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Wie Mütter von Kindern mit Down-Syndrom in Tadschikistan diskriminiert werden

Dutzende Frauen in Tadschikistan berichten, dass sie seit Jahren unter Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindern leiden, die ihnen die Gesellschaft ungerechterweise auferlegt hat.

Symbolfoto von Rich Johnson (https://www.flickr.com/photos/richjohnsonphoto/6255881949)
Symbolfoto von Rich Johnson (https://www.flickr.com/photos/richjohnsonphoto/6255881949)

Dutzende Frauen in Tadschikistan berichten, dass sie seit Jahren unter Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindern leiden, die ihnen die Gesellschaft ungerechterweise auferlegt hat.

„100 Prozent der Mütter von Kindern mit Down-Syndrom werden in Tadschikistan diskriminiert“, erzählt Tachmina Chakimowa-Riis, Gründerin der NGO Nazari Digar. Die Organisation wird in Kürze eine Studie zu Eltern von Kindern mit Down-Syndrom veröffentlichen.

Warum das zusätzliche Chromosom, welches das Down-Syndrom verursacht, auftritt, ist bis heute ungeklärt. Doch die tadschikische Gesellschaft ist mehrheitlich davon überzeugt, dass die Mutter an der Entwicklung dieser genetischen Anomalie schuld ist. Leider wird diese falsche Information auch von medizinischem Personal weitergegeben.

„Wenn ein Kind mit Down-Syndrom geboren wird, spricht das Personal der Entbindungsklinik in der Regel mit dem Ehemann und der Schwiegermutter. In 99 Prozent der Fälle geben sie völlig falsche Informationen über das Kind und seine Zukunft und überzeugen die Verwandten, dass die Frau Schuld trägt“, sagt Chakimowa-Riis.

Sie erinnert sich, wie sie vor einigen Jahren in einer Talkshow in Chudschand mit Genetikern streiten musste. Diese behaupteten, dass Kinder mit Down-Syndrom von Frauen geboren werden, die etwas falsch gemacht haben , also „zum Beispiel Alkohol getrunken oder eine Grippe gehabt hätten. Die Welt hat noch keine Antwort auf die Frage gefunden, warum das zusätzliche Chromosom auftritt, aber viele unserer Spezialisten reden solch veralteten Unsinn.“

Müttern wird die Schuld gegeben

Chakimowa-Riis erzählt die wahre Geschichte einer Frau, die einen kleinen Jungen mit Down-Syndrom zur Welt brachte: „Nach der Geburt erfährt sie nichts und das Baby wird ihr nicht gegeben. Die Diagnose wird zunächst dem Ehemann mitgeteilt. Als die Frau die Entbindungsklinik verlassen will, wird ihr gesagt, das Kind sei krank, habe keine Zukunft und man bietet ihr an, es abzugeben.“

Die Frau wurde auch gefragt, ob sie während der Schwangerschaft krank gewesen sei oder Alkohol getrunken habe. Mit anderen Worten: Sie wurde direkt beschuldigt, einen Fehler gemacht zu haben, der sich auf die Gesundheit ihres Kindes auswirkte.

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Schlussendlich kann die Frau das Kind dann doch mit nach Hause nehmen und sieht sich dort endlosen Beschimpfungen gegen sie und ihr Kind konfrontiert. Niemand spielt mit ihm und ständig wird ihr zu verstehen gegeben, dass das Kind nicht normal sei.

Das ist leider eine typische Geschichte in Tadschikistan: Mütter von Kindern mit Down-Syndrom werden mehrfach diskriminiert.

NGO-Engagement für vom Down-Syndrom Betroffene

„Um der Diskriminierung von Anfang an entgegenzuwirken, arbeitet unsere Organisation Nazari Digar mit Entbindungskliniken in Tadschikistan zusammen. Wir haben zum Beispiel ein Projekt namens „Boxen für Neugeborene“, in die wir Kleidung, Spielzeug, Broschüren mit den neuesten Informationen zum Down-Syndrom und Kontakte von Spezialist:innen beilegen“, erzählt Chakimowa-Riis.

Nazari Digar organisiert auch Schulungen für medizinisches Personal, damit sie Eltern in solchen Situationen angemessen unterstützen können.

Kinder brauchen Unterstützung, kein Mitleid

Das tadschikistanische Gesundheitssystem braucht ein spezielles ethisches Protokoll für medizinisches Personal, das den Umgang mit Eltern von Kindern mit Down-Syndrom regeln soll, fordert Chakimowa-Riis.

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Die Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die den Schutz dieser Familien vorsieht, würde ihrer Meinung nach die Situation dieser Familien erleichtern.Mütter von Kindern mit Down-Syndrom sollten jedoch nicht nur in staatlichen Einrichtungen, sondern auch in ihren eigenen Familien geschützt werden. Häufig werden die Frauen in diesen Familien unterdrückt, erleiden häusliche Gewalt – physisch und psychisch – und werden von ihren Verwandten auf jede erdenkliche Weise beleidigt und gedemütigt.

„Fast alle Mütter, mit denen ich gesprochen habe, leiden unter großen Schuldgefühlen. Selbst wenn ihre Ehemänner sie unterstützen (was allerdings nur ein kleiner Prozentsatz ist), machen sie sich Vorwürfe, weil sie ein Kind mit einer solchen Diagnose haben“, so die Aktivistin weiter.

Diskriminierung in der Gesellschaft als weiteres Problem

Neben dem ungünstigen häuslichen Umfeld ist eine Frau mit einem Kind mit besonderen Bedürfnissen auch mit Diskriminierung in der Gesellschaft konfrontiert.So sind viele Mütter von Kindern mit besonderen Bedürfnissen gezwungen, zu Hause zu bleiben, angeblich um dem Kind die nötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Doch auf der anderen Seite gibt es nicht genügend Tagesstätten, Zentren für Frühförderung und Rehabilitationszentren, die für die Entwicklung von Kindern mit Down-Syndrom wichtig sind und die Mütter in der Erziehung entlasten würden.

„Ich bin in Chudschand aufgewachsen und habe dort keine Kinder mit Down-Syndrom gesehen. Als wir eine Untersuchung durchführten, stellte sich heraus, dass die Eltern ihre Kinder so vor der Gesellschaft, ihren Beleidigungen und schiefen Blicken schützen. Unsere Gesellschaft hat bestenfalls Mitleid mit solchen Familien, dabei brauchen sie Unterstützung und kein Mitleid“, erzählt Chakimowa-Riis.

Nach Angaben der WHO kommt auf 700 Neugeborene ein Kind mit Down-Syndrom. Es gilt als die häufigste angeborene Krankheit der Welt. In einer Studie des amerikanischen Genetikers Brian Skotko gaben 99 Prozent der Erwachsenen mit Down-Syndrom in den USA an, mit ihrem Leben zufrieden zu sein.

Asia Plus

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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