Startseite      Terrorismus: Warum gibt es so viele usbekische Attentäter?

Terrorismus: Warum gibt es so viele usbekische Attentäter?

Nach den Anschlägen von Stockholm und Sankt Petersburg rückten Usbekistan und die Usbeken als „Quelle des Terrors“ in die öffentliche Wahrnehmung. Aber trotz der verbreiteten Vorurteile ist Usbekistan keine Dschihadistenfabrik, wie der Experte Achmed Rachmanow erklärt.

Nach den Anschlägen von Stockholm und Sankt Petersburg rückten Usbekistan und die Usbeken als „Quelle des Terrors“ in die öffentliche Wahrnehmung. Aber trotz der verbreiteten Vorurteile ist Usbekistan keine Dschihadistenfabrik, wie der Experte Achmed Rachmanow erklärt.

Am 3. April legte ein junger Usbeke eine Bombe in der Petersburger U-Bahn Station Sennaja-Platz und starb bei der Explosion, die vierzehn weitere Menschen das Leben kostete.

Wenige Tage später, am 7. April, traf ein weiterer Terroranschlag die schwedische Hauptstadt Stockholm. Es war der erste Anschlag in Schweden seit den 1970er Jahren.

Unklare Hintergründe

In beiden Fällen lassen die Ermittlungen auf usbekische Attentäter schließen. Im ersten Fall Akbarschon Dschalilow, ein russischer Staatsbürger usbekischer Herkunft, der im kirgisischen Osch geboren wurde. Im zweiten besitzt der Täter Rachmat Akilow die usbekische Staatsbürgerschaft.

Im Fluss der Eilmeldungen wurden beide als Usbeken bezeichnet. Nur wenige Medien hoben den Unterschied zwischen einem Usbeken und einem Staatsbürger Usbekistans hervor.

Dabei handelt es sich im postsowjetischen Raum um eine sehr wichtige Unterscheidung. Im Gegensatz zum europäischen Raum wird zwischen der Nationalität und der Staatsbürgerschaft einer Person unterschieden. Erstere bezeichnet die ethnische Herkunft oder Identität und letztere die Zugehörigkeit zu einem Staat. Bei der Selbstbezeichnung wird eher die Nationalität genannt als die Staatsbürgerschaft.

Die vielfältige usbekische Gesellschaft

Usbekistan hat eine sehr vielfältige Gesellschaft, die durch verschiedene historische Faktoren geprägt ist, so dass kaum von einem einheitlichen Identitätsverständnis die Rede sein kann. Es gibt auch keine erwiesene Verbindung zwischen diesen Anschlägen und der in Afghanistan ansässigen Islamischen Bewegung Usbekistans, wie mancherorts behauptet wurde. Usbekistan kann auch nicht ohne weiteres als „Terrornest“ bezeichnet werden.

Seit März 2016 waren Usbeken in vier vermeintlich dschihadistische Anschläge involviert: Der Mord einer Kinderfrau in Moskau, die Angriffe auf den Atatürk-Flughafen in Istanbul im Juni und der auf den Reina-Klub im Dezember 2016 und schließlich die Attentate in Sankt-Petersburg und Stockholm.

An diesen Taten waren Usbeken aus Usbekistan oder Menschen usbekischer Nationalität beteiligt. Doch für die breite Öffentlichkeit wird das Stichwort „Usbeke“ immer mit Usbekistan in Verbindung gebracht.

Ohne die gemeinsame kulturelle Herkunft der Attentäter zu leugnen, kann man kein eindeutiges „usbekisches“ Schema daraus schließen. Jeder Anschlag hat seine eigenen Gründe und Motivationen. Analysiert man die Hintergründe des usbekischen Terrorismus, kann man dabei Gemeinsamkeiten finden, die manche Usbeken zur Radikalisierung führen.

Der historische Kontext

Erst einmal lohnt sich ein Blick in die jüngere Geschichte Usbekistans. Die usbekische Nation ist als solche durch die Sowjetunion entstanden. Davor lebten die Usbeken unter verschiedenen Machtstrukturen, für die das europäische Konzept des Nationalstaats keine Anwendung findet. Mehr noch als die Ethnie war die Religion ein vereinender Faktor.

Durch die Sowjetunion entstand eine Klassifizierung der Menschen nach Nationen im europäischen Sinne. Diese Nationen wurden vor allem aufgrund der vorhandenen sprachlichen und ethnischen Unterschiede definiert.

Zuerst hatte die Klassifizierung jedoch kaum einen Einfluss auf das Leben der Bürger der Sowjetunion, da es keine Grenzen oder administrativen Hürden zwischen ihnen gab. So unterschieden sich die Usbeken Usbekistans zum Beispiel kaum von den Usbeken Kirgistans.

Beginn der Radikalisierung in den 1990ern

Erst nach dem Ende der Sowjetunion machten sich die zwischenstaatlichen Grenzen im Alltag der Zentralasiaten spürbar. Das Ende der kommunistischen Ideologie führte zu einem politischen Vakuum, das schnell durch einen immer stärkeren Bezug auf nationale Identitäten gefüllt wurde.

Usbekische Nationalisten, Panturkisten und Islamisten erkannten die aus der Sowjetunion geerbte Regierung nicht an und schlossen sich dem radikal anti-sowjetischen Populismus an.

Lest auch bei Novastan: Vier Fragen zum Anschlag in Sankt-Petersburg

Für die Regierung stellen die Islamisten die größte Bedrohung dar. Ihre Diskurse erreichen die Bevölkerung im Ferganatal, der am dichtest besiedelten Region im Südosten Usbekistans, und sie konnten als Einzige Massen zu Protest bewegen.

Regierungstreu oder Islamist

Die frühe Gegenüberstellung zwischen der Regierung und den Islamisten hat zu einer immer weiteren Polarisierung der Gesellschaft geführt. Einerseits bezichtigt die Regierung alle politischen Gegner des radikalen Islamismus, andererseits beschuldigen die radikalen Islamisten die Bürger, die sich ihnen nicht anschließen, als Komplizen der Regierung.

Auf die Art haben sich auch die politischen Parteien in den 1990ern zwischen Regierungstreue und Islamismus aufgeteilt, während die Zivilgesellschaft keine klare Partei ergriff.

Die Persona Abduwali Qori Mirsajew

In den 1990ern weitete der usbekische Staat seine Kontrolle auf alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kreise aus. In der Zeit sind aber auch einige charismatische, gebildete und rhetorisch begabte islamistische Ideologen auf der Bildfläche erschienen, wie zum Beispiel Abduwali Qori Mirsajew und Dschuma Namangani.

Letzterer wurde er später als Kopf einer terroristischen Gruppierung bekannt. Mirsajew hingegen war der wohl wichtigste islamistische Ideologe Zentralasiens. Trotz seiner teils sehr radikalen Ansichten hat er nie zum bewaffneten Aufstand aufgerufen und an keinen terroristischen Taten teilgenommen. Nachdem er 1995 am Taschkenter Flughafen „verschwand“, entstand ein starker Mythos um seine Person.

Die Regierung wurde verdächtigt, Mirsajew beseitigt zu haben, was von radikalen Islamisten instrumentalisiert wurde. Posthum erreichten seine Reden ein noch weiteres Publikum. Heute noch wird er regelmäßig von zentralasiatischen oder uigurischen radikalen Ismalisten zitiert.

Von Mirsajews Ende zur Islamischen Bewegung Usbekistans

Der Kult um den „Märtyrer“ Mirsajew wurde vor allem von der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) getragen. Diese wurde 1998 gegründet und organisierte mehrere Anschläge in Usbekistan und im Ferganatal, ehe sie sich nach Afghanistan zurückzog. Sie  bediente sich aktiv bei Mirsajews Reden, um weitere Dschihadisten in Afghanistan zu gewinnen.

Die IBU profitierte auch von der Stärkung der Taliban in Afghanistan und der Schwächung Tadschikistans durch den Bürgerkrieg. Sie wurde zum Sicherheitsrisiko nicht nur für Usbekistan, sondern auch für die Nachbarländer. Neben Anschlägen in Taschkent (1999) und Angriffen in verschiedenen Regionen Usbekistans versuchte sie sogar, die bergigen Gebiete von Surchan-Darija an der Grenze zu Afghanistan zu kontrollieren.

Erst nach dem 11. September 2001 verlor die IBU allmählich an Bedeutung. Usbekistan gelang es, sie auf die Liste der internationalen terroristischen Organisationen zu setzen. Daraufhin neutralisierte die amerikanische Armee nach und nach die wichtigen Anführer und Kämpfer der Bewegung.

Mit der Zeit hat sich die Bewegung zersplittert. Laut einigen Medienberichten schaffte es ein vermeintlicher V-Mann der usbekischen Sicherheitsdienste sogar, Befehlshaber der IBU zu werden. So bekundete eine stark angeschlagene IBU im August 2015 ihre Treue zum Islamischen Staat.

Lest auch bei Novastan: Der Mythos des Islamischen Staats in Zentralasien

Diese Allianz birgt für die IBU ein großes Risiko, denn sie bewegt sich überwiegend in von den Taliban kontrollierten Gebieten. Im Dezember 2015 schien ihr Zerfall entgültig zu sein, als ein Bild der Leiche ihres Emirs Usman Gasi veröffentlicht wurde. Eine Warnung der Taliban gegenüber anderer Bewegungen, die eine Annäherung an den Islamischen Staat erwogen.

Eine zerstreute Islamistische Szene

Die Geschichte der IBU ist ein wichtiger Moment in der Entwicklung des Terrorismus in Usbekistan und in Zentralasien. Als sie noch eine richtige politische Bewegung war, versammelte sie in der Region einen großen Anteil derer, die bewaffneten Wiederstand gegen ihre Regierung leisten wollten. Die IBU war eine Rebellionsbewegung mit klaren Zielen, wie der Errichtung eines islamischen usbekischen Emirats in Zentralasien.

Paradoxalerweise hat die Zerstreuung der IBU die Lage nicht sicherer gemacht. Ohne diesen politischen Anhanltspunkt sind viele usbekische Kämpfer ganz von ihrem Land und ihrer Region getrennt und finden sich in Syrien wieder, ein Umfeld ohne Belang für ihre politische Vision und ihre persönliche Geschichte.

Diese politische Desorientierung ist der Hauptgrund für den Einsatz usbekischer Kämpfer in tödlichen Missionen fern von Zentralasien. Zerstreut sind sie schwieriger zu erfassen, denn sie folgen verschiedenen Organisationen. Viele finden sich in Kämpfen wieder, die nichts mit Zentralasien zu tun haben: Ein vermeintlicher Sieg für den usbekischen Staat, aber ein Desaster für viele andere.

Der kontraproduktive Kampf gegen den Radikalismus

Usbekistan hat eine sehr weitreichende Politik gegen den islamischen Radikalismus. Einerseits garantiert der Staat seinen Bürgern, dass sie einen offiziellen Islam praktizieren können, indem er die Moscheen durch staatlich ausgebildete Imame kontrolliert. Andererseits sagt er dem politisierten Islam konsequent den Kampf an.

So kam es zu einer Teilung zwischen den Muslimen, die ihrem Glauben auf persönlicher Ebene folgen und dem politisierten Islam. Auch wurde der „offizielle Islam“ stets unterstützt, während jede religiöse Äußerung, die sich der politischen Kontrolle entzieht, streng unterdrückt wurde.

Die durch die Sowjetunion stark säkularisierte Zivilgesellschaft begrüßt diese Initiativen und unterstützt den Staat in dessen Kampf gegen den Radikalismus. Aber dieser Kampf um jeden Preis und seine Instrumentalisierung gegen viele Regimekritiker hat gleichzeitig die Radikalisierung mancher Muslime in Usbekistan verursacht.

Zwei usbekische Diaspora

Als Konsequenz dieser repressiven Politik verließen zuerst viele radikalisierte Usbeken das Land. In Ländern wie der Türkei, Russland und in Europa haben sich zwei verschiedene usbekische Diaspora entwickelt: Eine widersetzt sich offen dem usbekischen Staat und ist oft vom politischen Islam geprägt, die zweite ist eher apolitisch oder gibt ihre politischen Einstellungen nicht preis.

Die vom politischen Islam geprägte Diaspora ist heute gut organisiert, solidarisch und aktiv innerhalb der usbekischen Gemeinschaften. Dies führt zu einer immer stärkeren Radikalisierung der Usbeken im Ausland. Über das Internet erfährt diese Entwicklung auch ein Echo innerhalb Usbekistans.

Die apolitische Diaspora ist hingegen eher zerstreut und verfolgt in erster Linie wirtschaftliche Interessen.

Der religiöse Konservatismus in der usbekischen Gesellschaft

Die zweite Folge der repressiven Politik des usbekischen Staats ist, dass der radikalisierte Teil der Gesellschaft, der das Land nicht verlassen konnte oder wollte, unter dem Dach des offiziellen Islam weiterbesteht. Innerhalb dieses Rahmens wirbt diese Gemeinschaft durch „Soft Power“ für einen streng konservativen Islam.

Von den 2000er- Jahren bis heute ist an vielen Stellen ein „softe“ Radikalisierung in Usbekistan gelungen, insbesondere durch die Verknüpfung von Islam und Wirtschaft. Unter den usbekischen Händlern und Unternehmern ist ein mächtiges Netzwerk entstanden, dass das Vorbild von Geschäftsmännern verbreitet, die dank ihrer Frommheit erfolgreich geworden sind.

Konservativer Islam in Mode

Gegenüber der Globalisierung und der immer fremdenfeindlicheren Diskurse der russischen Gesellschaft gegen die Zentralasiaten ist der konservative Muslim ein Rollenmodell für nicht-russifizierte und nicht westlich geprägte Usbeken geworden.

Diese „Mode“ wurde mit der Ankunft des Scheichs Muchammad Sodiq Muchammad Jusuf, dem ersten Mufti des unabhängigen Usbekistans, weiter gestärkt. Das charismatische und konservativ eingestellte religiöse Oberhaupt des Landes hat es geschafft, Gläubige verschiedener gesellschaftlicher Umfelder um sich zu versammeln. Sein religiöses Verständnis stützt sich auf die fundamentalen Texte, lässt aber auch Raum für lokale Traditionen und Bräuche.

Der mächtige Scheich Muchammad

Der Scheich hat es geschafft, die ständigen und teils gewalttätigen Konflikte zwischen usbekischen Sufis und Salafisten zu besänftigen. Er hat eine Art hybriden Islam verbreitet, der salafistische und sufistische Elemente verbindet und der staatlichen Politik treu bleibt.

Der Scheich Muchammad erhielt auch Unterstützung von der Regierung, um radikale Gläubige um sich zu versammeln und ihre Flucht zu terroristischen Organisationen zu stoppen. Er unterhielt ein Netzwerk von Geschäftsmännern, politischen Persönlichkeiten und islamischen Denkern in Usbekistan und in der ehemaligen Sowjetunion.

Direkter Draht nach oben

Mehrere Internetseiten wurden erschaffen, auf denen der Scheich öffentlich auf Fragen der Öffentlichkeit antwortete. Ein solch direkter Draht war für Usbekistan eher ungewöhnlich und wurde ein großer Erfolg. Seit dem Tod von Abuwali Qori Mirsajew in den 1990ern hatte keine religiöse Persönlichkeit mehr einen solchen Enthusiasmus geweckt.

Der Scheich verstarb jedoch im März 2015 an einem Herzinfarkt. Die große Trauergemeinde, die zu Scheich Muhammads Beerdigung erschien, verdeutlichte seine bedeutende Rolle in der Gesellschaft.

Für den usbekischen Staat war dieser Einfluss des Scheichs jedoch ein zweischneidiges Schwert. Er und seine Schüler haben es zwar geschafft, viele Gläubige um sich zu versammeln, andererseits haben sie unter den Muslimen der usbekischen Gesellschaft ein Modell gefördert, in dem ein konservativer Gläubiger chauvinistisch und dogmatisch sein soll und immer den Befehlen der religiösen Autoritäten folgen soll.

Vom Konservatismus zur Radikalisierung

Der mächtige Einfluss des Scheichs hat sich nach dessen Tod auf seine Schüler und andere religiöse Akteure aufgeteilt. Seine Schüler vertreten verschiedene Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Islam und Politik. Manche schreiben den religiösen Angelegenheiten einen –verfassungswidrigen– Einfluss auf die politischen und öffentlichen Angelegenheiten zu.

Eines der bekanntesten Beispiele ist die Erklärung eines Taschkenter Imams an den Gouverneur mit der Aufforderung, keine männlichen Frauenärzte mehr auszubilden. Eine solche Erklärung ist bei weitem kein Einzelfall.

Auf dieser religiös-konservativen Ebene findet sich auch die erste Stufe der Radikalisierung auf Grundlage sehr strikter religiöser Auslegungen. Der nächste Schritt ist die massive Auswanderung von Usbeken nach Russland, Kasachstan, in die Türkei oder nach Europa, wo die radikalisierten Diasporas diese konservativen Ansichten nutzen, um die Neuankömlinge für ihre Ideen zu gewinnen.

Die staatliche Repression als Problem, das vorgibt die Lösung zu sein  

Die Politik spielt auch eine wichtige Rolle in der Radikalisierung. Zum Ende der 1990er begann die usbekische Regierung, politische Gegner unter religiösem Vorwand zu verurteilen. Später haben sich aber die Gegner selbst auf die wachsende Radikalität gestützt. Der Islam wurde zu einer Oppositionsideologie gegen den säkularen Staat.

Am Ende der 1990er hat der Erfolg der IBU somit viele Regierungsgegner zur Radikalisierung gedrängt. Es gab sogar Gerüchte, Muchammad Salih, der Chef der usbekischen Opposition, sei eine Allianz mit Tahir Juldasch, dem Chef der IBU, eingegangen. Die Information wurde aber nie bestätigt.

Salih hat wie viele Oppositionelle mit dem politischen Islam geliebäugelt, vor allem während des Arabischen Frühlings. Sein Versuch, eine Art usbekische Muslimbrüder ins Leben zu rufen, scheiterte aber an seinem kläglichen Ruf.

Der Informationskrieg des usbekischen Staats

Bezüglich  des Anstiegs des politischen Islams innerhalb der Opposition und der Diaspora hat der usbekische Staat konsequent die Diaspora beschuldigt, terroritischen Organisationen nahe zu stehen. Diese stark politisierte Darstellung stützt sich auf reale Elemente, besonders in der Türkei und in Schweden, vor deren Diaspora Usbekistan mehrfach gewarnt hat.

Die unklare Kommunikation und vor allem der mangelnde Dialog zwischen Usbekistan und den anderen Staaten wird aber von den usbekischen Islamisten ausgenutzt. Manche nutzen auch die europäischen Rechtsstaaten und deren Verständnis der Menschenrechte aus, um sich als politische Flüchtlinge dorthin abzusetzen.

Radikale usbekische Gruppierungen im Ausland

Im Fall des Anschlags in Stockholm hatte Usbekistan die schwedischen Behörden indirekt vor dem Profil von Rachmat Akilow gewarnt. Gleichzeitig arbeiten in Schweden viele Filialen sehr radikaler Organisationen, die sich als nicht gewalttätig darstellen. Ein Beispiel ist Hisb-ut Tahrir, das für seine radikalen Ideen zur Erschaffung eines weltweiten islamischen Kalifats bekannt ist. Die Organisation ruft zu einem friedfertigen Dschihad auf, jedoch mit sehr radikalen Ansichten.

Hisb-ut Tahrir wird in manchen Fällen zu einem Ausbildungszentrum für den bewaffneten Dschihad. Die usbekischen Mitglieder der Organisation betreiben von Schweden aus eine sehr breite Propaganda im Internet und auf sozialen Netzwerken. Diese Propaganda ist in Zentralasien, wo auf öffentlichen Plattformen wenig über Politik geredet wird, sehr effektiv.

Die Vernachlässigung der lokalen Sprachen

Neben der Repressionen profitieren die Islamisten auch von der niedrigen Stellung der lokalen zentralasiatischen Sprachen. Die Vermittlung dieser Sprachen steht der des Russischen nach, das als Sprache der Elite und der Intelligentsia wahrgenommen wird. Diese Vernachlässigung wird von der islamistischen Propaganda ausgenutzt.

Die Abwertung derer, die nur Usbekisch sprechen können, zieht eine weitere Trennlinie durch die usbekische Gesellschaft. Die russischsprachigen Usbeken sind eher Russland und dem Westen zugewandt, während die anderen eher traditionell und konservativ eingestellt sind.

Terroristische Gruppierungen, radikale Organisationen und religiöse Akteure nutzen diese Teilung aus, um die niedrigen Gesellschaftsschichten anzuziehen. Die Berichterstattung der usbekischen Medien infolge des Anschlags in Sankt Petersburg ist in der Hinsicht charakteristisch: Russischsprachige Nachrichten folgten meist den Berichten der offiziellen russischen Medien, während usbekischsprachige Berichte oft den politischen Stellungnahmen Russlands widersprachen und auf den Nationalismus und den religiösen Konservatismus anspielten.

Ein Graben zwischen den gesellschaftlichen Schichten

Den gesellschaftlichen Graben in Usbekistan hat es immer gegeben, aber zuvor hatten die usbekischsprachigen Schichten keinen Zugang zu Plattformen, auf denen sie ihre gesellschaftlichen Meinungen teilen können. Unter ihnen sind auch politisiertere religiöse Führer, die sich als Führer der nicht russifizierten einfachen Schichten sehen. Politisiert haben sie sich weder über Russland, noch über den Western, sondern über andere politische Zentren wie die Türkei, Ägypten und die Golfsstaaten. Sie bilden den alternativen Teil, der sich für den Schutz der muslimischen Identität gegen Russland und den Western einsetzt.

Trotz eines schnellen sozialen Wandels bleibt die usbekische Gesellschaft tief traditionell und stützt sich auf die Philosophie eines rationalistischen Sufi-Islams. Entwickelt sich die Lage aber so weiter, könnte dies zu einer Radikalisierung der usbekischen Gesellschaft über den religiösen Konservatismus führen, da die Gesellschaft immer stärker auf die Rufe der Geistlichen hört.

Die brutale Repression der radikalen Elemente und der politischen Gegner ist nicht mehr so effektiv wie zuvor. Mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien würde jede Festnahme oder jeder Druck auf eine religiöse Persönlichkeit ein starkes Echo erfahren.

Fünf Erklärungen für die Radikalisierung in Usbekistan

Im Großen und Ganzen ist die Beteiligung ethnischer Usbeken und usbekischer Staatsbürger A terroristischen Anschlägen das Ergebnis vieler verschiedener Faktoren. Zuerst hat die Repression des usbekischen Staats eine radikalisierte Diaspora im Ausland gefördert, während der radikale Islam im Land sich weiter entwickelte.

Auch die gesellschaftliche Kontrolle innerhalb des Landes zwingt radikale Elemente zur Auswanderung. Die Zersplitterung der IBU hat die islamistische Szene schwerer greifbar gemacht und sie auf der Welt verteilt, auch im sogenannten Islamischen Staat.

Der fünfte Faktor ist die Radikalisierung der neu emigrierten Usbeken, die besonders in Russland wenig Wertschätzung erfahren. Die Theorie, laut der die Usbeken sich in Usbekistan radikalisieren, bevor sie direkt nach Syrien ziehen, trifft daher in den wenigsten Fällen zu.

Politische Reform notwendig

In dieser sensiblen Lage ist es wichtig, dass der Staat seine säkulare Gesetzgebung stärker zur Geltung forciert und eine vielfältige Zivilgesellschaft entstehen lässt. Ohne gesellschaftliche Alternativen wird es unmöglich sein, die konservativ eingestellten Massen zu erreichen, die ansonsten eine Zeitbombe darstellen.

Die Entwicklung einer säkularen, rationellen, ideologisch diversen und von religiösen Dogmen getrennten Intelligentsia kann dem Staat dabei helfen, den unterschwelligen Radikalismus der usbekischen Gesellschaft zu bekämpfen. Dafür muss der Staat sich seinerseits aber  den sozialen Problemen zuwenden.

Seit der Wahl im Dezember führt der neue Präsident Schawkat Mirsijojew eine transparentere Politik und geht auf die einfachen Gesellschaftsschichten zu. Diese populistische Politik muss aber zu einer wahren Grundsatzpolitik mit konkreten Lösungen werden.

Die großen Probleme der usbekischen Gesellschaft, wie die Ungleichheiten zwischen Stadt und Land, die Bildung und vor allem die allgegenwärtige Korruption müssen ernster genommen werden und es müssen dauerhafte Lösungsvorschläge für die Bevölkerung gefunden werden. Die religiöse Radikalisierung wird vor allem von dem sozialen Chaos und den verbreiteten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten angetrieben, mehr noch als durch die Armut und die schlechte Bildung.

Akhmed Rahmanov
Forscher am Zentrum für Studien der regionalen Sicherheit in Taschkent

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

Noch mehr Zentralasien findet Ihr auf unseren Social Media Kanälen, schaut mal vorbei bei TwitterFacebookTelegramLinkedin oder Instagram.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.