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Alte Traditionen, neue Namen? Sowjetische Traditionen in Tadschikistan

Aus Leninabad wurde Guliston, aus dem Frauentag der Muttertag und statt des Tags der Arbeit wird Anfang März das Nouruz-Fest gefeiert. Dennoch haben sich viele sowjetische Traditionen in Tadschikistan bis heute erhalten. Wie sie sich im öffentlichen Raum, bei Hochzeiten und am Tag der unbezahlten Arbeit bemerkbar machen, lest ihr hier.

Alte Traditionen, neue Namen? Sowjetische Traditionen in Tadschikistan
Quelle: Post of the Soviet Union (Des S. A. Pomansky. Eng T. Nikitina).

Aus Leninabad wurde Guliston, aus dem Frauentag der Muttertag und statt des Tags der Arbeit wird Anfang März das Nouruz-Fest gefeiert. Dennoch haben sich viele sowjetische Traditionen in Tadschikistan bis heute erhalten. Wie sie sich im öffentlichen Raum, bei Hochzeiten und am Tag der unbezahlten Arbeit bemerkbar machen, lest ihr hier.

Die sowjetischen Traditionen wurden leicht modifiziert und erhielten neue Namen, aber im Großen und Ganzen blieb vieles wie zu Sowjetzeiten. Im Allgemeinen unterscheiden sich einige aktuelle tadschikische Traditionen nicht allzu sehr von der Art und Weise, wie sie in der UdSSR praktiziert wurden: seien es die Hochzeitsprozession, die Verehrung von Symbolen, oder die Vorbereitungen für das Neujahrsfest. Alles, was gut, freundlich, pompös und manchmal etwas unverständlich war, wurde beibehalten, nur der Name wurde geändert und ins Tadschikische übersetzt. Doch einige Traditionen wurden leider nicht beibehalten.

Hochzeitstraditionen

Als die Sowjets in Tadschikistan an die Macht kamen, wurden die Hochzeitstraditionen stark verändert. Die Familie wurde als neue soziale Einheit betrachtet, die den Prinzipien der kommunistischen Moral zu folgen hatte und aktiv am Aufbau des Kommunismus – und damit an einer besseren Zukunft – mitwirken sollte. So wurde es Brauch, dass die Braut und der Bräutigam an den Denkmälern großer Persönlichkeiten und Massengräbern von Nationalhelden Blumen niederlegen. In Duschanbe war es bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion üblich, dass ein Hochzeitszug aus der Stadt hinausfuhr, oft in die Schlucht von Varzob. Am Abend feierten alle eine kommunistische Komsomol“-Hochzeit, die selten ohne Alkohol auskam.

Viele dieser Traditionen haben sich in Tadschikistan bis heute erhalten. Die Eheschließungen sind ebenso feierlich, finden in den gleichen Räumlichkeiten statt und werden weiterhin offiziell als Ehepaar registriert. Blumen an Denkmälern niederzulegen, ist nach wie vor üblich, wenn auch heute meist am Denkmal zu Ehren der Samaniden. Anstatt außerhalb der Stadt zu feiern, entscheiden sich Brautpaare immer häufiger für einen Spaziergang zu Sehenswürdigkeiten. Dies sind in der Regel der Botanische Garten oder die Festung Hissar.

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Am Abend findet die Hochzeit statt, wie es sich gehört, jedoch steht kaum Alkohol auf den Tischen und nicht so viele Gäste sind geladen. Schlägereien im Anschluss, wie sie zu Sowjetzeiten üblich waren, sind selten geworden.

Subbotnik gestern – Haschar heute

Zu Beginn der Sowjetzeit wurde der Subbotnik eingeführt. An bestimmten Wochenenden im Jahr mussten alle unentgeltlich zum Wohle der Gesellschaft arbeiten. Traditionell fanden die sogenannten Subbotniks im April statt, da in diesem Monat Lenin geboren wurde.

Der Proletarieranführer mit dem Holzscheit bei einem Subbotnik in Moskau – eine Szene, die von sowjetischen Künstlern in Fotos und Gemälden festgehalten wurde – diente allen Menschen in der Sowjetunion als Vorbild. Die Beschäftigten in den Fabriken arbeiteten an diesem Tag umsonst, und das sowjetische Fernsehen berichtete über beispiellose Arbeitserfolge am „Feiertag der befreiten Arbeit“. Am Anfang war es tatsächlich eine Manifestation revolutionärer Begeisterung, gegen Ende der UdSSR wurde daraus nahezu eine Pflicht.

Die Subbotniks haben bis heute überlebt, wurde allerdings im heutigen Tadschikistan durch den traditionellen orientalischen Brauch des Chaschar ersetzt. Ende Februar werden überall Bäume gepflanzt; auch der Präsident beteiligt sich an diesen Aktionen.

Von Leninabad bis Guliston – Geografische Namen

Hauptstraßen waren in der Sowjetunion in fast allen Städten, Dörfern, Kreis- und Regionalzentren nach Lenin benannt. In Tadschikistan trug auch das heutige Chudschand Lenins Namen. Darüber hinaus trugen viele Städte, Bezirke, Kolchosen und Staatsbetriebe die Namen anderer kommunistischer Parteiführer, Kriegshelden, Helden der Arbeit und Dichter oderwurden zu Ehren wichtiger Daten – Kongressen, Jahrestagen der Revolution und Siegen – benannt.

In Tadschikistan wird diese Tradition beibehalten, allerdings mit neuen Namen. Alle Namensgebungen zu Ehren ehemaliger Parteiführer, Kriegs- und Arbeiterhelden, die keine Tadschik:innen waren, verschwinden allmählich von der Landkarte der Republik. Die beliebtesten Ortsnamen sind jetzt Istiklol (Unabhängigkeit), Wahdat (Einigkeit), Somoni, Dusti (Freundschaft) und Guliston (Blumengarten).

Ländliche Gebiete haben ihren eigenen „Stil“ der Namensgebung. Neben den oben genannten Namen findet man leicht Dschamoats und Dörfer, die nach Kolchosvorstehern, Brigadieren und oder gar „angesehenen Persönlichkeiten“ aus den Ortschaften benannt sind.

Feiertage: Namen ändern, Sinn bewahren

In der Union wurden alle wichtigen Feiertage mit einem großen Fest begangen: 7. November – Tag der Oktoberrevolution, 9. Mai – Tag des Sieges, 8. März – Internationaler Frauentag, 1. Mai – Internationaler Tag der Arbeit…

Von Anfang an wurde der 8. März nicht als ein Tag des Kampfes der Frauen für ihre Rechte angesehen, sondern einfach als eine Gelegenheit für Männer, ihren Liebsten zu Hause und ihren Arbeitskolleginnen Blumen zu schenken und gute Wünsche auszusprechen. Bis heute ist dieser Feiertag in Tadschikistan geblieben, ein arbeitsfreier Tag, doch er wurde zum Muttertag erklärt.

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Am 23. Februar, dem Tag der Armee und der Marine, war es üblich, den Männern zu gratulieren. Dieses Datum wurde in Tadschikistan nicht abgeschafft und der militärische Charakter wurde beibehalten, allerdings heißt er nun „Tag der Armee“.

Im Allgemeinen wird dieser Feiertag auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR seit vielen Jahren einfach als Tag der Männer betrachtet. Und die Tradition, den Männern am 23. Februar zu gratulieren, scheint weiterzuleben. Denn für Frauen ist der 23. Februar die beste Gelegenheit, ihren Liebsten ihre Zuneigung zu zeigen, um am 8. März selbst davon zu profitieren.
Traditionell wird der 9. Mai, der Tag des Sieges, gemeinsam mit allen ehemaligen Teilrepubliken gefeiert.
Der 1. Mai, der Internationale Tag der Arbeit, einer der beliebtesten Frühlingsfeiertage, wurde gestrichen. Dafür wird jetzt das Nouruz-Fest im März bis zu vier Tage lang gefeiert.

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Nun zu einer guten sowjetischen Tradition, die sich in der neuen Realität nicht durchgesetzt hat und sicher auch nicht wiederbelebt wird: In der UdSSR wurden ab dem 13. Dezember 1947 am Vorabend wichtiger Jahrestage die Preise für Konsumgüter gesenkt. Die größte Preissenkung – bis zu 30 Prozent – gab es am 1. April 1952. Über diesen Tag wird heutzutage gespottet. Doch in Tadschikistan scheint es im Gegenteil Tradition zu werden, am Vorabend aller Feiertage die Preise für alle Lebensmittel zu erhöhen – manchmal um das Dreifache oder mehr.

Symbole, Slogans, Flaggen

In der UdSSR wurde den Staatssymbolen große Bedeutung beigemessen. Sie waren fast überall zu sehen, am häufigsten jedoch auf Abzeichen und Diplomen. Wer sich auszeichnete, wer in irgendeiner Weise seine Nützlichkeit für die Gesellschaft unter Beweis stellte, erhielt Abzeichen, Diplome und Urkunden; die Gewinner sozialistischer Wettbewerbe und die besten Arbeitskollektive erhielten das Rote Banner. Fester Bestandteil der öffentlichen Kundgebungen waren Transparente mit Losungen wie „Die Pläne der Partei sind die Pläne des Volkes“, „Fünf Jahre – in drei Jahren“, „Lasst uns den Plan vorzeitig erfüllen“ oder mit Zitaten der Staatsführung.

Diese Tradition wird auch heute noch in vielen Ländern des ehemaligen sozialistischen Raums gepflegt. So sieht man in Tadschikistan viele Plakate mit Zitaten aus Reden von Präsident Emomali Rahmon.

Eine weitere Tradition aus der UdSSR ist die Vorliebe für Flaggen. Sie wurden häufig an den Gebäuden staatlicher und öffentlicher Organisationen aufgehängt und bei kommunistischen Feierlichkeiten geschwenkt.
Im unabhängigen Tadschikistan wird diesem wichtigen Symbol der Staatlichkeit große Bedeutung beigemessen. Im November 2009 wurde ein Gesetz verabschiedet, das den 29. November zum Tag der Flagge erklärt. Am 30. August 2011 wurde in Duschanbe der bisher höchste Flaggenmast eingeweiht – mit 165 Metern ein Rekord, der auch im Guinness-Buch der Rekorde steht.

Silvester als Reibungspunkt zwischen Behörden und Gesellschaft

Auch Silvester kann als bestehende Tradition angesehen werden, obwohl es zunehmend umstritten ist und zu einem Reibungspunkt zwischen den Behörden und der Gesellschaft geworden ist. Viele Menschen halten es für einen Feiertag, der den Tadschik:innen ursprünglich fremd ist. In Tadschikistan wurde das Neujahrsfest mit seinen Symbolen – dem Weihnachtsmann und dem Weihnachtsbaum – erstmals 1936 im Zuge der Verabschiedung der neuen sowjetischen Verfassung und auf Initiative des Komsomol gefeiert. Elf Jahre später wurde das Neujahrsfest zum gesetzlichen Feiertag, der am 1. Januar stattfindet.

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Und wie überall in der Sowjetunion wurden der Duft eines echten Tannenbaums, Mandarinen, ein festlich gedeckter Tisch mit dem Salat „Olivier“ und Neujahrssendungen im Fernsehen bis in die frühen Morgenstunden zu den wichtigsten Attributen der Neujahrsfeier. Ab 1964 kam das „Blaue Licht“ und ab 1976 die beliebte sowjetische Komödie „Die Ironie des Schicksals oder mit leichtem Dampf“ hinzu.

Und obwohl es in diesem Jahr nicht einmal einen großen Weihnachtsbaum in der Stadt gab – alle festlichen Veranstaltungen wurden wegen der Pandemie abgesagt – hat diese Tradition praktisch überlebt. Zu Hause wird immer noch der Weihnachtsbaum geschmückt, es gibt Geschenke und Süßigkeiten, „Olivier“-Salat, Mandarinen und Champagner (zwar keinen sowjetischen, aber immer noch Champagner).

Die Redaktion von asia plus
Aus dem Russischen von Berenika Zeller

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