Der terroristische Angriff gegen Radfahrer in Tadschikistan am 29. Juli ist der erste vom Islamischen Staat für sich beanspruchte Angriff in diesem Land. Ein Interview mit Edward Lemon, Forscher und Spezialist für den Islam in Tadschikistan an der Columbia University.
Edward Lemon ist Post-Doc Forscher am Harriman Institute der Columbia University in den Vereinigten Staaten und hat seine Doktorarbeit über die Handhabung des Islams und die Sicherheit in Tadschikistan geschrieben. Er antwortet auf die Fragen von Novastan zu den Folgen des kürzlichen Angriffs auf vier ausländische Radfahrer in Tadschikistan.
Novastan: Wie repräsentativ ist dieses Ereignis für die Sicherheitslage in Tadschikistan und in Zentralasien. In letzter Zeit war ja eher von Öffnung die Rede, vor allem zwischen Tadschikistan und Usbekistan?
Edward Lemon: Im Vergleich zu Nachbarregionen wir Südasien und dem Mittleren Osten ist Terrorismus in Zentralasien eher selten. Soweit ich weiß ist das der neunte Anschlag in der Region seit 2008 und nach dem Angriff auf die chinesische Botschaft [in Bischkek, Anm. d. Red] 2015 der zweite, der auf Ausländer zielt.
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Der Angriff geschah in der Nähe der Heimatstadt des tadschikischen Präsidenten Emomalii Rachmon und galt Touristen, während in Tadschikistan das Jahr des Tourismus ausgerufen ist. Welche politischen Folgen wird er für das Land haben?
Wir können schon beobachten, wie die Regierung den Angriff nutzt, um gegen die Opposition vorzugehen. Sie beschuldigt die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IPWT) und behauptet, der Anführer der verantwortlichen Gruppe, Hussein Abdusamadow, habe im Iran ein Parteimitglied der IPWT getroffen. Ähnliche Anschuldigungen kamen dem Verbot der Partei im Jahr 2015 zuvor.
Die Verbindung zwischen der Partei und dem Angriff ist aber kaum plausibel. Die IPWT betont schon lange ihr Engagement für Frieden und Demokratie in Tadschikistan. Das hört sich wie eine weitere Ausrede an, Parteimitglieder zu verhaften und Rachmons macht zu stärken.
Hussein Abdusamadow, einer der Attentäter, wurde verhaftet und von der Regierung als Anführer der Gruppe bezeichnet. Er wurde im Iran trainiert und hat laut dem tadschikischen Innenministerium dort Nosirdschon Ubajdow, IPWT Mitglied und vermeintlicher Kopf der Operation getroffen. Was weiß man über Ubajdow und seine Verbindungen zur IPWT und in den Iran ? Das Innenministerium erwähnt auch, dass Abdusamadows Bruder, der auch „Mullah Omar“ genannt wird, als Mitglied der „Islamischen Bewegung von (Ost)turkestan“ im Gefägnis sitzt. Was wissen wir über ihn und seine Zugehörigkeit zu dieser Organisation?
Ich habe mit führenden Mitgliedern der IPWT gesprochen und sie bestreiten, dass Ubajdow ein Parteimitglied ist oder war. Sie sagen, sie kennen ihn nicht.
Ich habe von Abdusamadows Bruder Bachtijor weder gehört, noch von seiner Verhaftung gelesen. Eine schnelle Google-Suche auf russisch und tadschikisch ergibt keine Meldungen dazu. Er mag im Gefängnis sein, aber es gibt sehr wenige oder gar keine Tadschiken, die als Mitglieder der Islamischen Bewegung Turkestans identifiziert wurden. Die Bewegung konzentriert sich vor allem auf [die chinesiche Provinz] Xinjiang.
Abdusamadov ist in den Iran gereist, wurde dort trainiert, hat einen Bruder, der als Teil einer terroristischen Organisation im Gefägnis sitzt und konnte eine große Gruppe versammeln, um ausländische Touristen anzugreifen. Was sagt das über die Effizienz der tadschikischen Sicherheitsdienste?
Verwandte [von Mitgliedern extremistischer Organisationen] stehen üblicherweise unter Beobachtung. Wenn all diese Angaben stimmen, ist der Angriff daher umso überraschender.
Die Erwähnung des Iran durch die tadschikischen Behörden bei den Ermittlungen zum Angriff zeigt erneut das komplizierte Verhältnis zwischen den beiden Ländern, das viele dem wachsenden Verhältnis zwischen Tadschikistan und Saudi-Arabien gegenüberstellt. Könnte es sich um ein weiteres Kapitel in den Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran handeln?
Der Gedanke kam mir auch. Saudi-Arabien hat sich gerühmt, den Iran aus Tadschikistan treiben zu wollen, dessen Regierung in den letzten Jahren sehr Iran-kritisch war. Die Regierung könnte also diese vermeintliche Verbindung zwischen Iran und IPWT zu ihren eigenen Zwecken nutzen, und als Wink an Saudi-Arabien.
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Die ganze Verbindung zwischen Iran und IPWT ist höchst unwahrscheinlich, besonders in Anbetracht des kürzlich erschienen Videos des Islamischen Staats.
Der Islamische Staat hat sich zum Angriff bekannt. Wie interpretieren Sie diese Ankündigung?
Jetzt wo sie ein Video veröffentlicht haben, in dem die Angreifer sich zum Islamischen Staat bekennen und erklären, dass sie ausländische Touristen im Land angreifen wollen, scheint die Gruppe auf eine oder die andere Weise involviert gewesen zu sein. Bisher ist unklar, of die Angreifer direkt rekrutiert wurden, persönlich oder Online, oder ob sie selbst von Social-Media inhalten inspiriert waren.
Der Angriff wurde von sehr jungen Männern ausgeübt. Was sagt der Fall aus über die Radikalisierung der Gesellschaft in der Region?
Die Angreifer sind extreme jung. Im Video sprechen sie zögernd und mit wenig Selbstvertrauen. Wir müssen noch mehr über ihre einzelnen Profile erfahren. Momentan ist es zu früh, um zu spekulieren, was sie bewegt hat. Tatsächlich sind sie jünger als die durchschnittlichen IS-Rekruten aus der Region, die meist Ende 20 sind.
Wie sollen ihrer Meinung nach europäische Staaten auf das Ereignis reagieren?
Europäische Staaten sollten mit den tadschikischen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, um sicher zu gehen, dass es eine ausführliche und transparente Ermittlung rund um den Angriff und seine Motive gibt. Frühere Ermittlungen waren sehr politisiert und voller Unkonsequenzen. Eine Beteiligung von europäischen Strafverfolgungsagenturen sollte helfen, ein vollständigeres Bild davon zu gewinnen, was am 29. Juli passiert ist.
Denken Sie, der Tourismus in Tadschikistan wird nach diesem Angriff eine Krise erleiden?
Es ist sehr schade, dass das gerade im Jahr des Tourismus passiert ist. Laut den Behörden haben sich die Tourismuszahlen dieses Jahr bisher vervierfacht. Tadschikistan ist ein schönes Land, dessen Einwohner fremden gegenüber äußerst gastfreundlich sind. Ich denke, manche Besucher werden von dem Angriff abgeschreckt sein. Aber da Tadschikistan vor allem ein Reiseziel für abenteuerlustige Reisende ist, denke ich nicht, dass die Besucherzahlen dramatisch zurückgehen werden. Sollte es weitere Vorfälle geben, kann sich das aber natürlich ändern.
Das Interview führte die Redaktion per Email
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