Arbeitslosigkeit, Armut, Verhöhnung von Seiten der Verwandten des Ehemannes, Vorurteile… Mitglieder der Nationalen Jornalistinnen-Koalition Tadschikistans sind im Rahmen eines Projektes durch verschiedene Bezirke des Autonomen Gebietes Berg-Badachschan gefahren, um sich mit dort lebenden Frauen zu treffen und sich ihre Probleme anzuhören. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Asia-Plus.
Im Rahmen des Projektes „Treffen und offenes Mikrofon – Journalistinnen helfen Frauen in den Regionen“, das gemeinsam von der Zeitung „Wetschjorka“ und der Nationalen Jornalistinnen-Koalition Tadschikistans durchgeführt wird, hat eine Gruppe Journalistinnen den Bezirk Darvoz und die Stadt Chorog besucht.
Ein offenes Ohr für die Schwächsten
„Wir wollen die Stimmen des schwächsten Teils der Bevölkerung hören – Frauen aus weit entlegenen Regionen, um ihnen starke Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme zu leisten, indem wir ihre Geschichten in der Presse beleuchten“, sagt die Initiatorin des Projekts, die Chefredakteurin der Zeitung „Wetschjorka“ Gulnora Amirschojewa.
Warum, so fragt sich Amirschojewa, gibt es heute keinen Raum für den Dialog zwischen Frauen aus verschiedenen Schichten der tadschikischen Gesellschaft? „Heutzutage kann man eine Polarisierung beobachten – zwischen aktiven, erfolgreichen Frauen und jenen, die aus verschiedenen Gründen um viele Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung beraubt sind“, erklärt sie. Ihrer Meinung nach lässt sich diese Polarisierung nicht nur bei der Lebensgestaltung, sondern auch bei der gesellschaftlichen Rolle, bei der Kindererziehung und im Familienleben beobachten.
„Tausende tadschikische Frauen haben es nicht leicht. Die Männer arbeiten im Ausland, Kinder und Haushalt lasten auf ihren brüchigen Schultern. Dabei sollen sie jahrhundertealten Traditionen und Stereotypen entsprechen. Nicht alle halten des grausamen Druck aus, den ihnen Vorurteile auferlegen“, merkt Amirschojewa an.
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Laut Meinung von ExperInnen herrscht in tadschikischen Familien ein hohes Niveau an Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen von Seiten der Männer und ihrer Verwandte. Dies betrifft vor allem Frauen aus ländlichen Gebieten, die über keine weiterführende Bildung verfügen.
Diese Frauen kennen nicht ihre Rechte und haben auch keinen Zugang zu Informationen diesbezüglich, auch nicht durch die Medien. Der Großteil erträgt die Verhöhnung von Seiten der Ehegatten und derer Verwandte lange Jahre, weil sie einfach nicht wissen, wie sie sich und ihre Kinder in Sicherheit bringen können. Und wenn man bedenkt, dass diese Frauen meistens weder Beruf noch Arbeit haben, macht ihnen jedes Zukunftsszenario Angst, in dem sie ohne den Mann und seine finanzielle Hilfe bleiben könnten.
„Frauen aus den benachteiligten Schichten der Gesellschaft teilen mitunter mit niemandem ihre Gefühle. Sie haben keine Informationen über das, was inner- und außerhalb des Landes vorgeht und sind allein auf die Probleme des häuslichen Lebens beschränkt. Deswegen haben wir uns entschlossen ihnen zu helfen und sind in die entlegensten Regionen gefahren, um ihnen zuzuhören und um zu versuchen ihnen zu helfen“, merkt die Vorsitzende der Nationalen Journalistinnen-Koalition Tadschikistans Salamachon Wachobsade an.
Das größte Problem ist die Arbeitslosigkeit
Im Rahmen der Gespräche mit Frauen im Gebiet Darvoz und in Chorog stellte sich heraus, dass das größte Problem die Arbeitslosigkeit ist. Laut Gulbacht Galtschabekowa, Abteilungsleiterin für Frauen und Familie bei der Stadtverwaltung Chorog, betrifft dieses Problem nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer, sodass viele zeitlich begrenzt oder auch für immer nach Russland gehen. Gemäß offiziellen Daten gehen derzeit von den knapp 17 000 Frauen der Stadt lediglich 53 Prozent einer regelmäßigen Beschäftigung nach.
„In unserem Bezirk wurde dank örtlicher Unternehmer eine Nähfabrik mit 150 Arbeitsplätzen errichtet, aber das reicht nicht aus. Die Zahl der Frauen, die arbeiten wollen, ist in letzter Zeit gestiegen“, sagt Schachrigul Kodirion, Ortsratsvorsitzende von Kalaichumb im Bezirk Darvoz. Ihren Worten nach sind die Frauen bereit in der Verarbeitung von Obst, Gemüse und Milchprodukten oder in der Konditorei zu arbeiten. Aber sie haben keine Möglichkeit dazu, weil es keine Unternehmen gibt, die ihnen Arbeitsplätze anbieten.
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Guldscharon Schechowa, Abteilungsleiterin für Arbeit bei der Bezirksverwaltung, erläutert, dass jedes Jahr 160 Personen im Zentrum für Erwachsenenbildung weitergebildet werden. „Aber trotz unserer Bemühungen beläuft sich die Zahl der Arbeitslosen auf 1769 Personen, davon 760 Frauen, die sich offiziell bei der Arbeitssuche an unser Zentrum gewandt haben. Davon konnten wir 130 Personen eine zeitlich begrenzte Beschäftigung vermitteln“, merkt Schechowa an.
Von der Pädagogin zur Kämpferin
Gulniso Riskulojewa, Direktorin der Grundschule des Dorfes Chost, arbeitet seit elf Jahren als Pädagogin und Schulleiterin. Sie kam mit der Ehe ins Dorf und gebar fünf Kinder. Ihre älteste Tochter, die die Pädagogische Universität in Duschanbe abgeschlossen hat, war das erste Mädchen des Dorfes, das man studieren ließ. Gulniso sagt, dass die DorfbewohnerInnen ihre Töchter zum Studium ließen, nachdem sie am eigenen Beispiel die Notwendigkeit von Bildung gezeigt hatte.
„Aber die Jugend hat es nicht eilig nach Erhalt des Diploms ins Dorf zurückzukehren. Chost befindet sich 15 Kilometer vom Hauptort des Bezirks entfernt im Hochgebirge, wohin man nur sehr schwer gelangt. Im Winter ist das Dorf fünf Monate isoliert, da die Straßen nicht passierbar sind“, sagt Gulniso. „Drei Tonnen Kohle, die die Bezirksverwaltung für den Winter zuteilt, werden auf den Rücken von Eseln ins Dorf getragen, weil es keine anderen Transportmöglichkeiten gibt. Bis zur Brücke kann man fahren, danach muss man zu Fuß gehen. Die Fahrt in den Hauptort kostet pro Person 100 Somoni (9,29 Euro). Das geht ans Geld.“
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Die Dorfschule besteht aus einem kleinen Zimmer, in dem die 14 SchülerInnen von der ersten bis zur vierten Klasse lernen. Mehrmals hat Gulniso über eine Kündigung nachgedacht, aber die Dorfältesten haben sie gebeten zu bleiben, da anderenfalls niemand die Kinder unterrichten würde. Nach der vierten Klasse müssen sie so oder so ins Bezirksinternat.
„Ich verstehe natürlich, dass in einem Dorf mit zwölf Haushalten eine allgemeinbildende Schule nicht rentabel ist, aber wenn man die Grundschule renovieren und eine gute Straße bauen könnte, wäre das einfach klasse“, sagt Gulniso.
„Eine Frau muss sich behaupten können“
Im Rahmen des Projektes erhielten die Teilnehmerinnen kostenlose Rechtsberatung durch die Bürgerrechtlerinnen vom Zentrum „Bovari“, die die Journalistinnen auf ihrer Reise begleiteten. Es wurde vorgeschlagen, im weiteren Seminare zu Rechtsfragen für die Frauen von Land zu organisieren, da viele nichts über ihre Rechte im Falle einer Scheidung wissen. Auch wenn im letzten Jahr die Scheidungen signifikant zurückgegangen sind (sechs in den ersten zehn Monaten 2018 gegenüber 18 im Vorjahr), bleibt dieses Problem aktuell.
Elena (Name geändert) aus dem Bezirk Darvoz erzählt, dass ihr Mann sie vor einigen Jahren aus Russland herholte. Sie haben drei Kinder bekommen und nun ist sie buchstäblich auf die Straße gesetzt worden. Sie hat hier niemanden, nach Russland kann sie nicht zurück, da sie weder Dokumente für die Kinder hat, noch die Erlaubnis des Ex-Mannes sie außer Landes zu bringen. Sie lebt bei Leuten, die ihr Unterkunft gewähren, ohne Zukunftsperspektive.
Die Generaldirektorin des Hotels „Karon“, Sebuniso Gaffori, die der Arbeit wegen aus der Hauptstadt in den entlegenen Bezirk kam, versucht solchen Frauen zu helfen. Sie hat Elena nicht nur zweitweise Arbeit angeboten, sondern unterstützt sie auch bei Rechtsfragen in Bezug auf die Dokumente.
„In den sieben Monaten, in denen ich hier lebe und arbeite, musste ich mit vielen Schwierigkeiten fertig werden. In erster Linie muss man Stereotype überwinden und zeigen, dass eine junge Frau eine Belegschaft, bestehend aus Männern mit einer bestimmten Mentalität, leiten kann. Ich bin froh, dass ich in der kurzen Zeit nicht nur gute Beziehungen zu Bezirksadministration und Staatsorganen, sondern auch zur Bevölkerung aufbauen konnte“, erzählt Sebuniso.
„Ich führe Trainings nicht nur im Bereich Team-Management durch, sondern auch in Rechtsfragen, zum Beispiel über häusliche Gewalt. Ich bin keine Befürworterin der Gleichstellung, da ich meine, dass eine besondere Verantwortung für die Familie auf den Schultern des Mannes liegen sollte, aber ich denke, dass die Frau sich in jeder Situation behaupten können soll. Das flöße ich auch meinen Mitarbeitern ein“, sagt sie.
Gulbacht Galtschabekowa, Abteilungsleiterin für Frauen und Familie bei der Stadtverwaltung Chorog, gibt an, dass sie in ihrer Arbeit nichts mit Fällen von häuslicher Gewalt zu tun hatte. „Die Frauen Badachschans sind so standhaft wie die Berge“, sagt sie und führt Beispiele von örtlichen Frauen an, die eigenständig viele Probleme des Lebens lösen konnten, unter anderem bei einer Scheidung.
Frauen in entlegenen Regionen sind mit Problemen konfrontiert und es ist notwendig diese Probleme gemeinsam zu lösen. Zu diesem Schluss kamen die Teilnehmerinnen der pressefahrt nach Berg-Badachschan. Kürzlich hat die Jornalistinnen-Koalition ein Treffen mit weiblichen Inhaftierten des Gefängnisses von Nurek durchgeführt. Weitere Treffen mit Frauen in verschiedenen Landesteilen sind geplant. In Rahmen des Projektes erhalten alle Teilnehmerinnen eine speziell herausgegebene Broschüre mit psychologischen, medizinischen und rechtlichen Ratgebern sowie einer Zusammenstellung „nützlicher Kontakte“ von Organisationen, die den Frauen Hilfe anbieten.
Aus dem Russischen von Robin Roth
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