Zentralasien ist die Heimat der Äpfel, Deren Urahne, der Malus sieversii (Sievers Apfel) auch asiatischer Wildapfel genannt wird. Kulturäpfel sind sehr anfällig für den voranschreitenden Klimawandel, aber nur eine kleine Gruppe von Enthusiasten kämpft für die Erhaltung des Ur-Apfels. Den Bericht des Öko-Journalismus Projektes „Living Asia“ übersetzen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Ist Ihnen schon aufgefallen, wie oft Äpfel in der Literatur als Symbol für die Wahl zwischen Verbot und Freiheit, Gut und Böse, Leben und Tod verwendet werden? Man denke nur an die biblische Geschichte von Eva und der Schlange, die griechische Mythologie, die orientalischen Märchen aus „Tausendundeine Nacht“, die englischen Balladen über Robin Hood, Puschkins Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken.
All diese Motive, die in den Geschichten verschiedener Zivilisationen beschrieben sind, verschmelzen auf wundersame Weise miteinander. Ihr Ursprung lässt sich dabei nur noch schwer feststellen und ist nicht unumstritten.
Märchenäpfel
Welche Frucht Eva im Garten Eden pflückte, ist unbekannt. Trotz des allgemeinen Irrglaubens weist im Bibeltext nichts konkret auf einen Apfel hin: „Esst nicht von den Bäumen im Paradies“, so lautet das Verbot Gottes in der biblischen Erzählung.
Mit dem Apfel wird der Beginn des Trojanischen Kriegs verbunden. Nach der antiken griechischen Mythologie entstand der Streit zwischen Hera, Athene und Aphrodite zunächst um einen Apfel, den die „Schönste“ bekommen sollte. Der Begriff „Zankapfel“ wurde jedoch erst später eingeführt, durch den römischen Geschichtsschreiber Justinus.
Das Fest des „Apfelretters“ ist ein wichtiger Bestandteil der Marienfastenzeit. Das Apfelfest fällt in der orthodoxen Tradition auf den 19. August, den Tag, an dem es erlaubt war Äpfel und Speisen von Früchten der neuen Ernte zu essen. Er fällt in die Zeit des Marienfastens und ist mit einer Reihe religiöser Verbote und Einschränkungen für den Verzehr von Äpfeln einer neuen Ernte verbunden.
Das Apple-Logo ist schließlich die Konsequenz einer Obstdiät von Steve Jobs. Der angebissene Apfel der Firma Apple hat also keine Verbindung zum Baum der Erkenntnis und der biblischen Geschichte. Die Idee kam Steve Jobs nach dem Besuch einer Apfelplantage, als er gerade eine Obstdiät hielt.
Gleichwohl gibt es ein Märchen, das ein Indiz für Zentralasien als Herkunftsregion des Apfels liefert. Im Märchen „Prinz Achmed und die Fee Pari Banu“, Teil von „Tausendundeine Nacht“, wird nämlich in Samarkand „die Frucht von Leben und Tod“ erworben. In dieser Geschichte wird er als Gegenstand von Zwietracht, als Ziel für Pfeil und Bogen und in Hinblick auf seine lebensspendende Kraft erwähnt. Gründe für die Behauptung, dass dieses Märchen als Urquelle dienen könnte – insbesondere für die antike griechische Mythologie und die moderne Auslegung der biblischen Geschichte – gibt es nicht. Zugleich beweisen eine Reihe moderner Studien, die auf der Analyse des Genoms verschiedener Apfelarten basieren, dass ihre gemeinsame Heimat Zentralasien ist, und ihr gemeinsamer Vorläufer der Sievers‘ Apfel (Malus sieversii).
Kulturapfelsorten sind anfälliger für klimatische Veränderungen
Wildwachsende Apfelbäume geben bittere und oft kleinere Früchte, die zur Herstellung von Apfelwein verwendet werden können, aber weniger für den direkten Verzehr geeignet sind. Deshalb arbeiten Züchter stetig daran, die Eigenschaften von Wildäpfeln zu verbessern. Das Problem ist jedoch, dass Kultursorten im Vergleich zu ihren wildwachsenden Vorfahren anfälliger sind für Klimawandel und Umweltverschmutzung. Daher sind Züchter und Gärtner regelmäßig gezwungen, zum wilden Apfelbaum zurückzukehren, um die notwendigen Eigenschaften in den kultivierten Arten wiederherzustellen.
Mirzoschoch Akobirow ist Gärtner in vierter Generation und Begründer des privaten botanischen Gartens „Kuchsori Atscham“. Seine Leidenschaft für Äpfel lässt sich auf seine Kindheit zurückführen: “Mein Urgroßvater Machmud hatte einen wunderschönen Garten auf dem Land des Dorfes Jashm. Ich erinnere mich, wie ich im Alter von 7-8 Jahren zusammen mit meinem Vater in die Berge ging und er junge wilde Apfelsämlinge ausgrub. Diese Sämlinge band er in zwei Haufen zusammen, lud sie auf einen Esel und brachte sie nach Hause. Wir pflanzten sie in unserem Garten und im nächsten Jahr veredelte mein Vater die jungen Zweige,“ erzählt Akobirow.
Äpfel trugen immer eine besondere Bedeutung in der Familie des Gärtners: „Ich erinnere mich, dass einer dieser Bäume zwei Jahre später zwei Äpfel gab. Mein Vater riss die Äpfel voller Freude ab, gab einen meiner Mutter und den zweiten mir. Nach und nach zog mein Vater in diesem Garten Jahr für Jahr verschiedene Obstbäume. Und wenn die Gäste – zu jeder Jahreszeit – in das Dorf kamen, legte mein Vater die Äpfel auf den Dastarchan, die festliche Tafel. Und wenn jemand krank wurde, ging Vater zu diesen Leuten und brachte ihnen Äpfel.“
Äpfel werden 15-20 Mal pro Saison mit Chemikalien behandelt
Heute gilt die Erhaltung der Wildapfelbäume unter allen Spezialisten als notwendig – sowohl unter Ökologen als auch Gärtnern. Tatsache ist, dass die gesamte Obstindustrie der Welt in der Krise ist. Um eine Apfelernte zu bekommen, müssen Bauern in Europa, Amerika und Afrika die Obstplantagen 15 bis 20 Mal pro Saison mit Chemikalien bewirtschaften. Als Folge davon verkommen die bewährten Sorten, sie verlieren ihre Immunität und Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten. Hier wird genetisches Material notwendig, das für die Züchtung neuer Sorten geeignet ist. Gefunden wurde es in den Bergen des Tian-Shan, wo seit Jahrhunderten der Vorfahre der Kultursorten wächst – der Sivers Apfelbaum.
Der Malus siversii steht auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als gefährdete Art. Diese Art kommt nur in Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und im Xinjiang vor. Allein in Kasachstan verringerte sich der Bestand der Wildäpfel in den letzten 30 Jahren um 70 Prozent.
Neben dem dsungarischen und dem Transili-Alatau, wo 75 Prozent der asiatischen Wildäpfel wachsen, findet man sie vor allem auch in Kirgistan, vor allem in den Bergen des Talas-Alatau.
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2010 hat die kasachische Regierung den Zhongar-Alatau Nationalpark mit einer Fläche von 356.000 Hektar gegründet, wo auch der Wildapfel wächst. Diese Art wurde jedoch in den letzten Jahren durch massive Abholzung, Generosionen (Vermischung mit Kultursorten) und ineffektive Bewirtschaftung des Weidelands geschädigt.
Großen Schaden brachten den wilden Bergwäldern die örtliche Bevölkerung, Touristen und vor allem die Urbanisierung. Einige verwendeten die 300 Jahre alten Bäume während der Wirtschaftskrise als Brennholz, andere verursachten unbeabsichtigt Waldbrände. Dazu kommt, wie nur wenige wissen, dass die Abholzung der wilden Obstbäume in Kasachstan bereits in der Sowjetunion begann, als sich dort große Obstplantagen verbreiteten. Das unbezahlbare genetische Material ging durch das rücksichtslose Handeln der Behörden beinahe verloren.
Kaum noch alte Sorten im Heimatland der Äpfel
Arsen Rysdauletow, Gärtner in dritter Generation, konstatiert eine traurige Tatsache: Im Heimatland der Äpfel gibt es kaum noch erstklassige Sorten. Der Großvater von Arsen pflanzte eigenhändig mehrere Hektar „Aport“, baute ein Bewässerungssystem und Zugangsstraßen zu den Apfelplantagen. Einst für ihre Pracht berühmt, fielen die Gärten den Vorstadtvillen zum Opfer, ihre Überreste endeten in den Öfen der Anwohner, selbst die Samen wurden von Ausländern aufgekauft.
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Aber mit seinen 33 Jahren gibt sich Arsen nicht geschlagen – das liegt nicht in seinen Genen. Heute hat Rysdauletov 10 Hektar Land, auf denen „Red delicious“ und „Golden delicious“ angebaut werden. In Zukunft wird hier eine ganze industrielle Landwirtschaftszone entstehen, mit eigener Produktion, Verarbeitung und Ökotourismus. Bis dahin muss eine ganze Reihe von Hindernissen überwunden werden, wobei alle Bauern zusammen handeln müssen. „Die Hauptprobleme sind das große Defizit an Land in der Vorgebirgszone, die Wasserversorgung – die sowjetischen Leitungen sind zerstört und nicht alle Regionalverwaltungen sorgen für die Infrastruktur. Auch natürliche Faktoren haben Einfluss: Hagel, Frost, Trockenheit. Dazu kommt der große Fachkräftemangel auf diesem Gebiet. Deshalb müssen sich die Obstbauern jetzt zusammentun, obwohl wir eigentlich Konkurrenten sind.“
Die Erhaltung traditioneller Sorten und ihrer Vielfalt bleibt das Schicksal solcher Gärtner und Enthusiasten wie Mirzoschoch Akobirow, der in der Region Rascht in Tadschikistan arbeitet. Seit 1988 legte er Schritt für Schritt den Botanischen Garten „Kuchsor Atscham“ an. Ziel ist es, den Genpool lokaler Sorten von Obstbäumen, die kurz vor dem Aussterben stehen, zu sammeln, zu erhalten, zu pflegen und zu verbreiten.
Auch in anderen zentralasiatischen Ländern verschwindet die Apfeltradition nach und nach. In Usbekistan waren einst die Namangan-Äpfel im Ferganatal in aller Munde und im Bezirk Jangikurgan findet man noch einige Orte, an dem die Apfeltradition bewahrt wird. In den meisten Gärten wird aber heute die Sorte „Semerenko“ angebaut, die in Mittelrussland weitverbreitet ist. Auch der kirgisische Bezirk Nookat im Gebiet Osch rühmt sich für seine Äpfel. Über 50 Sorten wachsen hier, die traditionell bekanntesten Sorten sind „Aport“ und „Borobinka“. Die alten Sorten verschwinden aber langsam und werden durch kommerzielle, ausländische Sorten ersetzt.
Zentralasien ist der Ursprungsort des Apfels, von wo aus er die ganze Welt eroberte – das ist heute eine wissenschaftlich belegt Tatsache. Ob es gelingt, dieses Geschenk der Natur zu bewahren, den Genpool zu retten und zu vermehren, wird von jedem einzelnen abhängen. Von Beamten und Sponsoren, bis hin zu Bauern, Anwohnern und Touristen.
Die Redaktion von Living Asia
Aus dem Russischen in gekürzter Version von Alexandra Wedl
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