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Wie Dschaparow und Taschijew den „Mafia-Staat“ legalisieren

Kirgistan ist nicht mehr nur ein klassisches autoritäres Regime, das Opposition und Zivilgesellschaft zersplittert und die Medien kontrolliert. Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, dass die Behörden versuchen, einen legalen Mafia-Staat zu errichten, indem Kriminelle freigelassen und zivilgesellschaftliche Aktivist:innen inhaftiert werden. Der folgende Kommentar von Viktor Mukhin erschien zuerst auf Kloop.

In Bischkek wurden mehrere russische Aktivist:innen festgenommen. Ihnen droht die Abschiebung (Symbolbild), Photo : Gislus/Wikimedia Commons

Kirgistan ist nicht mehr nur ein klassisches autoritäres Regime, das Opposition und Zivilgesellschaft zersplittert und die Medien kontrolliert. Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, dass die Behörden versuchen, einen legalen Mafia-Staat zu errichten, indem Kriminelle freigelassen und zivilgesellschaftliche Aktivist:innen inhaftiert werden. Der folgende Kommentar von Viktor Mukhin erschien zuerst auf Kloop.

Die Liste undemokratischer Transformationen in Kirgistan seit der Machtübernahme von Sadyr Dschaparow im Jahr 2020 ist lang: Verfassungsrevision, Schwächung des Parlaments zugunsten des Präsidentenamtes, Unterordnung der obersten Gerichte, Einmischung des GKNB [des Geheimdienstes, Anm. d. Red.] in alle Lebensbereiche, öffentliche Drohungen, Verfügung über das Land als Privateigentum, Verteilung von Posten an Verwandte, Verbot von Kundgebungen, Schließung von Massenmedien, Verhaftung von Oppositionellen, Kopieren von Gesetzen nach russischem Vorbild, unrechtmäßiger Entzug der Staatsbürgerschaft und Deportation von Behördenkritiker:innen…

Frieden den Palästen, Krieg den Hütten

Von Anfang August bis Mitte September tauchten über 20 Fälle auf, in denen es um die Rehabilitierung von Straftäter:innen, die Lockerung der Strafen für korrupte Beamte, die Legalisierung von Vetternwirtschaft, die Beteiligung an Geldwäsche krimineller Machenschaften und den Freispruch von Folterern in Uniform ging.

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12 weitere Fälle berichten von Repressalien gegen Oppositionelle und Meinungsführende; die Androhung von Geldstrafen für Kritik an den Behörden im Internet; Versuche, soziale Netzwerke zu blockieren, unliebsame Medien zu ruinieren und zu liquidieren; den unrechtmäßigen Entzug der Staatsbürgerschaft und die Ausweisung von Gegnern der Behörden.

Diese Aufzählung zeigt, wer Freund und wer Feind der Behörden ist. Noch deutlicher wird dies durch die langen Haftstrafen, die eigentlich unschuldige kriminelle und „politische“ Fälle im Gefängnis verbringen. Gleichzeitig werden einflussreiche Personen mit Verbindungen zur Politik ohne größere Konsequenzen freigesprochen.

Noch im Juni berichteten die Medien über die Verhaftung von Ulan Dschaparow, dem Großneffen des Präsidenten. Er wurde verdächtigt, in Zollkorruption verwickelt zu sein, und der Präsident „forderte, dass alle rechtlichen Maßnahmen gegen den Verdächtigen eingeleitet werden.“ Seine Haft wurde jedoch bis zum 26. November verlängert, ohne dass weitere Anklagen erhoben wurden.

Gesetze ändern sich, „Moralvorstellungen“ bleiben

Dschaparow und Taschijew sind nicht die ersten, die korrupte Beamte, Schmuggelnde und kriminelle Bosse verteidigen und gleichzeitig Bürgeraktivist:innen, Oppositionelle, Journalis:innen und normale Bürger:innen bestrafen, die in sozialen Netzwerken unbequeme Themen ansprechen. Doch im Gegensatz zu früher versuchen die Behörden heute, all dies zur Norm zu erklären und zu legalisieren.

Die bis 2023 angehäuften korrupten Vermögen von Politiker:innen wurden legalisiert, während der Zugang zu neuen Einkommens- und Vermögenserklärungen gesperrt wurde. Der Präsident darf nun allein entscheiden, was, bei wem und zu welchem Preis eine Behörde einkauft. Die Arbeit der Wahlbeobachtenden wurde erschwert. Archive auf den Webseiten der Generalstaatsanwaltschaft und des Innenministeriums mit Daten über frühere Straftaten einflussreicher Personen wurden gelöscht. Gerichtsurteile in Korruptionsfällen werden der Öffentlichkeit vorenthalten.

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Nach Aussagen Dschaparows zu urteilen, scheinen Beteiligte an Korruptionsfällen nützlicher zu sein als Journalist:innen, da sie einen Teil ihres zweifelhaften Kapitals in die Wirtschaft investieren. Selbst wenn der Präsident solche Machenschaften anprangert, werden keine Maßnahmen ergriffen. So tritt auch Dschaparows Sohn Rustam bei großen Geschäftsprojekten als Sohn des Präsidenten auf, was unschuldig damit erklärt wird, dass Rustam eben das Vertrauen der Investoren genieße. Ende August gab Dschaparow öffentlich zu, dass seine Verwandten am Fußball-Franchise des FC Barcelona beteiligt sind. Ein Interessenkonflikt? Davon sprach niemand.

Kirgistan – ein Mafia-Staat?

Die Behörden in Kirgistan leben offen nach ihren eigenen Moralvorstellungen, was eine neue Stufe in der Entwicklung des Regimes darstellt: von einer konsolidierten Autokratie zum Aufbau eines Mafia-Staates. Dieser Begriff hat sich in der internationalen Politikwissenschaft längst etabliert. Der ehemalige Weltbankdirektor Moises Naim definiert einen Mafia-Staat als einen Staat, in dem illegale Praktiken normalisiert werden:

„Anstatt die mächtigen Banden auszurotten, haben einige Regierungen ihre Funktionen übernommen. In Mafia-Staaten bereichern Regierungsvertretende sich selbst, ihre Familien und Freunde, indem sie Geld, Gewalt, politischen Einfluss und internationale Verbrechersyndikate nutzen, um ihre Macht zu festigen und auszuweiten. Tatsächlich sind die Spitzenpositionen in einigen der lukrativsten illegalen Geschäfte der Welt nicht mehr nur von Berufsverbrechern besetzt, sondern auch von hochrangigen Regierungsbeamten, Gesetzgebenden und Geheimdienstchefs.“

Dr. Naim erwähnt Kirgistan in diesem Zusammenhang nicht, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies auch auf den zentralasiatischen Staat zutrifft.

Viktor Mukhin, Redakteur für Kloop

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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