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Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Kirgistan

Kamtschybek Kolbajew, Anführer einer organisierten kriminellen Gruppe, ist von den kirgistanischen Behörden erschossen worden, nachdem er sich seiner Festnahme widersetzt hatte. Die Umstände seines Todes sind jedoch umstritten, da die Regierung verdächtigt wird, seine Beseitigung vorbereitet zu haben, um seinen Einfluss in politischen Kreisen zu beschränken.

Kamtschybek Kolbajew bei seiner Festnahme 2020, Photo: Kaktus Media (Screenshot)…

Kamtschybek Kolbajew, Anführer einer organisierten kriminellen Gruppe, ist von den kirgistanischen Behörden erschossen worden, nachdem er sich seiner Festnahme widersetzt hatte. Die Umstände seines Todes sind jedoch umstritten, da die Regierung verdächtigt wird, seine Beseitigung vorbereitet zu haben, um seinen Einfluss in politischen Kreisen zu beschränken.

Für den als unantastbar geltenden Kriminellen ist es vorbei. Wie Kloop berichet, wurde Kamtschybek Kolbajew, eine Autorität des organisierten Verbrechens in Kirgistan, am 4. Oktober vom Staatlichen Komitee für Nationale Sicherheit (GKNB) in Bischkek erschossen. Nach Angaben des Geheimdienstes hatte er sich „mit Waffengewalt“ gewehrt, als die Sicherheitskräfte versuchten, ihn festzunehmen. Dies veranlasste sie dazu, das Feuer zu eröffnen.

Gegen Kolbajew wurde in mehreren Anklagepunkten ermittelt: Gründung einer organisierten kriminellen Gruppe, Waffenhandel und illegaler Besitz von Eigentum, wie Radio Azattyk schreibt. Gegen ihn wurde insbesondere wegen seiner Beteiligung an der Ermordung von Tschingis Dschumagulow, dem Anführer einer rivalisierenden kriminellen Gruppe, in einer Untersuchungshaftanstalt im Juli 2022 ermittelt.

Kolbajew war der Kopf eines großen Netzwerks in Kirgistan, das laut Radio Azattyk im Jahr 2018 nicht weniger als 424 Mitglieder zählte. Er wurde 1974 geboren und baute sein kriminelles Imperium nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den 1990er Jahren auf, erinnert The Spectator.

Unterdrückung des organisierten Verbrechens

Am 5. Oktober sprach der Leiter des GKNB, Kamtschybek Taschijew, öffentlich über Kriminelle, die mit der berühmten Mafia in Verbindung stehen: „Wenn jemand versucht, seinen Kopf gegen die Gesellschaft zu erheben oder sich an illegalen Aktionen beteiligt, wird er gemäß dem Gesetz hart bestraft“. Die Absicht, dem organisierten Verbrechen ein Ende zu setzen, hatte Präsident Sadyr Dschaparow bereits bei seinem Amtsantritt im Oktober 2020 für sich geäußert: Er hatte dies zu einer Priorität seines Programms gemacht, berichtete damals Kaktus.

Am 10. Oktober gab der GKNB bekannt, dass mehr als 40 Mitglieder der Gruppe um Kolbajew festgehalten werden. Laut Kloop sollen die Behörden auch sieben Mitglieder der kriminellen Gruppen „Dschango“ und „Kosaki“ festgenommen haben. Nach der Erklärung des GKNB-Chefs filmten sich andere Kriminelle und schworen, das Gesetz zu achten und ihre illegalen Aktivitäten aufzugeben.

Von den US-Behörden gesucht

Kolbajew war vor allem für seine Verbindungen zum Drogenhandel in Eurasien und für die Entwicklung der „Nordroute“ bekannt, über die Drogen von Afghanistan nach Tadschikistan und Usbekistan transportiert wurden. Die US-Behörden setzten für das Jahr 2021 eine Belohnung von 5 Millionen US-Dollar (4,57 Millionen Euro) für Informationen aus, die zur Beendigung seiner Aktivitäten führen könnten, da er auch der Korruption, des Menschen- sowie Waffenhandels beschuldigt wurde.

Im Wesentlichen genoss Kolbajew sein ganzes Leben lang eine gewisse Straffreiheit. Im Jahr 2000 wurde er wegen versuchten Mordes an Rysbek Akmatbajew, dem Anführer einer anderen kriminellen Gruppe, und der Ermordung von zwei seiner Männer zu 25 Jahren Haft verurteilt. Nach sechs Jahren gelang ihm die Flucht. Im Jahr 2012 wurde er wegen Erpressung zu drei Jahren Haft verurteilt, doch seine Flucht im Jahr 2006 wurde in dem Verfahren nicht berücksichtigt.

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Im Oktober 2020 wurde der kirgisische Kriminelle erneut verhaftet und nach einem Jahr wieder freigelassen, da er vom Programm der Wirtschaftsamnestie, der „Kusturizatsia“ profitierte.

Nähe zur Regierung

Um diese Straflosigkeit zu erklären, haben Experten häufig auf eine Nähe zwischen Kolbajew und bestimmten politischen Figuren hingewiesen. Sein Aufstieg in der organisierten Kriminalität verschaffte ihm laut The Diplomat Einfluss in der Regierung. Im Jahr 2007 war es der Innenminister selbst, der sich für die Aufhebung des Haftbefehls bezüglich seines Gefängnisausbruchs einsetzte.

Der Jahresbericht der NGO Transparency International führt Kirgistan auf Platz 140 von 180 Ländern auf, was nicht verwunderlich ist, da die Korruption im Land sehr hoch ist. Der schnelle politische Aufstieg Dschaparows hatte im Übrigen zahlreiche Fragen aufgeworfen, insbesondere jene nach einer möglichen Unterstützung krimineller Netzwerke. Der Name Kamtschybek Kolbajew war in den Debatten mehrfach gefallen.

Verbindungen zu Raimbek Matraimow

Im Dezember 2020 wurden Verbindungen zwischen Kamtschybek Kolbajew und einer anderen Persönlichkeit von politischem Gewicht, Raimbek Matraimow, aufgedeckt. Der ehemalige Zolldirektor soll mehr als 700 Millionen US-Dollar (640 Millionen Euro) veruntreut haben. Er war ebenfalls im Oktober 2020 festgenommen und später wieder freigelassen worden, nachdem er 24 Millionen US-Dollar (22 Millionen Euro) an den Staat gezahlt hatte.

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Aus diesem Grund kann das Projekt der Regierung zur Unterdrückung des organisierten Verbrechens nur schwer überzeugen. Bereits im Oktober 2020 hatte die gefilmte Verhaftung von Kolbajew in Bischkek viele verblüfft und konnte an eine vorbereitete Inszenierung denken lassen. Diese Meinung vertrat auch der ehemalige GKNB-Chef Keneschbek Düischöbajew, der sie als „Theatershow“ kritisierte.

„Diebe im Gesetz“

Der Tod Kolbajews ist auch ein Symbol für den Niedergang der „Vory v Zakone“ (zu Deutsch „Diebe im Gesetz“), wie The Spectator betont. Die Mitgliedschaft in dieser Elite der sowjetischen Mafia, die in den Gulags der ehemaligen UdSSR entstanden war, wurde durch die „Krönung“ gekennzeichnet. Der Titel war 2008 in Moskau offiziell an Kamtschybek Kolbajew verliehen worden.

Mit der Ermordung der wichtigsten „Diebe“ in den letzten 20 Jahren hat sich das Geschäftsmodell des organisierten Verbrechens verändert. Die Nachfolger der „Vory v Zakone“ sind eher kriminelle Unternehmer, die versuchen, den Drogenhandel nach Europa auszuweiten. Dem widersetzte sich Kolbajew.

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Er soll sich auch geweigert haben, mit russischen Kriminellen zusammenzuarbeiten, um verbotene Komponenten in den Norden zu schmuggeln, da er fürchtete, die Aufmerksamkeit auf seine Drogengeschäfte zu lenken. Aus diesem Grund soll er sich auch gegen die Umgehung der gegen Russland gerichteten Sanktionen ausgesprochen haben. Kolbajews Tod wäre also nicht so sehr ein Sieg für die Unterdrückung der Kriminalität, sondern könnte zu ausgeklügelteren Systemen zur Umgehung von Sanktionen führen.

Die offizielle Version des Todes ist umstritten

Trotz Kolbajews Nähe zu politischen Kreisen legt Radio Azattyk nahe, dass die Regierung letztlich beschlossen hatte, seinen Einfluss zu begrenzen. Dies gilt umso mehr, als die offizielle Version seines Todes umstritten ist. Einige fragen sich, ob der Verbrecher das Risiko eingegangen wäre, das Feuer auf bewaffnete Polizisten zu eröffnen. Bisher hatte er bei seinen Verhaftungen stets mit den Ordnungskräften kooperiert und sein Anwalt behauptet, dass er keine Waffe bei sich trug.

Die kirgisische Regierung wollte möglicherweise die Kontrolle über Kolbajews Schmuggelaktivitäten zurückgewinnen, argumentiert Kloop, da Kirgistan für seine Zollkorruption bekannt ist. Thomas Adshead, Berater für wirtschaftliche und politische Risiken in Eurasien, erinnert auf X (ehemals Twitter) daran, dass in den zwei Monaten vor Kolbajews Tod Schwierigkeiten beim Überschreiten der kasachstanisch-kirgisischen Grenze für Waren beobachtet worden waren.

Eine Beseitigung auf Initiative des GKNB-Chefs?

Es wurde eine Vereinbarung mit den kasachstanischen Behörden getroffen, um das Problem zu lösen: „Dann erfahren wir, dass Kamtschybek Kolbajew beim Widerstand gegen seine Verhaftung starb und dass Raimbek Matraimow, ein mit ihm verbundener ehemaliger hoher kirgisischer Zollbeamter, verhaftet wurde. Es könnte sich also um eine Absprache zwischen Qasym-Jomart Toqaev und Sadyr Dschaparow handeln, um beim Zoll aufzuräumen“, beobachtet Thomas Adshead.

Auch könnte die Beseitigung Kolbajews allein auf Initiative des Leiters des Sicherheitsdienstes erfolgt sein. „All diese Operationen gegen unsere kriminellen Behörden und organisierten kriminellen Gruppen sind hauptsächlich nicht mit Dschaparow, sondern mit seinem politischen Verbündeten und Leiter des GKNB, Kamtschybek Taschijew, verbunden“, vermutet der Politikwissenschaftler Igor Schestakow gegenüber dem kasachstanischen Medium Tengri News.

„Konsolidierung des bestehenden Regimes“

Laut Kloop hat sich die Rolle des GKNB-Chefs sogar noch verstärkt. Neben der Sicherheit ist er nun auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Kultur oder Energie tätig und konzentriert Ressourcen in nie dagewesenem Ausmaß. Die Politikwissenschaftlerin Asel Döölötkeldiejewa analysiert auf X, dass die Beseitigung solch einflussreicher Persönlichkeiten nur eines bedeutet: die Konsolidierung des bestehenden Regimes.

Diese Hypothesen stellen die Bevölkerung nicht zufrieden, da sie die undurchsichtigen Maßnahmen der Regierung zur Unterdrückung krimineller Aktivitäten kritisieren, wie The Diplomat berichtet. Asel Döölötkeldijewa erinnert daran, dass etwa 5.000 Menschen an der Beerdigung von Kolbajew in Tscholpon-Ata teilgenommen haben.

„Kriminelle, die Wohltätigkeitsarbeit geleistet haben, genießen einen zwiespältigen Ruf, insbesondere unter den Armen, die sich in instabilen Situationen befinden.“ Im Gebiet Yssyk-Köl, der Heimatregion Kolbajews, „verehren ihn viele einfache Leute wegen seiner Interventionen während der Covid-Pandemie“, stellt die Politologin fest.

Geschäftsleute verhaftet, 50 Zollbeamte entlassen

Trotz allem kann Kolbajews Tod auf einen grundlegenden Wandel hoffen lassen. Davon zeugen die vielen Verhaftungen von Geschäftsleuten, die angeblich mit den Aktivitäten des Kriminellen in Verbindung standen, in den Tagen nach seinem Tod. Kaktus berichtet von Bau- und Telekommunikationsunternehmen wie Timur Faisijew, Tursuntai Salimow, Ernis Minkejew und Arstanbek Temirbajew.

Auch innerhalb des kirgistanischen Zolls ist eine Säuberung im Gange. Am 10. Oktober wurde der ehemalige stellvertretende Leiter der Zollbehörde Samirbek Karatschew verhaftet. Und am 18. Oktober kündigte der GKNB die Entlassung von rund 50 Personen aus dieser Abteilung aufgrund ihrer Verbindungen zu Kamtschybek Kolbajew und Raimbek Matraimow an – darunter auch Bakyt Asanbek uulu, der kein anderer ist als der Bruder von Kamtschybek Kolbajew.

Romane Haquette, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Michèle Häfliger

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