Nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung in Nordrhein-Westfalen wurden mehrere Tadschiken festgenommen. Es handelt sich um Blogger, deren Verbindungen zur tadschikischen Opposition und zur islamischen Bewegung unklar sind. In Tadschikistan löste der Zwischenfall große Diskussionen aus. Der Artikel erschien am 21. Februar 2021 auf Radioi Ozodi, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung.
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Die Zusammenstöße in der Nacht des 17. Februar in Soest, die in einem Schusswechsel mit Gaspistolen gipfelten, wurden in den sozialen Medien Tadschikistans ausführlich diskutiert. Dies führte zu einer Pressekonferenz des tadschikischen Innenministers und der Veröffentlichung einer Sondererklärung der verbotenen Oppositionspartei Islamische Partei der Wiedergeburt. Insgesamt waren acht Personen in dem Zwischenfall verwickelt.
Musaffar Dawlatow, ein tadschikischer Blogger, der auf YouTube als ‚Boroda TJ‘ bekannt ist, sagte in einem Video auf seinem Kanal: „Es steht auf einer achtseitigen Anordnung geschrieben, dass wir alle die Wohngebiete der jeweils anderen nicht mehr betreten sollen. Andernfalls werden wir zu vier Jahren Haft verurteilt.“
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Ein weiterer Beteiligter, Schersod Mahmaddschonow (im Netz bekannt als ‚Abdurahmon 09‘), teilte Radioi Ozodi am 21. Februar mit, dass die deutschen Beamten gesagt hätten: „Wir werden Sie unter der Bedingung freilassen, dass Sie sich Musaffar nicht mehr nähern.“ Musaffar Dawlatow wurde infolge des Kampfes am Hals und an den Armen verletzt. Ein Video hierzu wurde auch in den sozialen Medien verbreitet. Seine ‚rivalisierenden‘ Blogger Schersod Mamaddschonow und Sulajmon Orsujew (‚Shef TJ‘), sowie ein weiterer Komplize wurden kurz nach der Befragung durch die deutsche Polizei freigelassen. In dem Fall wird weiterhin ermittelt.
Die Blogger Musaffar Dawlatow und Scherzod Mamaddschonow beschuldigen sich gegenseitig, durch das Posten von Videos auf YouTube den Zusammenstoß provoziert zu haben. Dawlatow behauptet darüber hinaus, die Männer seien Anhänger der in Tadschikistan verbotenen Partei der Islamischen Wiedergeburt und wollten ihn töten. Scherzod Mamaddschonow und Sulajmon Orsujew bestreiten die Vorwürfe.
Was führte zu der Auseinandersetzung?
Der Grund für den Streit war eine Meinungsverschiedenheit zwischen diesen Bloggern, die eine langjährige Feindseligkeit verbindet. Musaffar Dawlatow vermeidet in seinen Beiträgen politische Themen. Die Kanäle von Mamaddschonow und Orsujew sind dagegen politisch und religiös.
Sulajmon Orsujew veröffentlichte während eines früheren Heimatbesuchs Dawlatows ein Video, in dem er ihn dafür verhöhnte, „Duschanbe zu entwicklen, um wie Dubai zu werden“. Er bezeichnete Dawlatow als Lügner und „Fosiq“ (jemand der der das islamische Recht bricht, ein heuchelnder Sünder, Anm. d. Ü.) und bezog sich auf Dawlatows kritischen Äußerungen zu Menschenrechtsverletzungen und mangelnden Fortschritt in Tadschikistan.
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In einem Interview mit Radioi Ozodi sagt Sulajmon Orsujew, dass Dawlatow daraufhin ein Video veröffentlichte und ihn auf unerträgliche Weise beleidigt habe: „Er nahm das Video auf und beleidigte mich und meine Familie. Dann vereinbarten wir ein Treffen, bei dem wir in einem Video über Tadschikistan sprechen und sehen, wer richtig und wer falsch ist.“
Für dieses Treffen reisten Sulajmon Orsujew und drei weitere Begleiter aus den nordrheinwestfälischen Städten Bergkamen, Kierspe, Gummersbach und Düsseldorf nach Soest, wo Musaffar Dawlatow lebt. Die von beiden Seiten veröffentlichten Videos zeigen eine verbale Auseinandersetzung, die zu Beleidigungen und anschließenden Schießereien führt. Einer von ihnen ruft inzwischen die Polizei. Die Bemühungen von Radioi Ozodi, mit Dawlatow zu sprechen, waren erfolglos, obwohl er wiederholt behauptete, das Ziel der vier angeblichen Mitglieder Partei der Islamischen Wiedergeburt, sei gewesen, ihn zu töten.
Wie reagierten das tadschikische Innenministerium und die Partei der Islamischen Wiedergeburt?
Der tadschikische Innenminister Ramason Rahimsoda sagte auf einer Pressekonferenz in Duschanbe am 19. Februar, er habe die deutschen Behörden um Einzelheiten des Falles gebeten. „Die Aktivitäten der Blogger der Islamischen Partei der Wiedergeburt werden auch in Deutschland nicht gutgeheißen“, so Rahimsoda.
Die Islamische Partei der Wiedergeburt erklärte am 17. Februar, dass die Männer keine Mitglieder der Partei seien und dass regierungsnahe Interessensgruppen den Skandal nutzen würden, um die verbotene islamische Bewegung in Tadschikistan weiter zu diffamieren.
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„Im Cyberspace handeln verschiedene Personen unabhängig und betrachten es als ihr Recht, Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu bekämpfen, aber die meisten von ihnen haben mit uns nichts zu tun und sind für ihre Handlungen und Äußerungen selbst verantwortlich. Es sollte weiterhin beachtet werden, dass Verwandtschaft und persönliche Bindungen kein Kriterium der politischen Zugehörigkeit einer Person zu Parteien und Gruppen ist“, so die Partei in ihrer Erklärung.
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Die Partei bezieht sich hiermit auf Sulajmon Orsujew, dessen Vater ein aktives Mitglied der verbotenen Partei der Islamischen Wiedergeburt ist. Sowohl Sulajmon Orsujew als auch Schersod Mamaddschonov erklärten gegenüber Radioi Ozodi, dass sie keine Parteimitglieder seien und ihre Ansichten unabhängig voneinander äußerten.
Beide Seiten ernten Kritik in den sozialen Medien
Inzwischen haben viele Facebook-Nutzer beide Konfliktparteien scharf verurteilt und erklärt, dass die Exilblogger ihre Lebensbedingungen in Deutschland nicht zu schätzen wissen. Stattdessen streiten sie miteinander und seien bereit, Blut zu vergießen.
In der Zwischenzeit bezeichnete Fariduni Rahnaward, ein in den USA lebender tadschikischer Journalist, den Zwischenfall in Nordrhein-Westfalen als „Hahnenkampf“ und „Schlacht der Blogger“, die sich von einer Fehde auf YouTube zu einer Schießerei in Deutschland aufschaukelten.
Tohir Safar und Mirsonabii Choliksod für Radioi Ozodi
Aus dem Tadschikischen von Robin Shakibaie
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