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Anisa Sabiri: tadschikische Poetin, Künstlerin, Staatsbürgerin

Anisa Sabiri, 23, ist heute eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Tadschikistans. Im Vergangenen Herbst folgte sie einer Einladung zum PEN-Literaturkongress in Bischkek. Ihr erstes Buch „Devanagrad“, eine Sammlung ihrer Gedichte und Prosastücke, erschien 2014. Ein Porträt.

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Redigiert von: gregorb

Anisa Sabiri
Anisa Sabiri

Anisa Sabiri, 23, ist heute eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Tadschikistans. Im Vergangenen Herbst folgte sie einer Einladung zum PEN-Literaturkongress in Bischkek. Ihr erstes Buch „Devanagrad“, eine Sammlung ihrer Gedichte und Prosastücke, erschien 2014. Ein Porträt.

Noch nie war jemand in Tadschikistan so pünktlich wie Anisa Sabiri. Zum Interview in einem schönen Café der Hauptstadt Duschanbe erscheint sie schon vor der abgemachten Uhrzeit. Das Café Abstract in der Innenstadt ist genau der richtige Ort, um sich mit einer Künstlerin zu treffen. Sie trägt loses Haar und wirkt etwas müde nach ihrem letzten Literatursalon. Ein paar Tage zuvor hatte sie im Café Cotton Club dem Publikum ihre neuen Werke vorgelesen.

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Anisa hat schon mit 13 Jahren angefangen, Gedichte und Prosa auf Russisch zu schreiben. Das Schreiben kam wie ein Impuls, ihre Gedanken auszudrücken: „Als Kind hatte ich immer viele Fragen, da war ich auf der Suche nach Antworten. Die fand ich nicht in Büchern. Aber Malerei fand ich interessant.“ Es war die Bildkunst, die sie zu ihrem ersten Gedicht inspirierte. Ihr Handwerk lernte sie bei dem berühmten tadschikischen Schriftsteller Timur Sulfikarow.

Neben Fiktionswerken und Gedichten ist Anisa auch journalistisch tätig und schreibt für die unabhängigen Internetportale Ozodagon und Asia-Plus. Ihren Lebensunterhalt verdient sie vor allem durch ihre regelmäßige Kolumne bei Asia Plus und durch ihre Arbeit als Filmszenaristin. Ihr voriges Jahr erschienenes Buch „Devanagrad“ wurde von der nicht-staatlichen Organisation INDEM (Informatik für Demokratie und nationalen Fortschritt) finanziert.

Devanagrad Sabiri

Ihr Studium hat sie in Russland abgeschlossen, an der Moskauer Universität des russischen Innenministeriums (MosU MVD Rossii), die sie mit dem Titel des Polizeileutnant verließ. Nach fünf Jahren in Moskau ist sie in ihre Heimatstadt Duschanbe zurückgekehrt. Beide Orte prägen ihre Sprache: „Ich schreibe auf Russisch und vermische es dabei mit Tadschikisch. Meiner Meinung nach haucht dieser „Sprachenmix“ Leben in Worte.“

Wie in einem ihrer jüngeren Gedichte, wo der erste Vers auf Tadschikisch steht und der zweite auf Russisch:

„Bahor, Bahor omad ba darahtoi andjirin,
Ti v etom mire mnogoslovnom, drug moy, ne odin…“
[Der Frühling, der Frühling kam zu Feigenbäumen,
Du, mein Freund, bist in dieser wortreichen Welt nicht allein]

„Ein solcher Sprachenmix ist sehr neu in Tadschikistan und wurde noch von keinem so realisiert“, bemerkt sie.

Obwohl sie noch so jung ist, hat sie auf dem in Russland sehr bekannten Portalen proza.ru und stihi.ru schon eine breite Leserschaft gewonnen. Anfang Juni erhielt sie den Literaturpreis des tadschikischen Schriftstellerverbandes.

Die Themen, die sie behandelt, sind breit aufgestellt: „Ich schreibe über eine Beobachtung des Lebens insgesamt. Ich gehe oft am Abend spazieren, beobachte die anderen. Meine Reisen durch Tadschikistan bringen mir auch viel Energie, das ist etwas Besonderes. Ich beobachte mich auch selbst, wie in einer Psychoanalyse.“

Anisa Sabiri Poster

Politik hält Anisa für etwas Unsinniges. Sie kann sich vorstellen, sich als Aktivistin zu engagieren, um die Gesellschaft zu verändern. Aber in die Politik will sie sich gar nicht einmischen: „Präsident zu werden, heißt nie wieder ein freier Mensch sein zu können. Ich persönlich würde nie Präsident werden. Ich schätze meine Freiheit zu sehr“, sagt sie mit einem Lächeln.

In ihren Antworten mischt die junge Frau jedoch gerne Kommentare zu vielen Themen wie Religion, Familie und Philosophie.

Zur Lage in Tadschikistan meint Anisa, die Journalistin: „Die Gesellschaft unseres Landes ist nicht tolerant. Wir sind eine junge Nation. Wir wissen nicht, wer wir sind und haben noch keine eigene Identität aufgebaut. Für die Meinungsfreiheit sind wir noch nicht ganz bereit. Es ist erst mal wichtig, das Bildungsniveau zu erhöhen und durch Literatur und Musik die Toleranz zu fördern. Wenn die Jugend sich so über verschiedene Meinungen austauschen kann, ist die Hälfte schon erreicht.“

In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich der Rang Tadschikistans im letzten Jahr von Platz 115 auf Platz 116 (von 180) verschlechtert.

„Die Globalisierung läuft zu schnell für junge Kulturen wie die Tadschikistans. Alles Neue kommt aus dem Westen zu uns.  Das ist kein Problem, solange diese Neuerungen den historischen Hintergrund der Länder berücksichtigen.  Manchmal ist es wichtiger, selbst Werte zu verstehen, als dass sie einem aufgezwungen werden. Deswegen haben wir viele Probleme im Land. Die westliche Emanzipation hat unseren Ländern eine höhere Scheidungsrate eingebracht. Die Frauen fühlen sich wie Männer, sie verdienen Geld wie Männer und deswegen existiert das Institut der Ehe nicht mehr.“

In Tadschikistan heiraten junge Frauen im Durchschnitt mit Anfang 20, doch Hochzeit kommt für Anisa bisher nicht in Frage: „Vielleicht weil ich noch keinen Mann getroffen habe, den ich heiraten würde. Ehe ist ein sehr seriöser Schritt im Leben, ein sehr wichtiger und verantwortlicher.“ Zuerst möchte sie ihr Studium fortsetzen.

Es ist Ramadan und abends trifft man viele junge Leute auf den Straßen, die in die Moschee zum Beten gehen. Deutlich mehr als vor ein paar Jahren noch. Ein Teil der Jugend schließt sich gar dem Islamischen Staat an, wie auch vor kurzem der ehemalige Chef der tadschikischen Sonderpolizei „OMON“.

„Die Islamisierung des Landes entwickelt sich immer schneller“, bemerkt die junge Schriftstellerin. Und in der Tat ist auch in Tadschikistan die Hidschab-Pflicht ein aktuelles Thema. „Wenn ich die Wahl hätte, einen Hidschab zu tragen oder das Land zu verlassen, würde ich wohl die erste Option wählen, um im Land bleiben zu können. Aber es hängt auch vom Kontext ab.“

Anisa Sabiri musste schon einmal die schwierige Entscheidung treffen, ob sie länger in Russland bleibt, um weiterzustudieren oder zurückkehrt. „Mit Tadschikistan habe ich eine Verbindung. Etwas, was ich nicht beschreiben kann. Ich kriege hier Inspiration, die mir hilft, weiter zu leben.“

Anisa Sabiri

Ein erster wichtiger Schritt, um dem Land und der Nation zu helfen, ist für sie das Selbstverständnis. Tadschikistan und sein Volk sind jung, doch sie haben alte Wurzeln. „Wenn das Land auf diesen Wurzeln baut, ist schon ein Schritt zur Entwicklung getan. Ein Kind, das sich alt wähnt, wird sich immer auf dem Erbe seiner Eltern ausruhen. Daher sollten auch wir Tadschiken uns als ein junges Volk verstehen, um unseren eigenen Fortschritt bauen zu können“, teilt Anisa mit.

Was zukünftige Pläne der Schriftstellerin betrifft, würde die junge Autorin eine Literaturstiftung gründen, wenn sie das nötige Geld hätte, um die besten Werke von tadschikischen Autoren wie Dschaloliddin Rumi zu übersetzen und auf Deutsch, Englisch und Französisch herauszugeben.

Zum Ende des Gesprächs wünscht Anisa in der Reihenfolge Harmonie, Glück für die Verwandten und Freunde, Glück für das Volk, ein Lächeln für jeden Staatsbürger, Ordnung:  „Das Glück eines jeden wird auch mich glücklich machen. Das ist Toleranz. Wenn wir einander erlauben, auf eigene Art glücklich zu sein.“

Alin Kor
Autorin für Novastan.org, Tadschikistan

Redaktion:
Gregor Bauer
Florian Coppenrath

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