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Sufismus in Zentralasien

Die Bewegung des Sufismus, eine mystisch-spirituelle Seite des Islams, blickt in Zentralasien auf eine besondere Geschichte zurück: Hier entstanden zahlreiche Bewegungen, mit teilweise starker Wirkungskraft auf einen Großteil der muslimischen Welt. Eine Erklärung, warum das so ist.

Darstellung für das Goldene Zeitalter des Islam
Darstellung für das Goldene Zeitalter des Islam

Die Bewegung des Sufismus, eine mystisch-spirituelle Seite des Islams, blickt in Zentralasien auf eine besondere Geschichte zurück: Hier entstanden zahlreiche Bewegungen, mit teilweise starker Wirkungskraft auf einen Großteil der muslimischen Welt. Eine Erklärung, warum das so ist.

Mehrere Strömungen des Sufismus haben ihren Ursprung in Zentralasien. Zu den drei wichtigsten zählen die Yesevi-Tariqa, die Kubrawiyya und die Naqschbandiya, alle mit unterschiedlichen Einflüssen.

Wichtige Anführer sufistischer Bewegungen

Die Yesevi-Tariqa ist wohl der erste türkischstämmige Sufismus Orden, gegründet von einem spirituellen Poeten namens Ahmet Yasavi. Seine Grabstätte liegt in der heute kasachischen Pilgerstadt Türkistan, die kasachisch-türkische Universität der Stadt wurde nach ihm benannt.

Die Kubrawiyya-Bewegung hingegen entstand in der Provinz Choresmin im heutigen Usbekistan. Einer der bekanntesten Scheiche des Ordens ist Mir Sayyid Ali Hamadani, dessen Grab sich heute in Kulob in Tadschikistan befindet. Auch im mongolischen Imperium hat der Kubrawiyya-Orden seine Spuren hinterlassen: Durch die Lehren des Scheichs lies sich Berke Khan, Enkel des Gründers des mongolischen Reichs, Dschingis Khan, zum Islam konvertieren und wurde so zum ersten mongolischen Moslem.

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Ein weiterer Orden, der Zentralasien beeinflusst hat ist außerdem die Qadiriya, die zwar in Bagdad entstanden ist, sich allerdings weit in der Region verbreitet hat.

Naqschbandiya ist die bekannteste Strömung

Die Bekannteste Strömung des Sufismus in Zentralasien bleibt aber die Naqschbandiya. Dieser Orden verbreitete sich über den indischen Subkontinent zum muslimisch geprägten Teil des russischen Reiches bis in die heutigen Gebiete des Kaukasus und der Türkei. Zur Verdeutlichung: Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stammt vermutlich aus der Bewegung der Naqshbandiyya.

Der Orden praktiziert eine ganze Reihe spiritueller Rituale, die sogenannten Dhikr oder Zikr. Doch auch gesellschaftliche Ziele stehen auf dem Programm: Er verfolgt das Ziel, einen „Islamischen Staat“ aufzubauen, also ein staatliches Gebilde, beruhend auf den Prinzipien des Islam. Aus diesem Grund wird die Naqshbandiyya heute oft als ein „gewaltstiftender Orden“ wahrgenommen.

Sufismus und nationale Befreiung

Als das russische Reich allmählich Zentralasien erobert, formieren sich erste Widerstandsbewegungen. Hier spielt der Sufismus eine zentrale Rolle, ähnlich wie es sich auch im Nordkaukasus, allen voran in Tschetschenien, verhielt. In Zentralasien vermehren sich die Aufstände, sowohl gegen die russische Besatzung aber auch allgemein, gegen die sozio-ökonomische Situation der Bevölkerung. Einer der bedeutendsten ist der Aufstand von Andischan 1898, angeführt von Dukchi Ischan.

Mausoleum Bakhaouddin Nakhchbandi in Buchara
Das Mausoleum des Bakhaouddin Nakhchbandi in Buchara (Usbekistan) ist ein heiliger Ort des Sufismus.

Als Ordensanhänger pilgert Dukchi Ischan nach Mekka, und besitzt sogar ein eigenes Sufi-Zentrum in Mingtepa. Dadurch genießt er einen hohen Grad an religiöser und sozialer Legitimität. In seiner Kritik an der örtlichen Elite erhält er große Unterstützung von usbekischen, kirgisischen und uighurischen Nomaden und Landwirten und startet daraufhin 1898 einen Apell zum Krieg gegen die Russen. Der Aufstand erweist sich zwar als Misserfolg und Dukchi Ishan wird nach Sibirien deportiert, doch zeigt diese Episode die Bedeutung des Sufismus für die nationale Freiheitsbewegung.

Zu Beginn der UdSSR steht der Sufismus unter Verfolgung. Das atheistische Regime will vermeiden, dass Scheiche die Massen mobilisieren. Sufistische Institutionen werden beseitigt, ein Großteil der Scheiche flieht nach Afghanistan oder dem chinesischen Teil Turkestans.

Der Sufismus heute

Mit dem Ende der UdSSR und der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten gewann der Sufismus wieder an Beliebtheit. Allerdings widerstrebt die politische Struktur der neuen Staaten jeglichem politischen Islam. Trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion sind es die Führungspersönlichkeiten jener Strukturen, die in den Ländern Zentralasiens zu Beginn ihrer Unabhängigkeit an die Macht gelangten. Islamische Bewegungen stellten daher ihre Legitimität in Frage.

Aus diesem Grund befindet sich der Islam noch heute unter strenger Kontrolle. Der Sufismus mag zunächst aufgrund seiner esoterischen Ausrichtung  wie eine gute Alternative erscheinen; allerdings bleibt auch diese Bewegung von einer wachsamen Kontrolle nicht verschont, da die Geschichte gezeigt hat, dass sie sehr wohl bedrohliches Potential für die herrschende Elite besitzt. Darüber hinaus fallen in der muslimischen Bewegung in Usbekistan Äußerungen mit Referenz zur sufistischen Widerstandsbewegung. Im Grunde allerdings ist der einzige zugelassene Sufismus im heutigen Zentralasien apolitischer Natur.

Die Hauptfigur des modernen Sufismus der Region ist aktuell Ibrahim Hazrat. Er lebt in Usbekistan und vereint zwischen 20.000 und 30.000 Anhänger sowohl vor Ort als auch in den Nachbarländern.

Seine Daseinsberechtigung vonseiten usbekischer Autoritäten erhält er dank seines unpolitischen Diskurs und seiner Verurteilung des Terrorismus. Und es ist wohl dieses apolitische Element, das ihm ein so breites Publikum in Zentralasien beschert.

 Thomas Ciboulet
Journalist für Novastan.org

Aus dem Französischen von Julia Tappeiner

 

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Kommentare (2)

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Hermann, 2020-04-14

Guten Tag,
meine Frau und ich sind Anhänger des Orients. Wir habe bereits viel über den Sufismus gehört und viele Reisen unternommen.
Vor kurzem war im TV ein Bericht über ein Sufi Oberhaupt in Usbekistan. Sämtliche Gespräche wurden in französich geführt. Es wurde betont. dass die wissenschaftliche Sprache des Sufismus französisch ist. Im Internet finde ich keine Erklärung.
Vielleicht können Sie mir helfen.
Im Voraus vielen Dank.
Hans-Peter Hermann

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Demiröz, 2020-07-11

Hallo,
ein sehr bekannter und angesehener Sheykh der Nakshibandi Sufis lebt im Südosten der Türkei. Er hat in weltweit millionen Murids (Schüler).
Wenn Sie Fragen dazu haben können Sie einfach über die Seite SHEMS.ORG Ansprechpartner in Deutschland finden.

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