Samarkands berühmte Nekropole Shohizinda, Welterbe der UNESCO, ist durch unsachgemäße Restaurierungsarbeiten bedroht. Der folgende Beitrag erschien im russischsprachigen Original auf Fergana News. Wir übernehmen ihn in gekürzter Fassung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Die Nekropole Shohizinda, die zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Samarkand gehört, wird zerstört. Durch die Restauraturarbeiten bekamen viele Wände Risse; die meisten Details sind lediglich Reproduktionen. Nicht nur die Zeit schonte das Objekt, welches schon der Pionier der Farbfotografie Sergej Prokudin-Gorskij festhielt, sondern auch die Menschen, die für den Erhalt der Geschichte des Landes arbeiteten. Dimitrij Kostjuschkin, ein Spezialist für die Geschichte Samarkands, berichtet über die Zerstörung des Komplexes.
Der Cousin des Propheten
Die Nekropole Shohizinda, deren persischer Name „lebender Kaiser“ bedeutet, ist zweifelsohne seit einem ganzen Jahrtausend eine der Perlen der Architektur und des geistigen Lebens von Samarkand. Das architektonische Ensemble entstand am Anfang des 11. Jahrhunderts noch unter den ersten Herrschern der Karachaniden-Dynastie. Der Komplex ist ein bedeutendes Heiligtum des Islam, denn hier befindet sich das legendäre Grab von Kusam ibn Abbas, jenes Cousins des Propheten Mohammed, der als erster das Banner des Islam nach Transoxanien trug. Der Legende nach ist er in Samarkand während des Gebets von Ungläubigen getötet worden. Laut einer Version der Geschichte fuhr der Verwandte des Propheten als Märtyrer in den Himmel auf, nach einer anderen versteckt er sich in einem heiligen Brunnen. Der „lebende Kaiser“ Kusam ibn Abbas werde demnach zurückkehren, wenn der Islam in Gefahr sei.
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In vormongolischer Zeit, als Sufismus und Heiligenkult in Zentralasien populär waren, entstand in der prähistorischen Siedlung Afrosiyob (der „Vorläufer“ von Samarkand, Anm. d. Ü.) ein für die Verhältnisse des Mittleren Ostens großes Religions- und Bildungszentrum. Dieses hatte einen großen Einfluss auf die Entstehung der religiösen Kultur und der Entwicklung der Bevölkerung der gesamten Region. Das heilige Zentrum bildete die Nekropole der Karachaniden-Dynastie, an deren Stelle im 14. und 15. Jahrhundert das bestehende architektonische Ensemble der Familienmausoleen aus der Zeit der Timuriden entsteht.
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Im Gegensatz zu den monumentalen Denkmälern Samarkands, wie dem Registon-Platz oder dem Mausoleum Gur-Amir, welche noch die Altstadt dominieren, lassen sich die Schätze Shohizindas nicht sofort erschließen. Hier kann man Treppen hochsteigen, die um Wende des 20. Jahrhunderts auf den Fotografien Prokudin-Gorskijs oder den Gemälden Pawel Benkows festgehalten wurden. Es gehört zur Tradition die Stufen zu zählen während man die Treppen rauf oder runter geht. Wenn beim Rauf- und Runtergehen die Zahl identisch ist, erfüllt sich ein geheimer Wunsch. Auf diese Weise gelangt man in eine schmale Galerie wunderschön verzierter Mausoleen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und spürt schließlich den Geist der Zeit, den schon die meisten Denkmäler Usbekistans durch die barbarische Renovierungen der jüngsten Zeit verloren haben. Nördlich und nordwestlich von Shohizinda befindet sich ein Friedhof gleichen Namens.
Auch die UNESCO ist machtlos
Aufgrund solch archäologischer Denkmäler wie die prähistorische Siedlung Afrosiyob, deren Alter auf 2800 Jahre geschätzt wird, oder solcher authentischer architektureller Ensembles wie die Nekropole Shohizinda hat die UNESCO 2001 Samarkand in die Liste des Welterbes eingetragen. Doch nur drei Jahre später bereute die internationale Organisation ihre Entscheidung.
Im Bericht der Beobachtergruppe von Aynura Tentijewa (UNESCO World Heritage Center) und Nur Akin (ICOMOS) vom Dezember 2007 können wir folgendes lesen: „Die Kriterien, nach denen Samarkand in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde, umfassen nicht nur herausragende architektonische Ensembles wie den Registon-Platz und die Bibi-Hanum-Moschee, sondern auch Elemente der historischen Stadtlandschaft von Samarkand ab dem 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart.“
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Weiter heißt es unter dem Punkt zur Nekropole: „Im Oktober 2004 wurden umfassende Restaurierungsarbeiten im Komplex Shohizinda ohne vorherige Ankündigung oder Genehmigung durch das Welterbe-Kommitee begonnen. Auf der 29. Tagung (Durban 2005) bat das Welterbe-Komitee die Behörden Usbekistans, eine vollständige Dokumentation über die umfangsreichen Restaurierungsarbeiten und das Städtebauprogramm vorzulegen, welche die Integrität und Echtheit des Objekts ernsthaft beeinträchtigen. In Übereinstimmung mit dem Auftrag des Komitees besuchten im März 2006 die Experten von ICOMOS unter Beteiligung des Leiters des UNESCO-Büros in Taschkent das Denkmal. Die Mission war der Ansicht, dass der Verlust der Authentizität durch die jüngsten Arbeiten im Komplex Shohizinda alarmierend ist, und dass alle Entscheidungen in Bezug auf die Entwicklung und Erhaltung in Zukunft auf einem Plan der Organisation basieren sollten.“
Außerdem wurde festgestellt, dass das Welterbe-Kommitee für den Fall, dass ein Vertragsstaat den oben genannten Empfehlungen nicht Folge leistet, beschließen kann, dieses Objekt in die Liste des gefährdeten Weltkulturerbes aufzunehmen.
Die „Restaurationsarbeiten“ von 2004
Dem Bericht zufolge bot sich den ExpertInnen von UNESCO und ICOMOS ein äußerst unerfreuliches Bild. Aber was in den düsteren Oktobertagen 2004 vor meinen Augen geschah, ist immer noch wie ein Alptraum. Es genügt, sich nur die Video- und Fotoaufnahmen vom Ort dieses Verbrechens anzusehen, welches in meiner Heimatstadt an dem von mir am meisten geliebten und verehrten Denkmal stattfand.
An der archäologischen Stätte arbeitete schweres Gerät, das mehrere Meter Bodenschicht neben den mittelalterlichen Mausoleen abtrug. Die Genehmigung für archäologische Arbeiten, die nur mit den maximal zulässigen Schaufeln durchgeführt werden dürfen, muss von der staatlichen Inspektion für Denkmalschutz und erteilt werden und alle Arbeiten am Denkmal müssen mit dem Institut für Archäologie der Akademie der Wissenschaften Usbekistans abgesprochen werden.
Und im konkreten Fall auch mit der UNESCO, denn das scheinbar nutzlose Ödland hinter dem Siyob-Basar ist nichts anderes als das erste Samarkand – die Hauptstadt der sogdischen Herrscher, danach Teil des Achämeniden-Reiches und noch viel später des Arabischen Kalifats. Eine Stadt, die fast 3000 Jahre alt ist, die Alexander der Große eroberte und Tschingis Khan vor 800 Jahren im Frühjahr 1220 endgültig zerstörte.
An den Mausoleen des 14. und 15. Jahrhunderts, an denen man Pinsel und Spatel benutzen sollte, arbeiteten mit Hacken und Schaufeln die „Bau-Spezialisten und Restaurateure“ unserer Tage – einfache Tagelöhner. Das Außendekor und das Interieur wurden, wie wir aus dem oben genannten Bericht entnehmen können, im besten Fall durch Reproduktionen ersetzt. Es wurden minderwertige Fliesen und chemische Farben eingesetzt – Techniken, die bei der Restaurierung verboten sind. All diese „Schönheit “ begann buchstäblich nach ein paar Jahren abzublättern und abzufallen.
Shohizinda muss gerettet werden
Es dauerte eine paar Jahre und mein Ärger und die Enttäuschung ließen nach. Aber in den letzten Jahren bemerkte ich bei jedem Gang nach Shohizinda, dass sich der Zustand vieler Mausoleen verschlechterte. Schuld daran sind die Reparaturarbeiten, die all die Jahre ohne jedwede sachverständige Bewertung und ohne Überwachung vonstattengingen (zum Beispiel im Sommer 2017 an der Eingangshalle zum Kusam-ibn-Abbas-Komplex).
Besonders das Mausoleum von Shohizindas heiligstem Heiligen Kusam ibn Abbas beunruhigt, da an dessen Süd- und Nordwänden Risse bestehen und weiterwachsen. Sie zeugen vom Absinken des Fundaments sowie von den Ergebnissen der „klugen“ Entscheidung, ein Fenster und eine Wandöffnung zu durchbrechen.
Aber als ich dieses Jahr Anfang März einen Riss im inneren der Kuppel des schönsten und am besten erhaltenen Mausoleums bemerkte, das 1372 von Timurs Schwester Kutlug-Turkan-oka für ihre Tochter Uljay Shadi-Mulk-oka gebaut wurde, wurde offensichtlich, dass die Situation in Bezug auf den Erhalt der Nekropole einen kritischen Punkt erreicht hat.
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Die ersten Rückschlüsse sind sehr enttäuschend, denn die Risse in der Konstruktion der Kuppel deuten darauf hin, dass die Gesamtkonstruktion des Mausoleums und vor allem das Fundament nicht sicher ist. Hinzu kommen vier massive Neubauten aus gebrannten Ziegeln, die in jenem unglücklichen Jahr 2004 auf den alten Fundamenten der zerstörten Gebäude in unmittelbarer Nähe des Mausoleums errichtet worden waren und ein negatives Bild hinterlassen.
Und leider gibt es viele Beispiele für ähnliche nachlässige, gedankenlose und schädliche Aktivitäten an Samarkands architektonischen Denkmälern aus verschiedenen Epochen. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel — die vom Architekten Nelle entworfene Villa aus dem Jahr 1916, in der sich jetzt das Heimatmuseum der Stadt befindet. Der Anbau einer zweistöckigen (!) Toilette auf der linken Seite des Hauptgebäudes des Museums hat das historische Gebäude unwiderruflich entstellt.
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Um dieses äußerst ernste Problem zu lösen, muss man nicht nur die Aufmerksamkeit der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft und der qualifizierten RestaurateurInnen erregen, sondern auch alles Notwendige tun, damit diese nach Samarkand kommen und Feld- und Laboruntersuchungen beginnen. Dies ist notwendig, um die beginnenden Schäden im gesamten architektonischen Komplex Shohizinda – ein Denkmal des Weltkulturerbes – zu beseitigen. Das Meisterwerk muss für zukünftige Generationen erhalten werden. Sonst werden unsere Nachkommen nur aus alten Fotos, Wikipedia-Artikeln und historischen Essays über Shohizinda Bescheid wissen.
Dimitrij Kostjuschkin für Fergana News
Aus dem Russischen von Robin Roth
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