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Klimawandel und Wasserressourcen in Zentralasien: Wachsende Unsicherheit

Die Länder Zentralasiens stehen vor großen Herausforderungen bei der Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Klimawandels. Die Region, durch trockene, stark schwankende Wettermuster, geringe Niederschläge und eine ungleiche Verteilung der Ressourcen gekennzeichnet, ist besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels.

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Übersetzt von: Michèle Häfliger

Original (10. Januar 2023)

Suusamyr Tal in Kirgistan
Das Suusamyr Tal in Kirgistan (Illustration: Ninara, Visualhunt.com)

Die Länder Zentralasiens stehen vor großen Herausforderungen bei der Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Klimawandels. Die Region, durch trockene, stark schwankende Wettermuster, geringe Niederschläge und eine ungleiche Verteilung der Ressourcen gekennzeichnet, ist besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels.

Vor allem die Wasserressourcen scheinen in Zentralasien stets ein Problem zu sein, zumal sie mit verschiedenen Aspekten der nationalen und regionalen Sicherheit einhergehen. Gerade die Wasserverfügbarkeit wirkt sich beispielsweise auf die Bewässerungslandwirtschaft aus, die einen erheblichen Beitrag zum BIP der Staaten leistet, sowie auf die Stromerzeugung durch Wasserkraft. Die Zukunft der Wasserressourcen in Zentralasien ist durch den Klimawandel sehr unsicher geworden.

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Die Anfälligkeit der Länder ist jedoch nicht nur auf geografische oder klimatische Bedingungen zurückzuführen. Bestehende wirtschaftliche Probleme, Bevölkerungswachstum, soziopolitische Instabilität, begrenzte institutionelle und wissenschaftliche Kapazitäten, veraltete Infrastrukturen, die hohe Degradation landwirtschaftlicher Flächen und natürlicher Ökosysteme sind nur einige der Faktoren, die die Fähigkeit und die Bereitschaft der Staaten Zentralasiens zur Bewältigung des Klimawandels untergraben.

Gletscherschmelze und unbeständige Niederschläge

Eine der wichtigsten Folgen der globalen Erwärmung in Zentralasien ist das Abschmelzen der Gletscher sowie der Rückgang der Schneedecke im Tian-Shan– und Pamir-Alaj-Gebirge. Steigende Temperaturen und schwankende Niederschläge führen zu einem steten Rückgang von Gletscherfläche und -volumen. Viele kleine Gletscher sind bereits ganz verschwunden.

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Die Niederschläge werden unbeständiger, längere Trockenperioden könnten durch umso intensivere Niederschläge abgelöst werden. Expert:innen gehen davon aus, dass auch die Niederschlagsintensität und geografische Verteilung in Zukunft stärker variieren werden: der Südwesten Zentralasiens wird trockener und der Nordosten feuchter. Die Gletscherschmelze und die variablen Niederschläge werden auch die Flussläufe beeinflussen, einschließlich der grenzüberschreitenden Flüsse Amudarja und Syrdarja.

Zugang zu Wasserressourcen

Das Problem der Wasserressourcen in Zentralasien ist nicht Knappheit, sondern deren ineffiziente Nutzung. Außerdem sind die Wasserressourcen ungleichmäßig verteilt, da fernab der Gletscher und Wasserquellen erneuerbare Wasserressourcen rar sind. Der Klimawandel ist nicht der einzige Faktor, der die Situation verschärft: Durch Industrie, Landwirtschaft und Bevölkerungswachstum wird die Nachfrage nach Wasser auch weiterhin steigen.

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Die zunehmende Verknappung der vorhandenen Wasserressourcen und ihre sich verschlechternde Qualität werden den Zugang der Bevölkerung zu Wasser, einschließlich Trinkwasser, beeinträchtigen. In Tadschikistan leben über zwei Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gebieten, wo der Zugang zu Wasser nach wie vor ein großes Problem darstellt. Nach Angaben der Weltbank hat die Bevölkerung einiger ländlicher Gebiete Kirgistans nur Zugang zu Wasser aus Bewässerungssystemen; in Usbekistan ist mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung nicht ans zentrale Wasserversorgungsnetz angeschlossen.

Die Bedrohung der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Sektoren der zentralasiatischen Volkswirtschaften. Nach Angaben der FAO sind über die Hälfte der natürlich beregneten Anbauflächen von regelmäßigen Dürren betroffen und fast alle bewässerten Gebiete weisen hohe bis sehr hohe Wasserstresswerte auf. Dies beeinflusst die Ernte von Baumwolle und Reis stark, Hitzewellen und schwankende Niederschläge können die Erträge von Weizen und anderen Kulturen verringern sowie zur Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten beitragen.

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Der Klimawandel verstärkt zusammen mit negativen Einflüssen wie unkontrollierter Beweidung, Entwaldung und ineffizienter Landwirtschaft die Bodenerosion und -degradation erheblich. Ein wärmeres Klima und mehr Hitzetage begünstigen die Wüstenbildung und verringern die Weideproduktivität und damit das verfügbare Futter. All diese Prozesse drohen die Ernährungssicherheit zu beeinträchtigen. Mittel- und langfristig werden die negativen Auswirkungen des Klimawandels die positiven, die in einigen Bereichen zu beobachten sind, bei weitem überwiegen.

Naturkatastrophen

Die Auswirkungen des Klimawandels auf wasserbedingte Katastrophen, einschließlich Überschwemmungen durch Gletscherseeausbrüche, wurden als eine der größten Bedrohungen in der Region erkannt. Die meisten der beobachteten extremen Wetterereignisse wie Hagel, Schlammlawinen, Dürren, extrem hohe oder niedrige Temperaturen werden durch das sich verändernde Klima verursacht. In den letzten 30 Jahren waren Millionen von Menschen davon betroffen, die wirtschaftlichen Verluste belaufen sich auf Milliarden von US-Dollar. Meteorolog:innen bestätigen, dass die Häufigkeit und Intensität hydrometeorologischer Naturereignisse in Zentralasien in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat.

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Solche Naturkatastrophen zerstören Verkehrs-, Energie- und andere Infrastrukturen und schädigen die Landwirtschaft. Im Jahr 2021 führte eine Dürre in mehreren Regionen Kasachstans zum Tod von tausenden Tieren, auch die Region Tschüi in Kirgistan war vom Wassermangel betroffen. Im Frühjahr 2022 verursachten schwere Regenfälle in Tadschikistan und Kirgistan Schlammlawinen, die teilweise erhebliche Schäden anrichteten. Wissenschaftler warnen davor, dass eine Kombination mehrerer extremer Wetterereignisse zu größeren Katastrophen führen könnte.

Probleme im Energiesektor

Die Wasserkraft nimmt in den Volkswirtschaften Tadschikistans und Kirgistans einen besonderen Platz ein, da der größte Teil der Elektrizität in diesen Ländern in Wasserkraftwerken erzeugt wird. Die Wasserkraft hängt unmittelbar vom Wasserkreislauf der Flüsse ab, der sich laut Klimamodellen langfristig verändern wird. Dies wird die Zuverlässigkeit und die Kapazität der Kraftwerke verringern. Der erwartete jahreszeitlich bedingte Rückgang des Wasserstandes oder sogar das Austrocknen einiger kleiner Flüsse könnte den Betrieb mehrerer Kleinwasserkraftwerke zum Erliegen bringen.

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Murgänge und Sedimente stellen eine besondere Gefahr für Wasserkraftwerke dar. Die Verschlammung von Stauseen kann die Stromerzeugung verringern und die Instandhaltung erschweren. Insgesamt schätzt die Weltbank, dass negative Klimaauswirkungen die Erzeugung von Wasserkraft in Kirgistan und Tadschikistan um 20 Prozent verringern könnten. Erhöhte Wassertemperaturen oder Wassermangel könnten die Erzeugung von Wärmekraftwerken im Rest der Region beeinträchtigen.

Migration und Neuansiedlung

Angesichts des großen Anteils der Landbevölkerung mit niedrigem Einkommen in Tadschikistan, Kirgistan und Usbekistan können extreme und ungünstige Wetter- und Klimaereignisse die Armut verschärfen oder das Einkommen vieler Familien weiter senken sowie deren Ernährungs- und Wirtschaftssicherheit verringern. Naturkatastrophen in der Region führen zu kurz- und langfristiger Migration. In Ländern mit großer Landbevölkerung wird die Migration in die Städte weiter zunehmen.

Nach Angaben der Weltbank könnte es bis 2050 bis zu 2,4 Millionen interne Klimamigranten in Zentralasien geben. Etwa entlang der südlichen Grenze Kasachstans, in den Gebieten um das Fergana-Tal und Bischkek wird sich dies bemerkbar machen. Einige Gebiete im Osten Turkmenistans und im Süden Usbekistans entlang des Amudarja, für die ein Rückgang der Wasserverfügbarkeit und der Ernteerträge vorhergesagt wird, sind ebenfalls betroffen.

Soziale Spannungen und Konflikte

Eingeschränkter Zugang und ineffiziente Wassernutzung sind potenzielle Konfliktquellen in Zentralasien. Die Regulierung der Wasserressourcen in den Bereichen Bewässerung und Energie hat bereits zu politischen Unstimmigkeiten und Spannungen zwischen den Ländern geführt. So ist beispielsweise die Entscheidung, Wasserkraftwerke in den Bergstaaten zu bauen, in den flussabwärts gelegenen Ländern auf Unverständnis gestoßen und hat zu diplomatischen Auseinandersetzungen geführt. Ein lokaler Wasserstreit führte zusammen mit anderen Faktoren im Jahr 2021 zu einem bewaffneten Konflikt zwischen Tadschikistan und Kirgistan.

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Wasserprobleme, die in Dürreperioden besonders akut sind, führten im Sommer 2021 zu Protesten von Landwirt:innen und Bewohner:innen einiger Dörfer in Kirgistan und Kasachstan. Es wird prognostiziert, dass eine weitere irrationale Wassernutzung zusammen mit den negativen Auswirkungen des Klimawandels die Energie- und Ernährungssicherheit der Länder gefährden und zu höheren Energie- und Lebensmittelpreisen führen könnte. Dies wiederum kann die sozialen Spannungen verschärfen und die Region destabilisieren.

Auswirkungen auf Ökosysteme

Veränderungen in der Verfügbarkeit von Wasserressourcen und steigende Temperaturen werden voraussichtlich die Zusammensetzung von Flora und Fauna verändern und die natürlichen Ökosysteme beeinträchtigen. In Gebirgsökosystemen lässt sich bereits eine Verschiebung der Vegetation beobachten. Einige Tier- und Pflanzenarten können vom Aussterben bedroht sein oder ganz verschwinden, während sich die Lebensräume anderer Arten erheblich verändern können. Der Klimawandel kann neue Ausbrüche von Schädlingen oder eine Zunahme invasiver Arten auslösen. Trockeneres Wetter und längere Hitzewellen erhöhen das Risiko von Waldbränden.

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Weitere Belastungen durch den Menschen und den Klimawandel können die Widerstandsfähigkeit bestehender Ökosysteme untergraben, die Artenvielfalt verringern und sich negativ auf die Ökosystemleistungen auswirken, auf die wir für unseren Lebensunterhalt und unsere Entwicklung angewiesen sind. Dem Erhalt der natürlichen Ökosysteme sollte daher hohe Priorität eingeräumt werden.

Regionale Zusammenarbeit

Es besteht eine gemeinsame Verpflichtung zur Zusammenarbeit in Zentralasien. In der Region sind der Internationale Fonds zur Rettung des Aralsees (IFSA), die Zwischenstaatliche Kommission für Wasserkoordinierung (ICWC) und die Zwischenstaatliche Kommission für nachhaltige Entwicklung (UNECE) sowie mehrere regionale Zentren angesiedelt.

Es gibt auch eine Reihe von Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Wasserwirtschaft. Inwieweit sie jedoch tatsächlich umgesetzt werden, ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Die Wasserwirtschaft in Zentralasien ist komplex und viele der Probleme, die vor 20 Jahren Schwierigkeiten machten, bestehen auch heute noch.

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2017 erstellte die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) einen Bericht zur Wasserkooperation in Zentralasien, in dem festgestellt wurde, dass die Wasserpolitik in der Region weitgehend von unkoordinierten nationalen Strategien bestimmt wird.

Die Kombination aus geringer Wassernutzungseffizienz, negativen externen Effekten aufgrund einseitiger Maßnahmen und konkurrierenden nationalen Prioritäten hat zu Reibungen sowie politischen und diplomatischen Streitigkeiten zwischen den Ländern geführt. Gemäß einer groben Schätzung betragen die Kosten für die fehlenden Lösungen in der Wasserbewirtschaftung allein in Zentralasien 4,5 Milliarden US-Dollar jährlich.

Timur Idrisov für Central Asian Bureau for Analytical Reporting (CABAR)

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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