Usbekistan unterscheidet sich von seinen zentralasiatischen Nachbarn durch eine stark ausgeprägte nationale Identität. Als Thema einer anhaltenden Debatte ist die usbekische Identität gleichzeitig eine vereinende Kraft sowie Auslöser von Spannungen. Aber noch weitere Gründe erklären, wie dieses Thema auch weiterhin Kontroversen auslöst. Dieser Zweiteiler soll einen Einblick in das komplizierte Geflecht der nationalen Identität Usbekistans geben.
Über die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Wortes „usbekisch“ und den historischen Wurzeln des usbekischen Volkes existiert keine einstimmige Meinung. Die Mehrheit der Historiker bringt „usbekisch“ mit dem Namen von Özbek (1282-1341) in Verbindung, einem Khan (mongolischer Herrscher) der Goldenen Horde Dschingis Khans. Nach dieser Theorie führten dessen Nachkommen, vor allem Schayban, der Begründer der Dynastie der Schaybaniden, diesen Namen in der Region ein.
Andere Quellen, wie etwa die des britischen Spions Armin Vambery (oder Hermann Wamberger), verweisen auf einen noch älteren Ursprung, der sogar noch vor der mongolischen Eroberung Zentralasiens liegt. In seinem Buch „Reise in Mittelasien“, das er zwischen 1861 und 1864 in Zentralasien schrieb, führt Vambery den Namen „Ouz Bek“ auf eine Nomadensprache aus dem 14. Jahrhundert der Region am nordöstlichen Kaspischen Meer in Zentralasien zurück, mit der Bedeutung „Herr über sich selbst“.
Eine einzige Identität für ein multiethnisches Volk
Die Kontroverse über die Definition einer usbekischen Identität erklärt sich über die Verbindungen zur persischsprachigen Zivilisation. Auch wenn sich die Usbeken heute als ein turko-mongolisches Volk, welches eine Turksprache spricht, definieren, ist die moderne usbekische Kultur das Ergebnis einer Verschmelzung mit der persischen Kultur Zentralasiens, der tadschikischen.
Ursprünglich war die Lebensweise der Usbeken denen der anderen Turkvölker Zentralasiens, den Kasachen, Kirgisen und Turkmenen, sehr ähnlich. Aber mit dem Beginn des 15. und 16. Jahrhunderts wurden die Usbeken sesshaft, wie es die lokale persischsprachige Bevölkerung bereits war [1], mit ihrer eigenen Sprache und ihren eigenen Traditionen.
Die ausländischen Identitätsstifter
Die Tatsache, dass Usbeken sich heute mit persischsprachigen Intellektuellen wie Avicenna, Al-Chwarizmi, Al-Biruni und auch Amir Timur, dem turko-mongolischen Feldherren identifizieren, ist tatsächlich ein historischer Irrweg und ein Widerspruch in der Identität der Usbeken. Obwohl all diese Persönlichkeiten ihren Ursprung im Gebiet des heutigen Usbekistan haben, waren sie keine ethnischen Usbeken.
Nicht nur, dass sie ausschließlich persischsprachig waren; Amir Timur gehörte einer gefallenen Dynastie an, die von Chayban erobert wurde, dem Nachfahren von Dschingis Khan und Begründer der mongolischen Dynastie der Chaybaniden. War er es, der die Usbeken auf das Territorium der Timuriden brachte? Diese Feststellung wirft die Frage nach der „Usbekischheit“ Amir Timur [2] auf, um die Usbekistan nach der Unabhängigkeit seine neue Identität aufgebaut hat.
Wer regiert hier wen?
Diese historische Unschärfe vermischt sich heutzutage mit den sowieso schon bestehenden Spannungen zwischen Usbeken und Tadschiken. Die tadschikische Seite beschuldigt Usbekistan, ihnen ihre Geschichte zu nehmen und beansprucht sogar einige Städte wie Samarkand und Bukhara als tadschikisch. Für Usbekistan [3] wiederum existiert die Geschichte des tadschikischen Staates nicht.
Usbekistan nimmt an, dass vor der Eroberung Zentralasiens durch den russischen Zar im 19. Jahrhundert alle zentralasiatischen Staaten von Usbeken geführt wurden. Eine Logik, die den Anspruch der Tadschiken auf historische Gebiete in Usbekistan ausschließt. Usbekistan sieht die usbekischen Tadschiken als persischsprachige Usbeken, so eine Definition des früheren Präsidenten des unabhängigen Usbekistan Islam Karimow, für welchen „Die Usbeken und Tadschiken sind ein Volk, das zwei Sprachen spricht.“ [4].
Loyalität dem Präsidenten durch Ressentiments
Die Identitätskonflikte weiten sich auf die politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten aus, auch wenn sich die Spannungen zwischen Usbekistan und Tadschikistan durch das schlechte persönliche Verhältnis zwischen dem verstorbenen usbekischen Präsidenten Karimow und dem tadschikischen Staatschef Rahmon erklären lassen; die gegenseitigen Ressentiments rühren auch aus Grenzstreitigkeiten und der gemeinsamen Ressourcennutzung, allem voran Wasser und Elektrizität.
Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten und der Aufstieg des Nationalismus haben zu einer Neudefinierung von Identitäten sowohl in Usbekistan als auch in Tadschikistan geführt. Die Bevölkerung tendiert dazu, sich an der Logik ihres Präsidenten zu orientieren.
Die sowjetische Kreation Usbekistans, seiner Sprache und Identität
Die Unschärfe der nationalen Identität Usbekistans liegt zum großen Teil in der usbekischen Nation begründet. Wie auch alle anderen zentralasiatischen Staaten, ist der usbekische Staat eine künstliche Kreation der Sowjetunion. Es waren die Bolschewisten, die in den Jahren 1920-1930 zum ersten Mal versuchten, eine ethnische Gruppe mit einem klar definierten Territorium zu verknüpfen und Nationalstaaten nach europäischem Vorbild zu schaffen.
Seit Jahrhunderten definierte sich die lokale Bevölkerung durch ihre Zugehörigkeit zu einer Stadt oder einer Region. Ethnische Zugehörigkeit war sekundär. Diese Definition von Identität wurde charakterisiert von sozialen Schichten ohne wahrnehmbare Solidarität, welche die Verschmelzung zu einem Nationalstaat verhinderte. Darüber hinaus war es die islamische Identität der Umma, die die muslimische Bevölkerung jenseits von ethnischer Zugehörigkeit vereinte und einer nationalen Vereinigung im Weg stand.
Die Unterdrückung alter Identitäten
Das Konzept der Nation, welches die Sowjets einführten, verkomplizierte die Definition einer nationalen usbekischen Identität zudem. Um eine mögliche Unabhängigkeit zu verhindern, wurden die Hauptstädte der vorherigen politischen Einheiten, der Khanate, abgeschafft und in gewöhnliche Städte umgewandelt. Obwohl Bukhara seinen Status als Provinzhauptstadt behalten konnte, verloren Chiwa und Kokand ihren Status als unabhängige usbekische Staaten.
Die künstlichen Grenzen der neuen sozialistischen Republiken und ihre Benennung nach ihrer Sprache und Ethnie waren ein schwerer Schlag für ihre bereits bestehende nationale Identifikation. So kam es, dass eine usbekische Nation geboren wurde, die sich weniger auf ihrer Ethnie, als auf ihrem Territorium begründete. Von nun an besaß die usbekische Ethnie ein tatsächliches Staatsgebiet, wenn auch die internen Gebietsgrenzen der Sowjetunion rein administrativ bestehen blieben.
Eine Usbekische Ethnie, um sich von der Sowjetunion abzugrenzen
Die Anpassung jedoch an das Gebilde Sowjetunion erlaubte es der usbekischen Bevölkerung nicht, sich offen als Nation zu bekennen. Um sich zu unterscheiden, gründete sie sich auf dem Prinzip der Ethnie. Das verstärkte die Bedeutung von Ethnizität bei der Definition der usbekischen Nation wiederum. Auch heute noch erklärt das die Bedeutung von ethnischer Zugehörigkeit in Bezug auf aktuelle Entwicklungen des usbekischen Staates.
Im Unterschied zu anderen Turkvölkern in der Region haben die Usbeken eine heterogenere Identität, was gleichzeitig eine vereinende Kraft, aber auch eine Ursache für Spannungen darstellt. „Usbekisch sein“, das sollten nun viele verschiedene Zivilisationen, Gebiete, Kulturen, Lebensweisen und Sprachen, und sich alle gemeinsam als eine Ethnie definieren.
Der Versuch, eine neue usbekische Identität zu schaffen
Nach der Unabhängigkeit baute das herrschende Regime auf dieses Mosaik der usbekischen Identität, um die Mehrheit der Bevölkerung für sich zu gewinnen und ein Gegengewicht zur islamischen, panturkischen und nationalistischen Opposition zu stellen. Zunächst erlaubte diese Strategie der Regierung, die Bevölkerung, die sich über viele verschiedene Identitäten definiert, für sich zu gewinnen. Mit der Zeit jedoch wurde das Zusammenleben der verschiedenen sozio-politischen Ausrichtungen immer schwieriger.
In den 2000er Jahren versuchte die Regierung, den Aufstieg dieser Bewegungen zu unterdrücken. Die Presse, das Justizwesen, zuvor unabhängige Organisationen und selbst die Gesellschaft gerieten schrittweise unter die Kontrolle des Regimes. Fortan verbreitete der Staat seine Ideologie der nationalen Einheit. Unterricht in nationaler Unabhängigkeit wurde in den Lehrplan der Grundschulen und weiterführenden Schulen integriert. Teilweise funktionierte diese Politik; ihre Ideologie prägte die heranwachsende Generation stark.
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Weder die Legitimität der usbekischen Regierung an den Grenzen, noch ihr Name, ihre Existenz, oder ihre politischen Leitlinien werden in Frage gestellt. Jedoch üben die Älteren, die noch in der Sowjetunion aufwuchsen, einen nach wie vor starken Einfluss auf die Gesellschaft aus. Ihre Positionen in Bezug auf die usbekische Identität sind sehr viel konservativer, ihre nationale Identifikation unterscheidet sich stark von der, die nach der Unabhängigkeit kreiert wurde. Die Frage nach der nationalen Identität des Landes ist neuerdings im Zentrum der Debatte und teilt die usbekische Gesellschaft. Ihr Bruch verläuft sowohl entlang ideologischer Trennlinien, als auch entlang der Generationen.
Akhmed Rahmanov
Redigiert von Isabelle Klopstein
Aus dem Französischen von Janny Schulz
Für mehr Infos lest :
- « Asie centrale. L’invention des frontières et l’héritage russo-soviétique », de Svetlana Gorshenina : les faiseurs de frontières (Le Monde)
- Faiseurs de frontières. L’invention de l’Asie centrale (La vie des idées)
- La production identitaire dans le Tadjikistan post-conflit : état des lieux (Cahiers d’Asie centrale)
- Réalité et illusion du panturquisme: la Turquie et l’Asie centrale (Alliance géostratégique)
Bibliographiesche Anmerkungen:
[1] Géopolitique de l’Ouzbékistan. 2011 Paris. Jacques Barrat, Coline Ferro, Charlotte Wang
[2] Über die ethnische Zugehörigkeit Amir Timur wird noch immer diskutiert. Er könnte von einem Turkvolk abstammen, aber er war nicht mit Sicherheit Usbeke. Das unabhängige Usbekistan präsentiert ihn dennoch als einen nationalen Helden. Heutzutage ist er der Stolz der Usbeken und ein Vorbild für die junge Generation. Im Gegensatz zur Sowjetunion, in der als persona non grata, imperialistischer König und als bösartig präsentiert wurde. Indem sie Amir Timur als nationalen Helden auswählten, versucht die Regierung vor allem seine Freundschaft gegenüber der Sowjetunion zum Ausdruck zu bringen. Sie will eine neue Ideologie schaffen und panturkistische und antisowjetische Sympathisanten für sich gewinnen.
[3] Die usbekische Regierung führt diesen Diskurs nicht offen, aber der usbekische Akademiker Rustamjon Abdullajew schrrieb kürzlich einen Artikel zu dem Thema, welcher auf mehreren Seiten verbreitet wurde, insbesondere 12uznews.uz – eine Seite, welche von einem ehemaligen Mitglied des präsidentischen Rates Usbekistans geleitet wird.
[4] « Узбеки и таджики ― один народ, говорящий на двух разных языках, Ислам Каримов » ; http://topreferat.znate.ru/pars_docs/refs/61/60926/60926.pdf
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