Startseite      Manizha für Russland zum ESC: Geflüchtet aus Tadschikistan, politische Aktivistin und Pop-Ikone

Manizha für Russland zum ESC: Geflüchtet aus Tadschikistan, politische Aktivistin und Pop-Ikone

Die russischen FernsehzuschauerInnen haben Manizha, eine Sängerin tadschikischer Herkunft, für die Vertretung Russlands beim diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) in Rotterdam gewählt. Ihr politischer Aktivismus steht den konservativen Werten des Kreml entgegen. Ein unerwarteter und mutiger Beitrag für den Grand Prix.

Die russischen FernsehzuschauerInnen haben Manizha, eine Sängerin tadschikischer Herkunft, für die Vertretung Russlands beim diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) in Rotterdam gewählt. Ihr politischer Aktivismus steht den konservativen Werten des Kreml entgegen. Ein unerwarteter und mutiger Beitrag für den Grand Prix.

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Beim Eurovision Song Contest 2021 wird Russland von Manizha vertreten, einer in Tadschikistan geborenen Sängerin. Am 9. März berichtete das tadschikische Medium Asia-Plus, wie das russische Fernsehpublikum sich im Televotum für die 29-jährige Manizha entschied . Die Sängerin wird ihren Song ‚Russian Woman‘ darbieten und wohl auch in Tadschikistan für gute Einschaltquoten sorgen.

Die Musik als Mittel für politische Forderungen

Manizha, die 1994 aus Tadschikistan nach Russland kam, ist nicht nur Musikerin, sondern auch Aktivistin für Frauen- und Geflüchtetenrechte. Die Künstlerin wurde anfangs durch das Internet bekannt, vor allem über Instagram, wo sie regelmäßig ihre neuen Songs veröffentlicht. Seit ihrer Nominierung für den Grand Prix hat Manizhas Account zehntausende AbonentInnen hinzugewonnen. Sie hat mittlerweile über 425.000 FollowerInnen. Auf YouTube erreichen ihre Clips oft mehrere Millionen Aufrufe.

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Die 1991 geborene Manizha war drei Jahre alt, als ihre Familie infolge des Bürgerkrieges (1992-1997) aus der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe nach Moskau floh. In einem Interview mit Asia-Plus erklärt sie, wie schwierig es für sie war, als Migrantin und Frau in Russland aufzuwachsen. Heute dienen ihr die Erfahrungen ihres eigenen Lebens als Inspiration für die Musik, mit der sie zum Kampf für die Rechte von Frauen und Geflüchteten beiträgt. 

Am 14. Dezember 2020 wurde Manizha in Russland zur ersten russischen Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) ernannt, wie Radio Ozodi, die tadschikische Version des US-amerikanischen Mediums Radio Free Europe, berichtete. „Ich verspreche den Menschen zu helfen, die gezwungen sind, vor Konflikten und Verfolgung zu fliehen; meine Stimme zu nutzen, um den Bedürftigen zu helfen und Licht in die Lebenssituationen von Geflüchteten und Staatenlosen zu bringen“, sagte sie in einer Ansprache, die Asia-Plus veröffentlichte.

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Der Einsatz für Frauenrechte ist eine ebenso große Priorität der Künstlerin. Nach dem Erfolg ihres Clips ‚Mama‘, in dem es um häusliche Gewalt geht, schuf sie 2019 die App SILSILA.  Gemeinsam mit ihrer Mutter hat sie dieses mobile Alarmsystem entwickelt, das es Gewaltopfern einfacher ermöglicht, um Hilfe zu rufen. Obwohl sie den russischen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest mit 39,7 Prozent der Stimmen gewann, hagelt es Kritik und Beleidigungen bezüglich der Herkunft und des künstlerischen Stils der jungen Frau.

Russin? Tadschikin? Einfach nur sie selbst!

Besonders ihre tadschikischen Wurzeln heizen die Debatte um die Nominierung Manizhas an. In den sozialen Netzwerken werden von vielen Menschen Anschuldigungen ausgesprochen. Dass die Abstimmung manipuliert worden sei und die Künstlerin keine russische Staatsbürgerschaft besitze, sind die Hauptvorwürfe der KritikerInnen. Lange nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion scheint die Unterscheidung zwischen Nationalität, Ethnie und Staatsbürgerschaft weiterhin sehr präsent in den Nachfolgestaaten.

via Instagram

Andere stellen das Gesellschaftsbild in Frage, das Manizha in den Texten ihrer Songs wie ‚Russian Women‘ entwirft. „Ich bin eine Weltbürgerin. Ich bin Tadschikin, Slawin und eine Frau, die englisch spricht. Ich habe aufgehört, den Etiketten zu folgen. Ich möchte einfach nur im Einklang mit den Traditionen und der Kultur leben, die sich in mir selbst entwickelt hat“, so Manizha im Dezember 2019 auf Radio Ozodi. Eines ihrer Lieder drückt auch das Gefühl aus, das mit ihrer doppelten Nationalität und Kultur einher geht. Der Refrain des Songs ‚Not Slavic Enough‚, dessen Musikvideo in Tadschikistan gedreht wurde, beschreibt es übersetzt so:

„In meinem Herkunftsland

Bin ich schon fremd

Und in meinem Gastland

Bin ich immer noch nicht heimisch“

Unabhängig von dem Gefühl, sich in keiner der beiden Gesellschaften völlig zugehörig zu fühlen, ist Manizha Stolz im Umgang mit ihren Einflüssen. Sie repräsentiert eine einzigartige Identität. Die Künstlerin greift die folkloristischen Rhythmen, die traditionelle tadschikische Kleidung auf und macht sich im gleichen Atemzug die Thematiken der russischen Gesellschaft zu eigen, wie es das US-amerikanische Medium Eurasianet formuliert.

Ein neuer Stern geht auf am Bühnenhimmel

Die Vorbehalte unter den AnhängerInnen des russisch-nationalistischen Konservatismus bleiben bestehen. Wladimir Schirinowski, Vorsitzender der liberaldemokratischen Partei kommentierte Manischa mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob das gut ist für die Stärkung der Autonomie einer russischen Frau und Russland im Allgemeinen. […] Das Lied soll gute Stimmung erzeugen […] Wer braucht ein solches Lied?“, zitiert ihn das russische Medium Ria Novosti.

Seit ihrem Debüt hat Manizha mehrere Features sowohl mit russischen als auch tadschikischen KünstlerInnen produziert. Angesichts der Kritik gegen ihre Person zeigen viele KünstlerInnen Solidarität mit der jungen Sängerin. „Ein Mädchen mit tadschikischen Wurzeln singt auf brillante Weise russische Volkslieder, das ist eine kulturelle Brücke innerhalb der Beziehungen zwischen den Staaten“, erklärt Josef Prigoschin, ein bekannter russischer Musikproduzent auf Radio Ozodi. Auch Prigoschin ist aber skeptisch gegenüber der „unverständlichen“ Wahl des Liedes ‚Russian Woman‘, dass seiner Meinung nach zu politisch für den Eurovision Song Contest sei.

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Der tadschikische Sänger Safar Abdualimow äußert dagegen, er sei sehr stolz auf seine Mitbürgerin, gegen die er selbst schon bei einem Gesangswettbewerb angetreten ist. „Dieses Ereignis ist ein großer Erfolg für uns, für die Menschen in Tadschikistan“, sagte er gegenüber Radio Ozodi. Die Violinistin Nohid Seinalpur, ebenfalls tadschikischer Herkunft, hebt Manischas Originalität und Persönlichkeit hervor, die sie von anderen folkloristischen KünstlerInnen unterscheidet. „Ein neuer Stern geht auf am Bühnenhimmel und sein Name wird Manizha seinsagt sie und lobt Manizhas Individualismus.

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Für viele ist diese Nominierung ein Symbol des Wandels in der russischen Gesellschaft. Obwohl der Eurovision Song Contest offiziell unpolitisch sei, ist die Entscheidung für eine starke Frau mit emanzipativen und dem Kreml widersprechenden Idealen ein Novum. Die internationale Bühne des Eurovision Song Contest ist für eine tadschikisch-folkloristische Künstlerin ebenso beispiellos. Manizha vertritt mit ihrer Teilnahme nicht nur Russland, sondern trägt auch die Kultur ihrer Eltern in die Welt. Den Hassbotschaften schenkt Manizha keine Beachtung. So vertraute sie dem russischen Medium Sputnik an, dass es ihr einziges Ziel sei, konzentriert zu bleiben. „Ich, werde mit tadschikischem Blut vorwiegend auf Russisch singen. Denn ich repräsentiere Russland, das ich als meine Heimat ansehe“, schlussfolgert sie.

Caroline Deschamps für Novastan France

Aus dem Französischen von Flavia Gerner

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