen. Die Frauen müssen einander Geburtshilfe leisten und das ist gar nicht romantisch.
„Als ich zum ersten Mal Geburtshilfe leistete, war ich 38 Jahre alt. Bei uns sind Hausgeburten ganz normal. Aber das sollte nicht so sein. Bei der Geburt können Komplikationen entstehen, die nur mittels medizinischer Instrumente gelöst werden können, die wir nicht haben. Schrecklich, daran zu denken. Ich möchte so was nicht erleben“, sagt Fatima Kamschybekowa, eine der Hebammen des Dorfes.
Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation liegt Kirgistan an der Spitze der Müttersterblichkeit unter den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropa. Auf 100.000 geborene Kinder kommen 76 gestorbene Mütter. Das ist 11 Mal mehr als in Belarus, 3,7 mal mehr als in Kasachstan und 2,5 mal mehr als in Usbekistan.
Wodka und Arbeitslosigkeit
Alkoholismus unter Männern ist eine Folge der Arbeitslosigkeit in den Dörfern. Die Einwohnerinnen finden, dass Alkoholsucht bei Männern ein wichtiger Grund für häusliche Gewalt ist.
„In jedem Haushalt gibt es Gewalt. Wir leben damit“, gestehen die Frauen.
In einem Dorf gibt es zehn Buden, wo die Männer sich versammeln, um zu trinken. In einer Kunstaktion hängten Frauen Flaschen mit Filzmännchen an Bäume in der Nähe solcher Buden.
Die Veranstalter dieser Ausstellung berichten, dass die Frauen auf dem Land trotz der Unsicherheit darauf bestanden, dass diese Aktion durchgeführt wird. Das war sehr wichtig für sie, weil häusliche Gewalt ein großes Problem für die Frauen geworden ist.
Eine der Teilnehmerinnen sagte, dass wenn nach der Aktion nur ein Mann nüchtern nach Hause kommt, es für sie schon als Sieg zählt.
In einem Dorf griffen ein Mann und ein Imam die Frauen beim Aufhängen der Installation an und zerstörten die Flaschen.
Laut der Statistik der Gerichtsbehörden Kirgistans wurden im Jahr 2015 1732 Fälle häuslicher Gewalt registriert. Davon fanden 1443 Fälle in alkoholisierten Zustand statt.
Mangel an Räumen für Freizeitaktivitäten
Haus, Haushalt, Arbeit, das sind die einzigen zugänglichen Räume für Frauen auf dem Land. Vielleicht sind Feierlichkeiten wie Hochzeiten die einzigen Möglichkeiten, wo Frauen sich vom Haushalt erholen und kommunizieren können.
Die Einwohnerinnen des Dorfs Baizak haben dieses Problem gelöst, in dem sie ein Zimmer der örtlichen Bäckerei in einen Treffpunkt verwandelt haben. In sechs Stunden haben sie das Zimmer dieses kleinen Unternehmens innen und außen renoviert. Inspiriert von Werken von Malewitsch und Mondrian schufen die Frauen einen winzigen aber eigenen freien Raum für die Kommunikation.
Beschränkung der Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement
„Halt den Mund“, „Deine Arbeit ist die Küche und das Geschirr“, „Was werden die Verwandten deines Mannes sagen?“, „Bring deine Frau zur Ruhe!“, solche Aussagen drücken die Möglichkeiten der Frauen bei der Teilhabe am sozialen Leben und am gesellschaftlichen Engagement in den Dörfern Kirgistans aus.
Die Besinnung der Auswirkung dieser Phrasen auf das Schicksal von Frauen und ihre Artikulation in einem engen Kreis im Kontext des Problems ist eine sehr wichtige Offenbarung, den Mut von ländlichen Frauen erfordert.
Solche Offenbarungen sind in den Dörfern im öffentlichen Raum unmöglich. Sogar privat machten die Teilnehmerinnen der Performance alles schnell und in großer Furcht.
Wenig Frauen im Dorfrat
Um die drängenden Fragen der Frauen zu lösen, sollen die Frauen sie selbst ansprechen. Es ist einfach: Gibt es keine Frauen innerhalb der Machtstrukturen, dann gibt es auch keine Lösung für solche Fragen. Viele Frauen, die in den Dorfrat ausgewählt wurden, sollten wegen des öffentlichen Drucks von ihren Ämtern zurücktreten. Dieser Druck kommt nicht nur seitens der Männer sondern auch seitens der Frauen. Dies geschieht aufgrund veralteter Stereotype darüber, dass die Frauen nur ihre Familie als Mittelpunkt ihrer Interessen betrachten müssen.
Von Rada Galkina, Kloop.kg
Die Fotos wurden von den Veranstalterinnen der Ausstellung zur Verfügung gestellt.
Aus dem Russischen von Ainaz Sulaimanova
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