Es gibt sie – Menschen, dank denen neues Festland, Meere, Inseln und Berggipfel entdeckt werden. Genau so einer ist Sergej Romanenkow. 37 Tage lang erklomm der Bergsteiger diesen Sommer bisher unerforschte Gipfel und Kämme. Hier berichtet er über seine Expedition. Der Artikel erschien erstmals am 9. November 2022 bei Asia-Plus. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Zahlreiche weitere Bilder befinden sich im Originalartikel.
„Ich komme immer wieder gerne nach Tadschikistan. Die Leute sind unfassbar gastfreundlich. In den vielen Nächten, die wir im Pamir verbrachten, luden uns die Einheimischen nicht selten als Ehrengäste zu sich ein. Nach einer Tagesetappe und einem anstrengenden Abstieg ins Tal fehlt manchmal die Kraft, um das eigene Lager aufzuschlagen. Hier kannst du sicher sein, dass dir immer irgendjemand einen Schlafplatz und warmes Essen anbietet. In der Regel tauschen wir Nummern aus, bleiben in Kontakt und beherbergen sie, wenn sie zum arbeiten in Moskau sind“, sagt Sergej Romanenkow.
Sergej ist Unternehmer, doch die Berge, Sport und Reisen sind ein wichtiger Teil seines Lebens. Er ist Sportmeister (Russische Auszeichnung für besondere Leistung, Anm. des Übersetzers) im Bereich Sporttourismus und wurde fünf Mal als bester Ausbilder in Russland, einmal sogar im weltweiten Vergleich, ausgezeichnet. Außerdem ist er stolzer Träger des Schneeleoparden-Ordens (eine sowjetische Auszeichnung, die man nach Besteigung aller auf ehemaligem UdSSR-Gebiet befindlichen Siebentausender-Gipfel erhält, Anm. des Übersetzers).
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Im Sportverein des Moskauer Instituts für Luftfahrt, wo er ausgebildet wurde, ist Sergej Vorsitzender der Bergkommission. Das Institut trifft die Sicherheitsvorkehrungen jeder bevorstehenden Gruppenbesteigung. Im Winter begibt sich der Bergsteiger zudem mit Skiern auf Expeditionstouren ins Hochgebirge und sogar ins Polarmeer (Spitzbergen, die Arktis, Karasee, das Pamirgebirge, etc.).
Der Weg ins Pamir-Gebirge
Da Sergej häufig in Tadschikistan ist, kennt er den Einheimischen Alpinisten Schams Kachorow sowie die hilfreichen Berichte und Wegbeschreibungen des tadschikischen Bergsteigers Alexander Rschepakowskow, der den Pamir zu Zeiten der Sowjetunion fast in Gänze erschloss. Romanenkow befährt das Pamirgebirge im Winter mit Skiern, im Sommer ist er dort zu Fuß unterwegs.
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Den südlichen Gebirgsteil bestieg sein Team zum ersten Mal im Jahre 2011 von Westen nach Osten. Von der Siedlung Murgab ging es los, weiter über den zugefrorenen Saressee, bis zum Abstieg über den Fedtschenko-Gletscher. Der Weg führte über mehrere Gipfel, die nach sowjetischen Offizieren benannt wurden. Den höchsten Punkt in diesem Gebiet erreichten sie mit dem Pik der Unabhängigkeit (6940 m).
Diese Tour führte sie auch in den kirgisischen Teil des Pamirs. Sie stiegen ins Alai-Tal ab und von dort aus auf den Pik Lenin (7134 m), der sich auf der Grenze zwischen den beiden Ländern befindet.Im Sommer 2014 wagte er den schweren Aufstieg zum Pik Korschenewskaja (7105 m) und die Überquerung des Pik Ismoil Somoni (7495 m) (von dessen Seiten drei Gletscher abgehen, Anm. des Übersetzers).
Vor 18 Jahren stellte das Fan-Gebirge für Sergej den ersten Anlaufpunkt in Tadschikistan dar. Damals war er Student und allein die fünftägige Zugfahrt von Moskau über Astrachan nach Tadschikistan war schon ein kleines Abenteuer.
„Damals waren einige von uns zum allerersten Mal in Zentralasien und sahen das atemberaubende Duschanbe!“, erinnert sich Sergej. „Nach dem Fan-Gebirge fuhren wir weiter nach Pandschakent, Samarkand und sahen dort muslimische Heiligenstätten. Das war toll! Anfangs habe ich immer Souvenirs mitgebracht: asiatische Messer, traditionelle Kopfbedeckungen, Backgammon-Spiele aus Holz. Heute sind es so viele geworden, dass ich gar nichts mehr mitbringen muss.“
Voller Einsatz und Disziplin
Das Fotografieren und Filmen der Natur ist für den Abenteurer nicht wegzudenken. Immer wieder bringen ihn die Ausblicke dieser unberührten Natur ins Staunen. Wie sehr er die Vielfalt des Pamirs bewundert, merkte er abermals bei seiner Überquerung vergangenen Sommer. Keiner der wunderschönen Gipfel und Grate gleicht dem anderen.
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Bei der Pamir-Begehung 2022 war hinsichtlich Zeit und Distanz Ausdauer gefragt. Doch die Gruppe war mit solchen Gefilden vertraut und verlor ihr Ziel nicht aus dem Auge. Die körperliche Belastung war so groß, dass sie in den 37 Tagen zwischen 7 und 12 Kilo abnahmen – nicht nur Fett-, sondern auch Muskelmasse. Die mitgeführten Lebensmittel konnten ihnen bei dieser Belastung nicht die nötige Energie liefern.
Bevor man nach einer solchen Wandertour wieder mit dem Training beginnt, muss man seinem Körper unbedingt zwei bis drei Wochen zur Erholung und Regeneration lassen. Zwischen den Touren ist es wichtig, regelmäßig Sport zu machen, zu klettern und auch mal einen Marathon zu laufen.
Der Berg – eine Droge
Auf die Frage, warum er die Berge so sehr liebt, antwortet Sergej Romanenkow mit den Worten Reinhold Messners: „Weil es sie gibt!“. Für ihn sind die Berge eine Droge, die mit einer Fülle positiver Emotionen und einer Verbindung zu Gleichgesinnten aufwarten.
„Aller Strapazen und Entbehrungen zum Trotz bringen die Berge Licht in unser städtisches Leben. Nach einem Monat auf Expedition sehnt man sich nach einem weichen Bett, dem gewohnten Essen und sonstigem Komfort“, gesteht Sergej. In keinem einzigen Moment denkt an mögliche Unfälle oder befürchtet, dass er einmal nicht mehr von einer Wanderung zurückkommen könnte. Doch er gibt zu, dass gewisse Risiken bestehen.
Die Suche nach dem Ursprünglichen
Weiße, unberührte Flecken auf der Karte ziehen Bergtouristen magisch an. Solche Orte sind eine Seltenheit, doch es gibt sie, die verlassenen Gipfel, Bergtäler, Grate. Je schwieriger der Zugang, desto interessanter, einen sicheren, begehbaren Weg zu finden. Viele Touristen kommen zu den kommerziell erschlossenen Bergen. Das sind in Tadschikistan der Pik Korschenewskaja und der Pik Ismoil Somoni. An dessen Fuß warten die Wanderführer schon in den aufgebauten Startlagern.
Für Romanenkow sind solche Orte uninteressant. „Dort ist der Aufstieg schwerer, das Wetter unbeständiger, aber es hat dir schon jemand Seile befestigt, die Pfade zum Gipfel freigetreten und ein Zelt aufgestellt. Da fühlt man sich nicht wie ein echter Wanderer“, erklärt Sergej.
„Mein Team hat dieses Jahr vier neue Gipfel bestiegen, alles Erstbegehungen. Das ist ein Wahnsinnsgefühl, wenn du weißt, du bist der Erste, der diesen wunderschönen Ausblick hat! Als man bei den Arktis- und Antarktisexpeditionen vor 100-200 Jahren ferne Inseln und Festland erforschte, wurden immense geologische Entdeckungen gemacht. Uns bleiben nur noch die Berge.“
„Bei einer Erstbegehung kannst du dich nicht an Beschreibungen und Fotos von irgendjemandem halten. Du weißt nie, was dich erwartet, das ist auch schwerer für den Kopf. Du musst auf alles gefasst sein. Wenn es am Ende doch nicht klappt, kommst du ein paar Jahre später wieder, diesmal mit neuer Ausrüstung und probierst es noch einmal!“, sagt Sergej.
„Wenn ich Routen plane, müssen die zumindest mal auf dem Globus zu sehen sein, sagen wir im Spaß. Und die 500 km lange Pamir-Begehung ist tatsächlich sichtbar!“, lacht Sergej. „2015 sind wir von Nord nach Süd über Kamtschatka gewandert, haben dabei 700 km auf Skiern zurückgelegt. Letzten Winter waren wir im mittelsibirischen Putorana-Gebirge. Der Winter ist dort eiskalt und wunderschön, sogar die Wasserfälle waren zugefroren. Bei minus 40 Grad haben wir 600 km zurückgelegt. Wenn wir die neuen Pässe und Gipfel benennen, fühlen wir uns wie damals auf einer kleinen Expedition.“
Sergej war schon in den Alpen, der Arktis, im Kaukasus, in Kamtschatka, im Tienschan-Gebirge, im Fan-Gebirge und im Pamir. Er träumt von den Anden, Alaska, Ostsibirien, der Region östlich des Baikalsees, vom Himalaja und einem Achttausender.
Vererbte Leidenschaft
Seine Eltern waren ebenfalls Sportmeister und nahmen ihre Kinder von klein auf mit auf Wanderungen. Heute tun es Sergej und seine Frau Nastja ihren Eltern gleich. Die beiden haben sich in den kaukasischen Bergen kennengelernt.
„Wir hatten keinerlei Bedenken, dass die Berge gefährlich für die Kinder werden könnten. Als sie zur Welt kamen, waren wir schließlich schon erfahrene Bergtouristen“, erklärt Sergej, „weder Wetter noch ungangbares Gelände oder sonst etwas machten uns Sorgen. Kaum war unser Jüngster, Peter, zwei Wochen alt, sind wir schon mit ihm zelten gegangen. Es gab keinen Grund zur Sorge, es war Sommer und das Kind war putzmunter.“
Seit deren Geburt ist die Familie etwa einmal pro Jahr mit Sohn Peter (12) und Tochter Katja (9) auf einfachen Wanderwegen unterwegs. Heute bestehen Sergejs Urlaube zum einen aus Wanderungen mit der Familie, zum anderen aus sportlich anspruchsvollen Expeditionen, die einen Monat und länger dauern und Überquerungen von Graten und anderem Gelände einschließen. Die Kinder saßen ab dem dritten Monat in Rucksäcken mit eingebauter Kindertrage. So konnten sie von Mamas Rücken aus die wunderschöne Natur genießen.
Kein Risiko mit den Kindern
„Bei uns und unseren Freunden ist oberste Regel, mit den Kindern nichts Waghalsiges zu starten. Wir wollen eine gute Zeit zusammen in der Natur haben, die Kids sollen miteinander spielen können, während wir eine kleine Rast einlegen. Läuft mal was nicht nach Plan, dann ändern wir die Route“, stellt Sergej klar.
Während der touristischen Wanderungen mit anderen Familien lernen die Kinder von Anfang an, kleinere Hindernisse zu überwinden, ihren Eltern zu helfen und mit den Alltagsgegenständen Zelt, Kocher und Handsäge umzugehen. Das macht sie auch im Stadtleben eigenständiger. Zwar sind die Wege auf diesen Touren eher einfach, doch die Natur mit ihren Wasserfällen, Canyons, Wäldern, Seen und Städten nicht weniger eindrucksvoll.
Sergej und Nastja haben die Kinder schon mit nach Italien, Armenien, Georgien und in die Türkei genommen. Für Zentralasien stand bisher noch die teure Anfahrt im Weg. Solche Unternehmungen sind grundsätzlich nicht ganz billig, doch davon lassen sich alpine Bergsteiger nicht abhalten. Sie sparen ein ganzes Jahr lang, um ihrem Hobby nachzugehen und der städtischen Hektik zu entfliehen.
Sergej Romanenkow kriegt dank seiner Tätigkeit als Markenbotschafter bei einem Sportkaufhaus einen Teil der Ausrüstung gestellt. Im Bergtourismus ist es auch möglich, als Wanderführer Geld zu verdienen. Doch das ist manchmal schwer mit dem Alltagsleben zu vereinbaren, besonders wenn man Familie hat, meint Romanenkow.
Anna Miftachowa, Asia-Plus
Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat
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