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Wege durchs Verkehrschaos: Zentralasiens Kampf mit dem urbanen öffentlichen Nahverkehr

Verkehrsstaus sind in der ganzen Welt ein großes Problem in urbanen Zentren, da die Fahrzeugemissionen die Luftqualität verschlechtern und erhebliche Umwelt- und Gesundheitsprobleme verursachen. Die Regierungen in Zentralasien haben sich nur langsam auf diese Realität eingestellt. Zwar versuchen die Behörden in mehreren großen Städten durch Investitionen in prestigeträchtige Bahnprojekte – darunter Stadtbahnen und U-Bahnen – gegenzusteuern, doch insgesamt bleiben die öffentlichen Verkehrsmöglichkeiten begrenzt.

Oberleitungsbus in Duschanbe

Verkehrsstaus sind in der ganzen Welt ein großes Problem in urbanen Zentren, da die Fahrzeugemissionen die Luftqualität verschlechtern und erhebliche Umwelt- und Gesundheitsprobleme verursachen. Die Regierungen in Zentralasien haben sich nur langsam auf diese Realität eingestellt. Zwar versuchen die Behörden in mehreren großen Städten durch Investitionen in prestigeträchtige Bahnprojekte – darunter Stadtbahnen und U-Bahnen – gegenzusteuern, doch insgesamt bleiben die öffentlichen Verkehrsmöglichkeiten begrenzt.

Zweimal täglich zur Hauptverkehrszeit steht Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikistans, still. Die breiten Prachstraßen aus Sowjetzeiten sind komplett verstopft. Die Stadt hat mit massiven Verkehrsproblemen zu kämpfen, verschärft durch eine Bevölkerung, die sich seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 verdoppelt hat. Der Autobesitz ist sogar noch schneller gestiegen – er hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die bestehende Infrastruktur kann mit diesem rasanten Wachstum nicht Schritt halten, und die daraus resultierenden Umweltprobleme durch Fahrzeugemissionen haben die Luftqualität in Duschanbe stark beeinträchtigt.

Um den Herausforderungen der raschen Urbanisierung zu begegnen, prüfen die Behörden den Bau eines U-Bahn-Systems. Da das Know-how für den Bau dieser Infrastruktur im eigenen Land praktisch nicht vorhanden ist, hat sich die Regierung an Südkorea gewandt. Im Jahr 2022 unterzeichnete das tadschikische Verkehrsministerium eine Absichtserklärung mit der South Korean National Railway Corporation, der südkoreanischen Eisenbahngesellschaft, um die Machbarkeit des Projekts zu prüfen. Mitte 2025 will das Ministerium mit der detaillierten Planung für den Bau der ersten U-Bahn-Linie in Duschanbe beginnen.

Marschrutkas in Taschkent

Städtische Schienenverkehrssysteme haben klare Vorteile gegenüber beispielsweise Bussen oder Oberleitungsbussen, da es Verkehrsstaus und Luftverschmutzung effektiv verringert und eine viel höhere Kapazität als die meisten anderen Verkehrsmittel hat. Außerdem sind sie ein Zeichen des Fortschritts, weshalb viele dieser Projekte oft auch Prestigeprojekte sind. Jedoch kann ein U-Bahn-System Busse und andere weniger auffällige Formen des öffentlichen Nahverkehrs nicht ersetzen, insbesondere in Gebieten, in denen der Bau eines städtischen Schienennetzes wirtschaftlich unrentabel ist.

Oberleitungsbusse – eine vom Aussterben bedrohte Art?

In Naryn, einer Provinzhauptstadt in Zentral-Kirgistan, haben die örtlichen Gesetzgebenden vor kurzem beschlossen, das Oberleitungsbussystem der Stadt abzuschaffen. Naryn liegt auf einer Höhe von knapp über 2000 Metern und verfügte über das höchstgelegene Oberleitungsbusnetz der Welt – eine lokale Besonderheit und Touristenattraktion für Fans des öffentlichen Nahverkehrs. Aufgrund des sich verschlechternden Zustands der Infrastruktur und der hohen Wartungskosten stimmte der Stadtrat jedoch dafür, den Betrieb einzustellen. Als Ersatz sollen zehn Dieselbusse angeschafft werden, die natürlich zur Luftverschmutzung beitragen werden.

Die Entscheidung in Naryn folgt auf die Ankündigung, dass auch Kirgistans Hauptstadt Bischkek seine große Oberleitungsbusflotte abschaffen werde. In einem kürzlich erschienenen Bericht des kasachstanischen Nachrichtenportals Vlast wird darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung auf erheblichen Widerstand stieß, da die kirgisische Regierung von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) langfristige finanzielle Unterstützung für die Modernisierung des Netzes erhalten hatte. Aus ungeklärten Gründen entschieden sich die lokalen Behörden dafür, die Flotte durch neue Elektrobusse zu ersetzen, eine Umstellung, die von der Asiatischen Entwicklungsbank mitfinanziert wurde. Um den Kreditvertrag mit der EBWE nicht zu verletzen, „gab das Bürgermeisteramt in Bischkek an, den Kredit der EBWE zurückgezahlt zu haben, was im Grunde bedeutet, dass die Stadt zwei Kredite für ein und dasselbe Verkehrssystem bezahlte, da der Betrieb der Oberleitungsbusse am 8. November eingestellt wurde.

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Die Behörden haben beschlossen, den größten Teil der alten Oberleitungsbusflotte in andere Städte Kirgistans zu verlegen, ein Schritt, den viele Kritiker als „Ablenkung für die Unzulänglichkeit des gesamten Projekts“ bezeichnet haben. Vlast berichtete, dass die Verlegung dieser Busse „die lokale Nachfrage und die Aufnahmekapazität der lokalen Infrastruktur bei weitem übersteigt“. Dennoch wurden rund einhundert Oberleitungsbusse nach Osch, der zweitgrößten Stadt des Landes, transportiert. Osch betreibt nun das einzige verbliebene Oberleitungsbusnetz des Landes.

Es war auch die Rede davon, Busse und Infrastruktur, wie zum Beispiel. elektrische Umspannwerke, nach Batken, Kara-Balta und Tokmok zu verlegen – Stäfte ohne aktives Obusnetz. Auch Naryn erhielt sechs Oberleitungsbusse, obwohl diese nach dem jüngsten Beschluss des Stadtrats dort nicht mehr benötigt werden. Letztendlich werden die meisten Fahrzeuge wohl in den örtlichen Lagern vor sich hin rosten. Unterdessen haben Aktivisten in Bischkek rechtliche Schritte eingeleitet, um das Oberleitungsbusnetz der Stadt vor der völligen Demontage zu bewahren.

Oberleitungsbus in Duschanbe

Eine UN-Kommission schätzt, dass Oberleitungsbusse 40 Prozent weniger kosten als der Betrieb von Elektrobussen. Dennoch sind die Kommunalverwaltungen in Zentralasien gezwungen zu improvisieren, wenn sie die Kontrolle über den öffentlichen Nahverkehr in den Städten zurückgewinnen wollen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Mittel für die kommunalen Verkehrssysteme fast vollständig gestrichen. Der Rückgang des öffentlichen Nahverkehrs führte zu privaten Alternativen wie informell betriebenen  Minibusse, die gemeinhin als Marschrutkas bekannt sind. Diese folgen in der Regel den Strecken bekannter Buslinien, haben jedoch den Vorteil auch enge und holprige Straßen in Vororten oder abgelegenen Stadtteilen bedienen zu können. Dies ist mit den Obussen nicht möglich ist. Kurz gesagt: Die Marschrutkas bieten einen besseren Service, für den viele auch bereit sind zu zahlen.

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Eine weitere Herausforderung für den öffentlichen Nahverkehr in Zentralasien ist der Aufstieg von Ridesharing-Apps wie YandexGo [Anm. d. Ü.: vergleichbar mit Uber]. Im Vergleich zu anderen innerstädtischen Transportmöglichkeiten bieten Ridesharing-Apps im Allgemeinen mehr Komfort. Laut einem Artikel von The Diplomat greifen viele Städte, in denen YandexGo noch nicht verfügbar ist, auf klassische Taxis mit Taxameter zurück: „Kund:innen müssen dort ein Callcenter anrufen, um über einen:eine Betreiber:in mit einem:einer Fahrer:in verbunden zu werden. Diese:r fragt nochmals nach Standort, Ziel, Mitfahrenden und Gepäck – und gibt meist eine ungefähre Wartezeit an.

Die Rückkehr der Straßenbahn

Nicht nur Oberleitunsbusse sind vom Niedergang des öffentlichen Nahverkehrs in Zentralasien betroffen, sondern auch das städtische Schienenverkehrssystem ist vielerorts verschwunden. Taschkent verfügte einst über eines der größten Straßenbahnnetze der Sowjetunion, das jedoch bis 2016 komplett stillgelegt wurde. Die verbliebenen Straßenbahnen wurden nach Samarkand gebracht, wo 2017 ein „neues“ System unter Nutzung der alten Infrastruktur eröffnet wurde. In Taschkent scheint man diese Entscheidung inzwischen zu bereuen: Laut Kun.uz wurde bei einem Staatsbesuch von Präsident Shavkat Mirziyoyev in Frankreich am 12. März 2025 ein Abkommen mit dem französischen Unternehmen Alstom geschlossen, das eine knapp zehn Kilometer lange Straßenbahnstrecke bauen soll.

In Zentralasien gibt es nur noch eine Handvoll aktiver Straßenbahnnetze, von denen die meisten dringend gewartet werden müssen. In Öskemen, ehemals Ust-Kamenogorsk, der inoffiziellen Hauptstadt von Ostkasachstan, wurde der Straßenbahnbetrieb 2018 aufgrund der Insolvenz des Betreibers eingestellt. Mit Hilfe der Regionalregierung konnte der Betrieb jedoch später im Jahr wieder aufgenommen werden, nachdem eine Reihe alter Straßenbahnen aus Almaty nach Öskemen überführt worden waren. Seitdem wurde mit der Instandsetzung der Infrastruktur begonnen, und 2022 wurde zusätzliches „rollendes Material” [Anm. d. Ü.: Begriff der Eisenbahnindustrie für u.a. Lokomotiven, Güterwagen] bei einer weißrussischen Firma bestellt.

Im Norden verfügt die Stadt Pavlodar über das größte Straßenbahnsystem Kasachstans. Die Stadt hat den postsowjetischen Zusammenbruch des öffentlichen Nahverkehrs in Zentralasien erfolgreich gemeistert, und die Behörden prüfen sogar Optionen zur Erweiterung des Netzes. So kündigte die EBWE für 2024 ein Darlehen an die Straßenbahngesellschaft von Pawlodar an, um die Anschaffung von batteriebetriebenen Straßenbahnen zu finanzieren, die ohne Oberleitungen auskommen und so die Kosten für die Instandhaltung der Infrastruktur senken.

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Auch in Temirtau, der Heimat des größten Stahlwerks Kasachstans, wurden kürzlich neue chinesische Trams in Betrieb genommen – nachdem der Betrieb zuvor wegen gestohlener Oberleitungen ausgesetzt worden war. Die einzige Linie der Stadt wird nun von dem Besitzer des Stahlwerks betrieben und dient vor allem dem Pendelverkehr der Mitarbeitenden. Allerdings sind nicht alle begeistert: In einem Interview klagten Fahrgäste über schlechte Sicht aus den Fenstern. Ein Projektverantwortlicher kommentierte trocken: „Temirtau ist auf seine Weise auch im Dunkeln schön – da ist es besser, nicht rauszuschauen“ – ein Seitenhieb auf den Ruf der Stadt als eine der hässlichsten und am stärksten verschmutzten Kasachstans.

Visionen der Modernität: Stadtbahn und U-Bahn

Doch Spaß beiseite: Öffentliche Investitionen in die wenigen verbliebenen Straßenbahnnetze der Region sind selten. Stattdessen haben viele Stadtverwaltungen in ganz Zentralasien die bestehenden Systeme aufgegeben, ohne adäquaten Ersatz anzubieten. So zwingen sie die Menschen in überfüllte Stadtbusse oder privat betriebene Marschrutkas. Aber jetzt, wo der städtische Schienenverkehr in Zentralasien wieder an Fahrt zu gewinnen scheint, zeigen die Regionalregierungen Interesse an Stadtbahn- und Metrosystemen – diese sind jedoch teurer und komplexer in Bau, Betrieb und Wartung.

Derzeit verfügen nur Taschkent und Almaty über Metrosysteme. In Taschkent wurde 1972 mit dem Bau der ersten Linie begonnen, sechs Jahre nachdem ein verheerendes Erdbeben den größten Teil der Stadt verwüstet hatte. Seitdem hat sich das Netz auf vier Linien, rund fünfzig Stationen und mehrere hundert Millionen Fahrgäste pro Jahr erweitert. Es gibt eine Reihe an Plänen für den weiteren Ausbau, und der Bau einer wichtigen Ringlinie ist derzeit im Gange. Für alle, die sich für den Nahverkehr interessieren, ist die Metro in Taschkent übrigens ein absolutes Muss. Sie ist ein Modell der Stadtbahn in Zentralasien und zeigt, wie Bahnhöfe in der Sowjetzeit aufwändig gestaltet und thematisch passend zum Namen dekoriert wurden.

Metro in Taschkent

Im Gegensatz dazu besteht die Metro in Almaty aus einer einzigen Linie. Obwohl mit dem Bau Ende der 1980er Jahre begonnen wurde, konnte die neue unabhängige Regierung Kasachstans das Projekt nicht fertig stellen, nachdem die Mittel aus Moskau nach dem Zusammenbruch der UdSSR versiegten. Die Bauarbeiten wurden in den 2000er Jahren wieder aufgenommen, und der größte Teil des Straßenbahnnetzes von Almaty wurde in Erwartung der Eröffnung der Metro im Jahr 2011 demontiert. Im Nachhinein eine fragwürdige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass die Straßenbahnlinien auf anderen Strecken fuhren als die neue Metro, und zudem viel mehr Haltestellen hatten und daher eine gute Ergänzung zum Metrosystem gewesen wären. Heute gibt es Pläne zur Wiederbelebung – allerdings als moderne Stadtbahn.

Metro in Almaty

In diesem Jahr wird auch die lang erwartete Stadtbahn von Astana in Betrieb genommen, die den Flughafen der Stadt mit dem Hauptbahnhof verbindet. Mit dem Bau dieses Systems wurde 2011 begonnen, er wurde jedoch wegen Finanzierungsproblemen und eines Korruptionsskandals mehrfach verschoben, bei dem „Beamte und leitende Angestellte der Stadtbahn Astana LRT Verträge aufgebläht und die Differenz veruntreut hatten, die sich, wie ein Gericht später feststellte, auf 5,8 Milliarden Tenge (ca. 10 Millionen Euro zu aktuellen Wechselkursen) belief.“ Viele Jahre lang stand eine Reihe massiver Betonpfeiler als stumme Erinnerung an das unvollendete Projekt, bis Kasachstans Präsident Qasym-Jomart Toqaev im Jahr 2023 dessen Fertigstellung anordnete. Unterdessen berichtet das kasachstanische Nachrichtenportal Orda.kz, dass die Suche nach denjenigen, die in die Veruntreuung öffentlicher Gelder verwickelt sind, noch andauert.

Die Baustelle der Stadtbahn von Astana

Die entscheidende Rolle der Regionalregierungen

Kurz gesagt, die meisten Probleme im Zusammenhang mit dem öffentlichen Nahverkehr in Zentralasien sind das Ergebnis schlechter Planung und willkürlicher Entscheidungen. Die Regionalregierungen haben es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend versäumt, die Kontrolle über den öffentlichen Nahverkehr zurückzugewinnen. Obwohl in einigen Großstädten wie Duschanbe über die Entwicklung moderner Stadtbahn- und U-Bahn-Systeme diskutiert wird, sind die grundlegenden öffentlichen Verkehrsmittel wie (Oberleitungs-)Busse nach wie vor unzureichend. In vielen großen und kleinen Städten werden diese Dienste immer noch abgebaut.

Neben den infrastrukturellen Problemen, so ein Weltbank-Experte, liege der schlechte Zustand des Nahverkehrs auch an „regulierten festen Fahrpreisen (die nicht ausreichen, um die Betriebskosten zu decken), einer hohen Anzahl von Fahrpreisbefreiungen für mehrere Personengruppen und der Unfähigkeit, staatliche Subventionen auf einer stabilen Basis bereitzustellen.“ Daher sind die Kommunalbehörden nicht nur Teil des Problems – sie halten auch den Schlüssel zur Lösung in der Hand.

Text und Fotos von Julian Postulart

Aus dem Englischen von Elisa Berste

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