Vom 21. bis 24. März feierte Zentralasien das persische Neujahrsfest Nawruz. Während die anderen zentralasiatischen Länder angesichts des Risikos einer Verbreitung des Coronavirus die Feierlichkeiten abgesagt haben, entschloss sich Tadschikistan daran festzuhalten, was unter manchen BürgerInnen Besorgnis hervorrief.
Die Straßen von Duschanbe sind an diesem Sonntag, den 22. März, gut gefüllt: Es ist Nawruz – ein Fest, das jedes Jahr in Zentralasien, im Iran und in Afghanistan als der erste Tag des Frühlings gefeiert wird. In Tadschikistan ist Nawruz das wichtigste Fest des Jahres und dauert vier Tage: vom 21. bis 24. März. Vor der Oper der tadschikischen Hauptstadt genießen die Passanten wie gewohnt die vielen traditionellen Speisen, die offen und ohne Schutz an Ständen angeboten werden. Auf den Straßen essen einige mit der Hand Brot, Samosa, Piroggen oder kleine Kuchen. Andere begnügen sich mit Eis, Pommes oder Äpfeln. Nichts deutet darauf hin, dass sich zur gleichen Zeit eine Pandemie auf der ganzen Welt ausbreitet, die bis dato etwa 500.000 Menschen infiziert und mehr als 22.000 Tote verursacht hat – nichts außer den Masken, die die Verkäufer an den Essensständen tragen.
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Auch wenn in Tadschikistan noch keine Fälle festgestellt wurden, warnen Experten vor der Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus, da in den Nachbarländern bereits Dutzende von Infektionen bekannt sind und die medizinische Infrastruktur und Ausrüstung in Tadschikistan als schwach gilt. Aber laut dem seit 1992 regierenden Präsidenten Emomali Rahmon gibt es keinen Grund zur Sorge. „Es ist eine der besten Eigenschaften unseres Volks, das Haus sauber zu halten und strenge Hygienevorschriften einzuhalten“, sagte er am 22. März und forderte die Bevölkerung auf, nicht in Panik zu verfallen. „Unsere Gesundheit liegt in unseren eigenen Händen.“
Große Feste, kleine Maßnahmen
In Anwesenheit von Rahmon und einer Reihe angesehener Gäste aus der tadschikischen Elite gaben am 22. März mehr als 12.000 SchülerInnen und Studierende eine zweistündige Tanz- und Gesangsvorführung im Stadion von Chudschand, der zweitgrößten Stadt des Landes. Wie das amerikanische Nachrichtenportal Eurasianet berichtete, hatten die Beteiligten keine andere Wahl, als an der Vorführung teilzunehmen, da sie anderenfalls mit einer Exmatrikulation zu rechnen hätten. Dies ist kein Einzelfall: Es ist in der Region üblich, Studierende oder Beamte zur Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen zu verpflichten. Zwar hatte das Ministerium für Bildung und Wissenschaften Anfang März in vielen Städten des Landes die Einstellung der Proben angeordnet, da diese mitunter Tausende von Menschen in engen Kontakt miteinander brachten. Eine Woche später nahmen die Behörden die Anordnung jedoch wieder zurück und die Choreografien wurden weitergeführt.
Angesichts der steigenden Zahl von Coronavirus-Patienten weltweit hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu aufgerufen, öffentliche Massenveranstaltungen auszusetzen. Die anderen zentralasiatischen Länder der Region waren dem Aufruf gefolgt: Sie sagten die meisten Nawruz-Feierlichkeiten ab und forderten die Bevölkerung dazu auf, zuhause zu bleiben. In Tadschikistan geschah jedoch nichts dergleichen. Während der vier Tage des Festes fanden im Land Dutzende Konzerte, Kundgebungen und Märsche statt. Es versammelten sich sogar tausende Reiter im ganzen Land, um Buskaschi zu spielen – einen Reitsport, bei dem der Körper einer toten Ziegen den Ball ersetzt. Obwohl die Schulen an den Feiertagen geschlossen sind, nehmen sie weiterhin SchülerInnen auf. Das ruft die Sorge der Eltern hervor, die sich über die schlechten hygienischen Bedingungen empören. „In der Schule haben die Kinder nicht die Möglichkeit, sich die Hände zu waschen, weil die Wasserhähne nicht funktionieren“, erklärt Tahmina aus Duschanbe, eine Mutter von zwei Jungen, die sie bereits seit zwei Wochen zu Hause hält, gegenüber Novastan. In Duschanbe fahren außerdem noch Marschrutkas.
Die Behörden haben jedoch auch einige Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen, wie zum Beispiel die vorübergehende Grenzschließung auf dem Land- und Luftweg. Rund 3.000 tadschikische Staatsangehörige, die aus dem Ausland zurückkehrten, wurden in Quarantäne-Zentren untergebracht, teilweise unter miserablen hygienischen Bedingungen. Schließlich wurden Anfang März die Moscheen geschlossen. Einige von ihnen wurden allerdings kurz vor Nawruz wieder geöffnet, nachdem sie desinfiziert worden waren.
Zuhause bleiben? Das Dilemma der TadschikInnen
Angesichts des Coronavirus wurde die Teilnahme am Persischen Neujahrsfest, dem wichtigsten Feiertag des Jahres für TadschikInnen, zu einem Dilemma, in dem jede und jeder eine Entscheidung fällen musste. Für Tahmina gab es „kein[en] Spaziergang in diesem Jahr“. Sie hat beschlossen, Nawruz zuhause und im kleinen Kreis zu feiern. „Wir haben Angst, den Virus zu bekommen und ihn an unsere älteren Verwandten weiterzugeben“, erklärte die Familienmutter. In Duschanbe ist der Platz mit der berühmten Somoni-Statue, die für die Feierlichkeiten mit einem Nawruz-Baum geschmückt ist, etwas leerer als sonst. Die Reihen der Rennbahn „Nawruzgoh“, in der am 22.März ein Wettbewerb im traditionellen Tadschikischen Kampf Guschtingiri stattfindet, sind halb leer. Fast 2.000 Menschen kommen trotzdem, um die Kämpfe zu sehen.
Auch wenn die Feierlichkeiten stattgefunden haben, haben sich viele TadschikInnen entschieden, zuhause zu bleiben. „Ich kann die Musik aus dem Park neben meinem Haus hören, aber ich habe meinen Kindern gesagt, dass sie nicht rausgehen sollen“, erzählt Kybrio, Tadschikisch-Lehrerin aus Duschanbe. Normalerweise feiert sie Nawruz im Park beim Grillen von Schaschlik. „Es macht mir Angst zu sehen, was zurzeit anderswo auf der Welt los ist. Ich habe das Gefühl, dass jede Minute etwas schreckliches passieren könnte.“ Die junge Frau hat beschlossen, ab dieser Woche Online-Fernunterricht zu geben, um trotz der angespannten Situation Geld zu verdienen.
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Saroja, eine Handwerksmeisterin aus Chudschand, entschied sich ebenfalls, mit ihrer Familie zuhause zu bleiben. „Der Coronavirus ist natürlich das Hauptthema der Diskussion“, lächelt sie. Wie tausende andere TadschikInnen bereitet sie für das Fest Sumalak, eine Art süßer und gekochter Weizenbrei, vor. „Wenn man es traditionell mit allen zusammen in einem riesigen Topf mischt, betet man und sehnt sich nach Glück und glücklichen Ehen“, erklärt sie. „Aber in diesem Jahr haben wir für eine Lösung dieser globalen Krise gebetet, für die Gesundheit der Kranken und natürlich für die Sicherheit des Landes.“
Keine Feste anderswo in Zentralasien
Kasachstan, das mit 111 Fällen (Stand: 26. März) am stärksten von der Epidemie betroffene Land, hat die öffentlichen Nawruz-Feierlichkeiten abgesagt. Das gleiche gilt für Usbekistan, wo die Behörden die BürgerInnen gebeten haben, an den Feiertagen zuhause zu bleiben. Alle Konzerte, Shows oder Festivals wurden abgesagt und öffentliche Versammlungen verboten. Auch in Kirgistan, wo angesichts der Ausbreitung der Epidemie der Ausnahmezustand verkündet wurde, mussten die Feierlichkeiten zuhause stattfinden. In Turkmenistan, wo Nawruz in kleinerem Rahmen gefeiert wird, hat die Regierung schon früh Maßnahmen zur Einschränkung von Reisen und Versammlungen ergriffen.
Weitere Informationen zu den Maßnahmen der zentralasiatischen Regierungen findet ihr hier.
Laura Liepa berichtet für Novastan aus Duschanbe
Aus dem Französischen von Robin Roth
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