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Tradition und Moderne – ein Widerspruch? Bericht von einem Journalismus-Workshop mit Schülerinnen

Gemeinsam mit Schülerinnen und Lehrerinnen kirgisischer Schulen hat Novastan im Rahmen eines Journalismus-Workshops einen Beitrag erarbeitet, der sich mit der Frage nach der Vereinbarkeit von Tradition und Moderne beschäftigt. Der Workshop fand am 07.09. und 08.09.2018 in Tossor am Issikkölsee statt, gearbeitet wurde traditionsgemäß in einer Jurte.

Die Gruppe beim Arbeiten

Gemeinsam mit Schülerinnen und Lehrerinnen kirgisischer Schulen hat Novastan im Rahmen eines Journalismus-Workshops einen Beitrag erarbeitet, der sich mit der Frage nach der Vereinbarkeit von Tradition und Moderne beschäftigt. Der Workshop fand am 07.09. und 08.09.2018 in Tossor am Issikkölsee statt, gearbeitet wurde traditionsgemäß in einer Jurte.

Jeweils eine Schülerin und eine Lehrerin tauschten sich über ihr Verständnis von Moderne und dem nomadischen Erbe Kirgistans aus. Da das Thema der Workshopreihe auf dem Sprach-Camp der Zentralstelle für Auslandsschulwesen (ZfA) “Konflikt” lautete, empfanden wir dieses Format für gut geeignet, um auch nach möglichen Konfliktlinien zwischen den Generationen zu fragen. Im Zuge der Zusammenarbeit wurden jedoch durchaus viele Gemeinsamkeiten sichtbar. Alle drei Gruppen, bestehend aus jeweils einer Schülerin und einer Lehrerin, wählten individuell unterschiedliche Schwerpunkte, ausgehend von einer einheitlichen Fragestellung. – Die Ergebnisse stellen wir Ihnen in den folgenden drei Texten vor:

 

Asel, 15, aus Karakol
Raisa, 59, aus Talas

Nowruz, brauchen wir diesen Feiertag wirklich noch?

Nowruz ist das Fest des kommenden Frühlings. Es wurde in den vergangenen Jahren zu einem der beliebtesten Feiertage des kirgisischen Volkes. Zu diesem Anlass werden die Straßen und Plätze der Städte feierlich geschmückt. Auf dem Stadtplatz werden mehrere Jurten aufgebaut, die mit traditionellen, handgemachten Teppichen wie „Schyrdak“ oder „Kyiys“ verziert werden. Dabei kann man verschiedene Nationalgerichte kosten und tolle Rezepte bekommen. Die Leute tragen schöne Trachten, überall kann man Lieder hören und Volkstänze sehen. Kleine Kinder spielen Spiele aus einer fernen Vergangenheit, wie Toguz Korgol, Ordo, Top Tasch, und viele mehr. Im Stadion der Stadt finden nationale Sportarten wie Kyskuumay, Kürösch oder Kök-Börü statt. In unserem Kalender gibt es genügend Feiertage. Brauchen wir diesen Feiertag wirklich noch? Natürlich schon! Durch dieses Fest lernt die junge Generation die Geschichte, die Traditionen, die Sitten und Bräuche unseres Volkes kennen. Obwohl wir heute in einer modernen Welt leben, dürfen wir unsere Wurzeln nicht vergessen.“

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Djibek, 16, aus Talas und
Tschinara, 44, aus Bishkek

Gibt es eine Gegenwart ohne Vergangenheit?

„Heutzutage fragen sich viele, ob wir Traditionen in der modernen Welt brauchen. Aber Veranstaltungen wie zum Beispiel die Nomadenspiele zeigen, dass auch der moderne Mensch die alte Zeit erleben, eigene Wurzeln untersuchen und die Nähe zur Natur spüren möchte. Viele Leute sehnen sich auch heute nach dieser Verbundenheit. Durch die Vermarktung traditioneller Produkte kann man heute jedoch auch viel Geld verdienen. Die Sachen, die heute die alte Zeit widerspiegeln, sind immer gefragter geworden. Allen gefällt, dass sie aus natürlichen Stoffen, aus echtem Material gemacht worden sind. Heute kann man sich bei vielen Sachen nicht sicher sein, ob sie chemische Bestandteile oder Chemikalien enthalten. Das ist problematisch für die Gesundheit, da viele Leute Allergien haben, oder aber auch durch einen modernen Lebensstil Krankheiten wie zum Beispiel Rückenschmerzen bekommen. Heutzutage ist es auch populär geworden, dass Menschen, die mit ihrer Wirbelsäule Probleme haben, sich durch das Reiten auf dem Pferd heilen lassen. Das heißt, dass der moderne Mensch in der Welt der Technik nicht auf traditionelle Mittel verzichten sollte. Es ist sehr erfreulich, dass eine Person gleichzeitig neue Technologien und alte Lebensweisen kombinieren kann. Es gibt keine Gegenwart ohne Vergangenheit.“

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Meerim, 15, aus Osch
Schairgul, 61, aus Karakol

„Ironie des Schicksals“

„In der modernen Welt ist Folgendes charakteristisch: Erstens sind die Häuser, die Wohnungen, Möbel, Teppiche einander zum Verwechseln ähnlich. Im sowjetischen Film “Ironie des Schicksals (Ирония судьбы или С лёгким паром)” wird eine kuriose Situation dargestellt: Einige Freunde, sie waren schon im Erwachsenenalter, hatten die Tradition, sich in der Banja ihrer Heimatstadt Moskau zu waschen. Dann unterhielten sie sich und tranken Bier und Wodka. Sie waren ein wenig alkoholisiert, weswegen ihnen ein Ungeschick passierte. Durch eine Verwechslung der Flugtickets flog einer dieser Freunde versehentlich nach Leningrad. Er war Arzt, und nachdem er in seiner Straße angekommen zu einem Haus lief, das exakt aussah wie seines, schloss er mit seinem Schlüssel eine Wohnungstür auf und schlief. Dann kam die echte Besitzerin dieser Wohnung und war sehr erschrocken, ihn in ihrer Wohnung anzutreffen. Zwischen den beiden ereignete sich ein kleiner Konflikt und am Ende des Films verliebten sie sich ineinander. Am Anfang haben wir gesagt, wie ähnlich sich die Wohnhäuser sind. Das darf eigentlich nicht sein – diese Wohnungen wurden vom Staat gebaut. Technik macht den Alltag effizienter, aber jeder Mensch sollte sich individuell entfalten können. Der kasachische Botschafter besuchte kürzlich Kirgistan und in der Zeitung erschien ein Artikel, in welchem er erzählt hatte, dass in der neuen Hauptstadt Astana Moderne und Tradition nicht nur nebeneinander existieren, sondern sich ergänzen. Die nationale Tradition und die moderne Technologie, diese Mischung gibt den Gästen einen besonderen Eindruck.“

Arnaud Enderlin
Chefredakteur von Novastan in Bischkek

Maximilian Kathan
Redakteur für Novastan in Bischkek

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