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Orientalismus neu aufgelegt – eine sehr holländische Einführung zu Zentralasien

Im Frühling haben hunderttausende Zuschauer den holländischen öffentlichen Nachrichtensender VPRO eingeschaltet, um die neue Dokuserie „Entlang der Neuen Seidenstraße" anzuschauen. Für die meisten Menschen in den Niederlanden war diese Sendung ihre erste Einführung zu Zentralasien. Aber wie der Titel vermuten lässt, ist die Doku-Serie mit orientalistischen Stereotypen über die Region gespickt. Ein kritischer Rückblick auf eine verpasste Chance.

Julian Postulart 

Redigiert von: Robin Roth

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In „Entlang der Neuen Seidenstraße“ führt der niederländische Sender VPRO in Zentralasien ein

Im Frühling haben hunderttausende Zuschauer den holländischen öffentlichen Nachrichtensender VPRO eingeschaltet, um die neue Dokuserie „Entlang der Neuen Seidenstraße“ anzuschauen. Für die meisten Menschen in den Niederlanden war diese Sendung ihre erste Einführung zu Zentralasien. Aber wie der Titel vermuten lässt, ist die Doku-Serie mit orientalistischen Stereotypen über die Region gespickt. Ein kritischer Rückblick auf eine verpasste Chance.

Die im Artikel ausgedrückten Meinungen sind die des Autors.

Seit seiner ersten Ausstrahlung im öffentlichen Fernsehen hat die niederländische Doku-Serie „Entlang der Neuen Seidenstraße“ die Aufmerksamkeit hunderttausender Zuschauer auf sich gezogen. Bis jetzt hat die sechsteilige Serie durchschnittlich über eine Million Zuschauer je Episode gehabt. Selbst für eine Show zur Hauptsendezeit sind diese Zahlen für die Niederlande eindrucksvoll.

Am bemerkenswertesten war jedoch, dass die dritte Episode der Serie am Sonntag, 19. März, mehr Zuschauer hatte als die Live-Übertragung von Ajax – Feyenoord – des wichtigsten Fußballspiels im Land.

Die Show wird von zwei bekannten niederländischen Dokumentarfilmemachern präsentiert, Ruben Terlou und Jelle Brandt Corstius. Beide haben in der Vergangenheit erfolgreiche Dokuserien gemacht. Während Terlou bereits sein ganzes Leben lang mit Leidenschaft China im Foto festhält und fließend Mandarin spricht, ist Brandt Corstius ein ehemaliger Russland-Korrespondent für eine bekannte niederländische Zeitung.

Zentralasien als Terra incognita

Interessanterweise sind weder Terlou noch Brandt Corstius Experten für Zentralasien. Brandt Corstius räumt dies mit der Aussage ein, dass er die Region insoweit kenne, als dass sie „Teil der Sowjetunion war„. Terlou erklärt. er habe „immer davon geträumt, der magischen Seidenstraße zu folgen„. Während seiner Zeit in China beobachtete er die wachsende Bedeutung von Chinas neuer Seidenstraßeninitiative

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Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass „Entlang der Neuen Seidenstraße“ keine Dokumentation über Zentralasien ist. Stattdessen erzählt uns die Serie eine Geschichte über ausländischen Einfluss in der Region, konkurrierende Interessen und geopolitische Rivalität. Dieses Great-Game-gleiche Narrativ reduziert die Region zu wenig mehr als zu einem Spielfeld der Supermächte.

Indem Zentralasien als eine mysteriöse Terra incognita dargestellt wird, greift „Entlang der Neuen Seidenstraße“ geschickt auf in den Niederlanden bestehende orientalistische Ideen über Zentralasien zurück. Oft basieren diese Darstellungen auf stereotypischen und kolonialistischen Perspektiven auf östliche Kulturen, welche diese als „extrem anders und unterlegen, und von daher westlicher Intervention oder der ‚Rettung‘ bedürftig“ ansehen.

Orientalismus, Voyeurismus und weißes Rettertum

In „Entlang der Neuen Seidenstraße“ findet sich Orientalismus oft in Form von Voyeurismus. Als die Macher der Serie beispielsweise den Brautraub in Kirgistan diskutieren, bleibt unklar, was sie damit beabsichtigen, außer die Rückständigkeit solcher Praktiken darzustellen.

Schlimmer noch, durch die Darstellung kontroverser und komplexer Themen wie dieses ohne irgendeinen Hintergrund, nutzen die Macher die Trauer der Opfer aus, um ihre Zuschauer mit einem Gefühl des weißen Rettertums zu erfüllen. Es ist nicht schwer zu sehen, wie solche Manifestationen des Orientalismus dabei helfen, (Neo-)Kolonialismus zu rechtfertigen.

Aber der offensichtlichste Bezug auf den Orientalismus ist ohne Zweifel der Titel der Sendung. Seine Clichéhaftigkeit beschwört Bilder herauf von exotischen Kamelkarawanen, welche menschenfeindliche Wüsten durchziehen und von hohen Gebirgszügen. Sich Zentralasien geographisch so vorzustellen, reduziert die Region zu einem simplen Handelskorridor, anstelle einer Region, welche für und aus sich selbst heraus interessant ist – eine Kritik, welche manche Experten dazu bringt, das Konzept der „Seidenstraße“ ganz und gar zu vermeiden.

Die Rolle niederländischer und westlicher Medien

Aber die Macher sind nicht alleine für diese orientalistische Miss-Repräsentation zu beschuldigen. Zum Teil bedient VPRO einfach nur das eingeschränkte Wissen über Zentralasien in Westeuropa im Allgemeinen.

Die meisten Menschen in den Niederlanden hätten wahrscheinlich Schwierigkeiten, Zentralasien auf einer Karte zu bestimmen, geschweige denn einzelne Länder. Und selbst für die, die es können, ist die Region selten mehr als eine ferne post-sowjetische Ödnis, regiert von despotischen Präsidenten. 

Die niederländischen Medien haben wie die meisten anderen westlichen Nachrichtenagenturen dazu beigetragen, dieses Bild zu kreieren. Die aktuellen Geschehnisse in Zentralasien wurden lange von in Russland sitzenden Korrespondenten übermittelt, dem früheren Kolonisator der Region. Für die meisten Nachrichtenagenturen war das vor Putins Einmarsch in die Ukraine das Standardverfahren. Aber als der Krieg eskalierte, waren viele westliche Journalisten gezwungen, Moskau zu verlassen.

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Diese Abwanderung setzte Ressourcen frei, um über die weitere Bedeutung von Russlands Krieg in der Ukraine zu reflektieren. Niederländische Medien haben der jüngsten geopolitischen Repositionierung früherer russischer Kolonien wie Kasachstan erhebliche Beachtung geschenkt. Und das Interesse an der Region ist nicht auf die sogenannte hohe Politik beschränkt.

Kolonisierte gegen Kolonisatoren

„Entlang der Neuen Seidenstraße“ schildert auch verschiedene menschlich interessante Geschichten. Brandt Corstius interviewt zum Beispiel eine kirgisische Frau über die abnehmende Beliebtheit der russischen Sprache in ihrem Land und die Wiederbelebung nomadischer Traditionen.

In Pavlodar landet Brandt Corstius in einer Hipster-Bar, wo er mit progressiven kasachstanischen Jugendlichenüber die plötzliche Zuwanderung von russischen Wehrdienstflüchtlingen spricht. Diese Geschichten verdienen definitiv Lob, weil sie helfen, lokale Narrative auf der Suche nach (nationaler) Identität zu stärken.

Allzu oft aber stellen die Dokumentarfilm-Macher diese Geschichten so dar, dass sie in ihr geopolitisches Konzept der Region passen. Ein klares Beispiel dafür ist Terlous ergreifendes Interview mit mehreren kasachischen Frauen, welche in Chinas Internierungslagern in Xinjiang gefangen gewesen waren oder denen Familienmitglieder entrissen wurden.

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Jedes einzelne dieser Schicksale ist so entsetzlich, dass man unmöglich nicht berührt sein kann von den Geschichten über Folter und erzwungene Abtreibungen. Aber nachdem der Dialog zu einem emotionalen Höhepunkt gekommen ist, schwenkt die Kamera zu Terlou, welcher in einer Ecke der Küche leise vor sich hin schluchzt. Später wird Terlou in einem Telefonat mit Brandt beschreiben, wie sich das Anhören der Geschichten der kasachischen Frauen anfühlte, „als ob man durch eine Trennung gehen würde“ von seinem geliebten China.

Dekolonisation einer Dokumentation

Es ist lobenswert, dass das niederländische Fernsehen bereit war, diese Dokumentation zu finanzieren. Immerhin hat die Sendung geholfen, hunderttausenden Menschen, von welchen viele noch nie von Zentralasien gehört hatten, die Region näherzubringen.

Jedoch scheint Zentralasien in „Entlang der Neuen Seidenstraße“ wenig mehr als eine endlose Prozession postkolonialer Wehen und Miseren zu sein. Auch wenn Entscheidungen, welche in Moskau und Peking getroffen werden, immer noch Einfluss haben in Zentralasien, so hat doch die regionale politische Führung weit mehr Macht über den geopolitischen Kurs ihres jeweiligen Landes als die Dokumentation es darstellt. Und wichtiger noch, die Menschen dieser Region haben ihre eigene Geschichte, Kultur und Ideen über die Zukunft.

Nur wenn westliche Medien diese eigenen Identitäten anerkennen, ist es möglich, von vorherrschenden orientalistischen Sichtweisen auf Zentralasien wegzukommen und – hoffentlich – endlich die Dokumentationen zu machen, welche der Region Respekt zollen.

Julian Postulart für Novastan

Aus dem Englischen von Mafra Martens

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