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Das Kaspische Meer im Ausnahmezustand

ENTSCHLÜSSELUNG. „Ökozid“, „Umweltkatastrophe“, „nächster Aralsee“ – dies alles sind Ausdrücke, die in den letzten Jahren in Diskussionen um das Kaspische Meer aufkamen. Dessen Pegel sinkt von Jahr zu Jahr, allerdings wird nichts Konkretes zu seiner Rettung unternommen. Eine Austrocknung des Kaspischen Meeres würde jedoch Anrainerstaaten wie Kasachstan und Turkmenistan teuer zu stehen kommen. Eine Analyse der Situation eines Binnenmeeres, das es bald nicht mehr geben könnte.

Das Kaspische Meer ist vom Austrocknen bedrohnt (Symbolbild), Photo : Behrooz Rezvani / Wikicommons.

ENTSCHLÜSSELUNG. „Ökozid“, „Umweltkatastrophe“, „nächster Aralsee“ – dies alles sind Ausdrücke, die in den letzten Jahren in Diskussionen um das Kaspische Meer aufkamen. Dessen Pegel sinkt von Jahr zu Jahr, allerdings wird nichts Konkretes zu seiner Rettung unternommen. Eine Austrocknung des Kaspischen Meeres würde jedoch Anrainerstaaten wie Kasachstan und Turkmenistan teuer zu stehen kommen. Eine Analyse der Situation eines Binnenmeeres, das es bald nicht mehr geben könnte.

Am 7. Juni haben die Behörden von Aqtaý, Kasachstans größter Stadt am Kaspischen Meer, den ökologischen Notstand ausgerufen. Dies sei auf den zurückgehenden Wasserstand im größten See der Erde zurückzuführen, berichtet Radio Azattyq, der kasachstanische Dienst von Radio Free Europe.

Auch andere Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres erleben besorgniserregende Situationen, beispielsweise Turkmenistan, wo bereits ein erheblicher Rückgang des Pegels gemeldet wurde. Radio Azatlyk, der turkmenische Dienst von Radio Free Europe, berichtete am 29. Mai, dass der Wasserspiegel entlang der Küste Turkmenistans um 35 bis 40 Zentimeter gesunken sei.

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Seit vielen Jahren machen Wissenschaftler:innen die Politik auf den besorgniserregenden Rückgang des Wasserspiegels aufmerksam. In der Forschungszeitschrift The Conversation begann ein Artikel aus dem Jahr 2020 mit der Vorstellung eines kaspischen Strandes in naher Zukunft: „Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Küste und blicken auf das Meer. Vor Ihnen liegen 100 Meter karger Sand mit sanften Wellen dahinter, der einem Strand bei Ebbe ähnelt. Aber es gibt keine Gezeiten.“

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Das Kaspische Meer ist mit einer Fläche von etwa 371.000 Quadratkilometern der größte See der Erde. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte sein Pegel um bis zu 18 Meter sinken, heißt es in dem wissenschaftlichen Artikel weiter. Das Binnenmeer würde dann mindestens 25 Prozent seiner früheren Fläche verlieren und 93.000 Quadratkilometer Trockenland freilegen – eine Fläche von der Größe Portugals.

Klimaerwärmung und menschliche Einflüsse

Der Rückgang des Pegels im Kaspischen Meer sei auf eine Kombination aus dem Klimawandel und der sinkenden Zuflussmenge aus der Wolga zurückzuführen, erklärt Kasachstans Umweltministerin Zulfiıa Suleımenova gegenüber dem Nachrichtenportal Ulys.

Der Klimawandel ist in der Tat ein sehr gewichtiger Faktor. Laut Wissenschaftler:innen des NASA Earth Observatory könnte der Pegel des Kaspischen Meeres aufgrund der globalen Erwärmung bis zum Jahr 2100 um weitere 8 bis 30 Meter sinken.

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Auch die Nutzung von Wasser für menschliche Aktivitäten ist zu berücksichtigen, da sie zu einem zusätzlichen Rückgang des Meeresspiegels um sieben Meter führen würde. Die Anrainerstaaten haben im Laufe der Jahre Meerwasserentsalzungsanlagen für landwirtschaftliche oder industrielle Projekte gebaut, und sie beabsichtigen, damit fortzufahren: Laut dem aserbaidschanischen Nachrichtenportal Azernews baut Aserbaidschan derzeit eine solche Anlage, und auch der Iran erwägt dies. Kasachstan plant ganze neun Anlagen zu bauen. Wie Forbes.kz berichtet, soll unter anderem für die Wasserstoffanlage der schwedisch-deutschen Svevind-Gruppe Wasser gewonnen werden.

Ein Meer von strategischer Bedeutung

Allerdings erweist sich das Kaspische Meer von strategischem Interesse und stellt somit eine unschätzbare Ressource für die zentralasiatischen Länder dar. So verfolgt die Europäische Union die Global Gateway-Strategie, deren Ziel es ist, die Energie- und Verkehrsverbindungen nach Europa zu fördern. Zu diesem Zweck steht ein Gesamtpaket von 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Der mittlere Korridor, der Kasachstan über das Kaspische Meer mit Aserbaidschan verbindet und dann an Europa anschließt, würde diese Investitionen benötigen.

Kasachstan und Turkmenistan haben in den letzten Jahren riesige neue Häfen am Kaspischen Meer gebaut, die benötigt werden, um die Ost-West-Handelsrouten zwischen China und Europa zu entwickeln. Derselbe Prozess vollzieht sich auch in anderen Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres, in Aserbaidschan und dem Iran: Dort entstehen neue Häfen und mit ihnen auch Städte.

Ernsthafte Konsequenzen

Küstenstädte wie Aqtaý haben sich parallel zum Ausbau des Hafens entwickelt und sind auch heute vom Seehandel abhängig. Doch wenn der Wasserstand sinkt, können die Schiffe die Kais nicht mehr erreichen.

Das Kaspische Meer bildet die Grundlage der wichtigen kommerziellen Fischerei, liefert Wasser für die Landwirtschaft und bietet Erholungs- und Arbeitsmöglichkeiten für die in der Nähe lebenden Menschen. In seinen Gewässern leben auch mehrere gefährdete Arten, darunter die vom Aussterben bedrohten Kaspischen Robben.

Emma Collet, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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