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„Gibt es keinen russischen Arzt?“ – Tadschikische Mediziner über Fremdenfeindlichkeit in Russland

Die ablehnende Haltung gegenüber Menschen aus zentralasiatischen Ländern hat nach dem Terroranschlag auf die Moskauer Konzerthalle Crocus City Hall zugenommen. Auch Ärzte sind davon nicht ausgenommen.

Eine Poliklinik in der russichen Stadt Tula (Illustrationsbild), Photo: Wikimedia Commons

Die ablehnende Haltung gegenüber Menschen aus zentralasiatischen Ländern hat nach dem Terroranschlag auf die Moskauer Konzerthalle Crocus City Hall zugenommen. Auch Ärzte sind davon nicht ausgenommen.

Faridun, ein gebürtiger Tadschike, arbeitet seit 12 Jahren als Arzt in Russland. Er hat zahlreiche Zeugnisse und Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten, das schützt ihn aber nicht vor Fremdenfeindlichkeit.

Gegenüber der Nachrichtenseite Nastojaschtschee wremja (Die Aktuelle Zeit) erzählte er, dass die Patienten oft unhöflich zu ihm sind, weil er kein Russe ist. Manchmal beleidigen sie ihn sogar. In letzter Zeit beginnt er zu bereuen, nach Russland gezogen zu sein: Nach dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall hat sich die Einstellung gegenüber Migranten in Russland drastisch verschlechtert. Denn laut den Ermittlungsbehörden waren mehrere tadschikische Staatsangehörigen für den Anschlag verantwortlich.

„Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie Patienten hunderte Male fragten: ‚Gibt es keinen russischen Arzt? Ich will nicht von einem nicht-russischen Arzt behandelt werden’“, erzählte er. „Diejenigen, die uns einfach nicht mochten, begannen uns nach Crocus richtig zu hassen. Jetzt fangen sie an, uns auch offen anzufeinden“.

Fariduns Freund arbeitet ebenfalls als Arzt in Russland und ist genauso mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert. „Sobald ein Patient erfuhr, dass sein Arzt Tadschike war, änderte sich seine Einstellung sofort, obwohl er diesen Arzt nicht zum ersten Mal aufgesucht hatte“, sagt Faridun.

Wachsende Ressentiments oder Einzelfälle?

Abdullo Dawlatow, bekannter tadschikischer Arzt und Mitglied des Rates für Nationalitäten bei der Moskauer Regierung, arbeitet ebenfalls seit mehr als 30 Jahren in Russland. Er behauptet, dass solche Fälle von Fremdenfeindlichkeit in Russland selten sind. „Ich persönlich habe noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Auch von anderen Landsleuten in Moskau habe ich noch nichts über Gesetzesverstöße oder Misshandlungen ihnen gegenüber gehört. Im Internet kann man aber durchaus Berichte über unhöfliche Verhaltensweisen gegenüber unseren Landsleuten oder anderen Nicht-Russen lesen“, stellt er fest.

In russischen sozialen Netzwerken stellt man das Wissen und die Kompetenz von Ärzten mit Migrationshintergrund in der Tat häufig in Frage: Ausländische Ärzte werden oft lächerlich gemacht und gedemütigt.

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In orthodoxen und nationalistischen Publikationen werden diese Ärzte oft direkt beschimpft. Zum Beispiel: „Ein Arzt mit Tubeteika, eine Krankenschwester im Niqab, „Illegale laufen ruhig in Krankenhäusern rum“, „Ein Skalpell in den Händen eines Migranten“. Solche fremdenfeindlichen Aussagen werden im Internet hunderttausendfach aufgerufen und geliked.

Abdullo Dawlatow glaubt jedoch, dass die Wurzel des Problems in einem Gesetz aus dem Jahr 2011 liegt, das den Status von Ärzten herabsetzte und sie mit Servicepersonal gleichstellt. „Ärzte werden nicht mehr als Elite angesehen. Jetzt werden sie als einfache Arbeiter wahrgenommen, auf einer Stufe mit Kellnern oder Hausmeistern. Patientenbeschwerden gegen Ärzte sind häufiger geworden und die Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten haben sich generell verschlechtert. Es gibt Vorschläge zur Änderung der Gesetzgebung, um den Status der Ärzte aufzuwerten, was ihre Behandlung verbessern könnte. Aber das hat nichts mit der ethnischen Zugehörigkeit oder der Nationalität zu tun“, sagte Dawlatow.

„Geduldet“, weil das Personal fehlt

Faridun ist der Ansicht, dass „nicht-russische“ Ärzte in Russland nur deshalb geduldet werden, weil es im Lande an medizinischem Personal mangelt und die Krankenhäuser auf zugewanderte Ärzte angewiesen sind. „Diejenigen, die offiziell arbeiten, werden nicht so schlecht behandelt, weil sie gebraucht werden. Wenn sie uns nicht bräuchten, hätten sie uns schon längst im Stich gelassen“, erklärt er.

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In den russischen Medien ruft man zunehmend dazu auf, nicht nur migrantische Gastarbeiter in den üblichen Arbeitsbereichen abzulehnen, sondern auch Ärzte aus Zentralasien. In einem Interview mit Svobodnaya Pressa sagte der Ko-Vorsitzende der Allrussischen Patientenunion, Jan Wlasow, er hoffe, dass neue Migrationsgesetze das russische Gesundheitssystem vor der Konkurrenz durch zugewanderte Ärzte schützen. „Wir sollten den Arbeitgebern ein solches Filtersystem auferlegen, damit wir nicht hinterher die Chefärzte feuern müssen und rufen: Wen habt ihr hierher gebracht?“, erklärte er.

Die genaue Zahl tadschikischer Ärzte in Russland ist nicht bekannt. Nach Angaben des tadschikischen Ministeriums für Gesundheit und sozialen Schutz sind allein im Jahr 2021 rund 1.500 medizinische Fachkräfte aus der zentralasiatischen Republik, darunter mehr als 1.180 Krankenschwestern, zum Arbeiten nach Russland gegangen.

Asia-Plus

Aus dem Russischen von Giulia Manca

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