Es ist schwer, Informationen zu Turkmenistan zu bekommen, vor allem für dessen Einwohner. Nachrichten aus Turkmenistan werden oftmals falsch interpretiert und Informationen, die im Inland zirkulieren, unterscheiden sich von denen, die das Ausland erreichen. Wie informiert man sich also in Turkmenistan? Folgende Analyse erschien im russischen Original auf CABAR.Asia.
Turkmenistans Regierung zeichnet sich neben anderen Kennzeichen einer autoritären Herrschaft durch ein fragwürdiges Verhältnis zur Presse- und Informationsfreiheit aus. Es herrscht eine strenge Medienzensur, das Filmen oder Fotografieren in der Öffentlichkeit zieht den Unmut der Polizei auf sich und öffentliche Meinungsäußerungen können ernsthafte Folgen nach sich ziehen.
Staatliche Medien und ihre Handlanger
Fünf ältere Herren sitzen in einem Fernsehstudio mit einer grellen Animation im Hintergrund. Die Hände der Männer ruhen ehrfürchtig auf dem extravagant geformten Tisch. Zurückhaltend, aber trotzdem enthusiastisch zählt einer von ihnen die wirtschaftlichen Erfolge Turkmenistans auf. In seiner Erzählung kommen Fabriken und Betriebe vor, aber auch Sportstätten, der Baumwollanbau und Bibliotheken. Schon nach ein paar Minuten entsteht der Eindruck, dass die Teilnehmer irgendeinen unendlichen und sinnfreien Text vortragen. So sieht eine gewöhnliche „Talk-Show“ im turkmenischen Fernsehen aus.
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Viel besser ist es um die turkmenische Presse nicht bestellt. Den turkmenischen Zeitungslesern muss jede neue Ausgabe einer Zeitung wie eine Kopie der vorigen vorkommen. So zum Beispiel die russischsprachige Zeitung „Neutrales Turkmenistan“, die seit einem Jahrzehnt ein Präsidentenporträt auf der Titelseite zeigt. Inhaltlich bietet die Presse vor allem solche Wendungen: „Der Erfolg des Baumwollanbaus ist das Ergebnis allgemeiner Anstrengungen der Landwirtschaft und das logische Resultat breiter Strukturreformen, die in diesem Wirtschaftszweig von Präsident Gurbanguly Berdimuchammedow initiiert und durchgeführt wurden.“
Die staatlichen turkmenischen Medien sind ein direktes Erbe aus der Sowjetzeit. Doch im Unterschied zum sowjetischen Journalismus, der zumindest einen Hauch von Polemik zuließ, verkommen die turkmenischen Medien zum Sprachrohr einer kafkaesken Bürokratie.
Die Ausnahme „Owazy“
Öffentliche Propaganda ist zwar allgegenwärtig, aber genauso offensichtlich ist die Unwirksamkeit der strategischen Kommunikation staatlicher Medien. Mit dem Alltag der Bürger hat sie kaum etwas zu tun. Eine Ausnahme bietet der besonders beliebte Musikkanal „Turkmen Owazy“ (Turkmenische Stimme). Im Unterschied zu den meisten Fernseh- und Radiosendern pflegt Turkmen Owazy zum Beispiel durch Call-In-Gewinnspielen den direkten Kontakt mit seinen Hörern und Zuschauern. Bei einem Radioprogramm können Hörer in der Live-Sendung anrufen und bei Spielen wie zum Beispiel „Errate die Melodie“ mitspielen. Turkmenische Jugendliche erkennen einen Hit nach buchstäblich drei Noten, die Gewinner können das nächste Musikstück bestimmen. Die „softe“ Thematik des Senders erlaubt also verständlicherweise mehr Raum für eine lebendige und organische Kommunikation.
Allgemein zeichnen sich die staatlichen Medien jedoch vor allem durch eine undurchdringbare Sprache und Inhalte ohne Aktualität aus. Der vermittelte Diskurs wirkt aufgezwungen und wird von den Lesern nicht angenommen. Auch sogenannte „regierungsfreundliche Medien“ bewahren dieses offizielle Narrativ und beleuchten dazu eher „softe“ Themen. Dem Status nach sind sie unabhängig, erscheinen aber oft als Handlanger der staatlichen Medien: So zum Beispiel mit einer Informationskampagne über den Überfluss an Lebensmitteln als Gegengewicht zu Reportagen ausländischer Medien, die über die Wirtschaftskrise in Turkmenistan berichteten.
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In den Neunzigern ging der Scherz um, das Akronym TMT (Turkmenisches Staatliches Fernsehen) als „dein toter Fernseher“ (Rus. für „tvoj mertvyj televisor“) zu entziffern. Später wurden die Fernsehsender umbenannt, man gab ihnen erhabenere Bezeichnungen, wie zum Beispiel „Goldenes Zeitalter“ (Altyn Asyr), „Jugend“ (Ýaşlyk) oder „Erbe“ (Miras). Das Fernsehen konnte damit aber nicht wiederbelebt werden und verbleibt nach wie vor größtenteils weißes Rauschen in der Medienlandschaft des Landes.
Gefilterte oder blockierte ausländische Medien
Noch vor gar nicht langer Zeit galten in alle Richtungen ausgerichtete Sattelitenschüsseln auf den Dächern Turkmenistans als ein Wahrzeichen des Landes. Sie waren ein Symbol für den Durst der Turkmenen nach Informationen. In den 1990er Jahren entdeckte die turkmenische Bevölkerung diese neue Art der Informationsbeschaffung für sich. Der Besitz einer solchen Sattelitenschüssel und Empfängers machte den Empfang einer Vielzahl von ausländischen Fernsehsendern möglich. Vor dem Hintergrund unzufriedenstellender staatlicher Medien erfreuten sich besonders russische und türkische Sender einer großen Beliebtheit.
Im Gegensatz zum Fernsehen ist die ausländische Presse in Turkmenistan nicht sonderlich beliebt. Im Jahr 2005 verbot der damalige turkmenische Präsident Saparmurat Nyjasow die Einfuhr und Verbreitung ausländischer Pressetitel. Beliebte Fernseh-Programmzeitschriften und auch die „Times of Central Asia“ wurden auf diese Art verboten. Offenbar kann der turkmenische Staatsapparat die Verbreitung von Druckerzeugnissen ohne große Mühen kontrollieren. Auf den Märkten in den Städten kann man hingegen weiterhin ausländische, meist russische Unterhaltungsmedien und Bücher kaufen.
Abgebaute Sattelitenschüsseln
Neben der Blockierung von Internetseiten begrenzt die turkmenischen Regierung den Zugang zu ausländischen Medien zuletzt auch durch den Abbau von Sattelitenschüsseln. Laut offiziellen Angaben hat dies ästhetische Gründe, entsprechend dem Geschmack des Präsidenten. Die Machthabenden gaben mehrmals zu verstehen, dass die Sattelitenschüsseln den Anblick der Hauptstadt verschandeln. Aus demselben Grund wurden in den letzten Jahren übrigens auch Klimaanlagen von den Häuserfassaden entfernt.
Für diese ästhetische Politik gibt es zwei mögliche Erklärungen. Der Präsident Berdimuchammedow fliegt oft mit dem Helikopter über die turkmenische Hauptstadt. So haben die vielen Sattelitenschüsseln an den Wohnhäusern ihm womöglich nicht gefallen, neben dem Umstand, dass Informationen aus dem Ausland an der staatlichen Zensur vorbeigehen. Genau damit ließe sich die Realisierung solcher Projekte vorwiegend in der Hauptstadt Aschgabat erklären.
Zudem bietet gibt es seit ein paar Jahren einen staatlichen Dienst für den Empfang ausländischer Sender zu einem bescheidenen Preis (etwa 2,80 Dollar nach offiziellem, 0,50 Dollar nach Schwarzmarktkurs). In einem Paket werden hier russländische Sender, internationale Nachrichtensender (z.B. Euronews oder BBC), türkische Sender und verschiedene Unterhaltungssender angeboten. Womöglich versucht die turkmenische Regierung nicht den Zugang zu ausländischen Medien insgesamt einzuschränken, sondern eher die Berichterstattung über negative Ereignisse im Land zu begrenzen.
Unter diesen ausländischen Medien gibt es auch sogenannte „oppositionelle Medien“, meist Projekte von bürgerrechtlichen Organisationen oder ausländischen Stiftungen. Es sind überwiegend Online-Formate, einschließlich Seiten in sozialen Netzwerken. Der Zugang zu diesen Medien ist stark begrenzt.
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Bürger, die aufwieglerische Webseiten besuchen, werden von den Geheimdiensten verfolgt. Trotz der Verbreitung von VPN-Verbindungen und dem Umgehen von Blockierungen ziehen die oppositionellen Webseiten aufgrund dieses Risikos keine massenhafte Aufmerksamkeit auf sich. Wenn Turkmenen über die Nachrichten diskutieren, versuchen sie immer, solche Quellen nicht zu erwähnen, wodurch diese oppositionellen Medien relativ unbekannt bleiben und ihr Publikum klein. Zudem startete die turkmenische Regierung am 20. Januar einen Kampf gegen VPN-Verbindungen.
Gewiefte Internetnutzer
Das Internet ist der anfälligste Ort für Kommunikation in Turkmenistan. In Ratings zur Internetfreiheit ist das Land meist am Ende der Liste. Dabei wird dem Präsidenten Berdimuchammedow zugeschrieben, den Internetzugang verbessert zu haben. Erstens schwächte er die Zugangsbeschränkungen ab, zweitens wurde der Internetanschluss nach seinem Machtantritt 2006 günstiger und schneller und mobiles Internet fand weite Verbreitung. Drittens erlebte Turkmenistan unter Berdimuchamedow eine Phase relativen materiellen Wohlstands, der es vielen Leuten erlaubt, sich ein internetfähiges Mobiltelefon zu kaufen.
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Angesichts der vielen Verbote demonstrieren die turkmenischen Internetnutzer eine hohe Anpassungsfähigkeit. Früher bedeutete die Blockierung eines sozialen Netzwerks oder eines Messengers, dass die Nutzer einfach massenhaft zu anderen Plattformen wechselten. Im Jahr 2013 wurde der sehr beliebt gewordene Messenger-Dienst WhatsApp blockiert. Die Internetnutzer wechselten schnell zum chinesischen Messenger WeChat, welcher danach auch bald blockiert wurde. Als nächstes suchten die Turkmenen Obdach beim koreanisch-japanischen Messenger LINE, der schließlich auch blockiert wurde, sich jedoch länger als seine Vorgänger halten konnte. Heute ist der Messenger IMO die am meisten genutzte Social-Media-Plattform in Turkmenistan.
Immer mehr Internetnutzer wissen mittlerweile, wie man Blockierungen umgehen kann. So ist der größte Teil gesperrter und blockierter Inhalte vielen Nutzern dennoch zugänglich. Dank Techniken wie TOR oder VPN könen sie so beliebte Internetdienste wie Facebook, Instagram, Twitter und YouTube nutzen. Auch wenn die turkmenische Regierung gegenüber weltweit beliebten sozialen Medien eine beständige Politik der Blockierungen betreibt, finden turkmenische Internetnutzer immer wieder alternative Methoden, um Blockierungen zu umgehen.
Vor allem die jüngere Generation sucht bei Plattformen wir Instagram Wege, um sich auszudrücken. Diese Diskrepanz zwischen Aufgaben und Ergebnissen der staatlichen Blockierungspolitik führt zu teils skurrilen Konstellationen. Im turkmenischen Segment von Instagram sind zum Beispiel mehr oder weniger mit dem Staat verbandelte Personen wie auch Kulturschaffende präsent, die ihr Publikum dazu aufrufen ihnen zu folgen. Es entsteht der Eindruck, dass alle so tun, als ob die Seiten nicht blockiert wären, um nicht die Aufmerksamkeit der Justiz auf sich zu ziehen. Soziale Medien in Turkmenistan stellen zurzeit ein spannendes Forschungsfeld dar, da sie von in der öffentlichen Sphäre nicht sichtbaren gesellschaftlichen Prozessen durchdrungen sind.
Gerüchte auf allen Ebenen
Wie in jedem Staat mit nicht vorhandener Pressefreiheit erlangen Gerüchte, die sich in Abhängigkeit von ihrer Relevanz mit unterschiedlicher Geschwindigkeit im Land ausbreiten, einen höheren Stellenwert.
Die beliebtesten Gerüchte betreffen die Alltagsprobleme des Durchschnitts-Turkmenen: der Dollarkurs, Preiserhöhungen oder jegliche Verbote. Der Staat verwöhnt seine Bürger nicht sonderlich mit klaren Informationen und die Menschen in Turkmenistan leben zum größten Teil in Unkenntnis über innenpolitische Angelegenheiten. Gerüchte ploppen wie Blasen auf und ziehen durch Häuser, Dienstgebäude, Märkte und Hinterhöfe. Es kann ein Verwandter sein, ein Freund, Taxifahrer, Verkäufer oder sogar ein Bezirkspolizist, der ein neues Gerücht weitergibt.
Oft verkünden Gerüchte eher unangenehme Neuerungen oder gar erschütternde Ereignisse. So wurden der Fall des Manat-Kurses und die geplante Erhöhung der Benzinpreise zum ersten Januar 2015 vom Gerücht begleitet, dass der Manat-Kurs noch weiter fallen und Brennstoffe sich weiter verteuern würden. Das führte dazu, dass sich kurz vor den Neujahrfeiertagen riesige Schlangen an den Tankstellen bildeten, doch der Manat-Kurs und die Benzinpreise blieben letztlich stabil.
Doch man sollte nicht meinen, dass Gerüchte in Turkmenistan immer weit weg von der Wahrheit seien. Im Gegenteil, den Gerüchten geht ein ausgezeichneter Spürsinn voraus, den die Bevölkerung durch den schon Jahre andauernden Informationshunger entwickelt haben. Die Menschen in Turkmenistan, die in keiner direkten Kommunikation mit den Machthabenden stehen, müssen sich Nachrichten aus Erfahrung, Beobachtungen und durchgesickerten Informationen selbst ableiten. Gerüchte und Mundpropaganda darf man natürlich nicht für bare Münze nehmen, sondern eher als eine Art soziales Stimmungsbarometer interpretieren, an dem sich gesellschaftliche Zusammenhänge und Prozesse ablesen lassen.
Zwei parallele Medienwelten
Genauso wie die Wüste Karakum, auf den ersten Blick ohne jegliches Leben, erweist sich die turkmenische Medienlandschaft bei genauem Hinsehen voller Leben. Regierungstreue Medien, Zensur und eine ganze Reihe von Verboten können ihr kommunikatives Ziel nicht erreichen. Kommunikationsprozesse in der turkmenischen Gesellschaft sind anpassungsfähig funktionieren größtenteils nicht dank, sondern trotz des Staates.
Die turkmenische Regierung erwägt momentan keinerlei Reformen im Bereich Information und Kommunikation und verdrängt damit öffentliche gesellschaftliche Diskurse immer weiter. Auf diese Weise entstehen in Turkmenistan zwei Informationswelten. In der einen herrscht Sterilität und eine tote Ordnung, in der anderen Chaos und kommunikative Produktivität. Die Bürger Turkmenistans sind in beiden Welten zuhause, können sich aber nicht in beiden gleichzeitig bewegen.
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CABAR Asia
Aus dem Russischen von Manuel Rommel
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