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Smartphone-Etikette in Bischkek

Die ersten Handys mit Internetverbindung tauchten vor zehn Jahren in Bischkek auf. Mittlerweile sind für den Umgang mit diesen Geräten im öffentlichen Raum eigene Regeln entstanden. Aber gerade ältere Menschen halten sich nicht immer an diese Etikette, schreibt die Informatik-Studentin Jarkynai Maratova.

folkee 

Pamir, Kirgistan, Umsiedlung
Junge Kirgisen aus dem Pamir schauen auf ein Smartphone.

Die ersten Handys mit Internetverbindung tauchten vor zehn Jahren in Bischkek auf. Mittlerweile sind für den Umgang mit diesen Geräten im öffentlichen Raum eigene Regeln entstanden. Aber gerade ältere Menschen halten sich nicht immer an diese Etikette, schreibt die Informatik-Studentin Jarkynai Maratova.

Im Bus, im Park, auf dem Bürgersteig – im öffentlichen Raum der kirgisischen Hauptstadt Bischkek sind Smartphones allgegenwärtig. Viele Einwohner können sich ein Leben ohne WhatsApp, Instagram und YouTube nicht mehr vorstellen.

Der erste Telefonanruf nach GSM-Standard in Kirgisistan erfolgte am 1. August 1998 durch den Mobilfunkbetreiber „Beeline“. Danach begannen sich die Mobilfunktechnologien in Kirgisistan aktiv zu entwickeln. Im Jahr 2010 startete Beeline ein 3G-Netz, das das ganze Land abdeckte. Im Jahr 2014 startete NurTelecom (unter dem Markennamen „O!“) erstmals ein 4G-Netzwerk für Bischkek und Umgebung.

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Vom Wohnzimmer in den Park

Etwa ein Drittel der sechs Millionen Einwohner von Kirgistan nutzt das Internet. Gleichzeitig gab es 2017 mehr als sieben Millionen aktive SIM-Karten, davon fast fünf Millionen mit Datenübertragung. Viele Menschen  nutzen SIM-Karten von verschiedenen Unternehmen gleichzeitig, um immer von den günstigsten Tarifen zu profitieren.

Smartphone, Jugendlicher
Jugendlicher schaut auf sein Smartphone (Symbolbild)

Smartphones machen es möglich, im öffentlichen Raum Dinge zu tun, die früher nur zu Hause möglich waren: Telefonieren, Videos gucken, Musik hören. Aber sollte man alle Möglichkeiten des Smartphones auch überall nutzen? Und wie macht man das so, dass es andere nicht stört? Dafür sind in Bischkek in den letzten zehn Jahren ungeschriebene Regeln entstanden, eine Smartphone-Etikette. Ich stelle drei typische Situationen vor:

Situation 1: Beide Kopfhörer raus?

Man geht im Park spazieren, hört dabei Musik und trifft auf einmal einen Bekannten. Soll man die Kopfhörer während des Gesprächs rausnehmen, oder nicht? Für Bischkeker Jugendliche hängt das vom Grad des Respekts vor dem Gesprächspartner ab. Wenn sie viel Respekt vor dem Bekannten haben, z.B. weil er älter ist, nehmen sie beide Kopfhörer raus und konzentrieren sich auf das Gespräch. In Gesellschaft von Freunden oder Bekannten, führen viele auch ein Gespräch, während sie einen Kopfhörer in einem oder sogar in beiden Ohren haben.

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Situation 2: Smartphones beim Abendessen

Heutzutage ist folgende Situation sehr häufig: Während eines Familienessens oder eines Treffens mit Freunden benutzen viele Menschen ihr Smartphone am Tisch. Das ist nicht respektvoll und es bleibt keine Zeit für Gespräche oder Diskussion über wichtige Themen. Trotzdem machen es viele Menschen in Bischkek. Manchmal gehen Freunde zusammen essen und jeder schaut dann dabei für sich auf sein Smartphone. Die Etikette verbietet es in Kirgistan nicht, das zu tun.

Telefon, Basar, Digital
Telefonieren auf dem Basar

Situation 3: Störende Musik trotz Kopfhörer

Vielleicht ist die dritte Situation nicht so sehr die Schuld des Menschen, sondern die Schuld der Hersteller von Smartphones und Kopfhörern. Es passiert oft in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße. Jemand trägt zwar Kopfhörer aber seine Musik oder sein Video können von anderen gehört werden. Das kann sehr störend sein. Viele Menschen versuchen, darauf nicht zu achten. Aber es gibt auch Menschen, die offen empört sind und darum bitten, den Ton zu reduzieren. In Kirgistan gilt die Regel: Man sollte andere Leute nicht mit lauter Musik oder Videos stören.

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Rentner mit Ohrschmerzen

Diese Regel wird häufig gebrochen und zwar meistens von älteren Menschen oder den Eltern von kleinen Kindern. „In Bischkek gibt es häufig Staus. Und um sich bei der langen Fahrt nicht zu langweilen, schauen ältere Menschen Videos an oder sprechen am Telefon,“ sagt die Studentin Bekmyrza Koschomberdijewa. Sie fährt jeden Tag mit dem Bus zur Universität und trifft dabei oft auf Rentner, die bei voller Lautstärke Videos schauen. „Von den Kopfhörern bekommen sie Ohrschmerzen und sie fühlen sich unwohl, wenn sie diese Kopfhörer entwirren,“ sagt Kozhomberdieva.

Babyvideos im Bus

Einige Eltern zeigen ihren Babys Videos auf dem Smartphone, um sie auf den langen Fahrten in überfüllte Bussen ruhig zu halten. Kleinkinder sind noch nicht an Kopfhörer gewöhnt und die Eltern stellen die Videos einfach laut. Wenn sich jemand daran stört, bitten sie die Eltern leiser zu stellen. Aber im Falle einer älteren Person versuchen das viele Menschen aufgrund der kirgisischen Mentalität einfach zu ignorieren.

Pamir, Kirgistan, Umsiedlung
Junge Kirgisen aus dem Pamir schauen auf ein Smartphone.

Auch Alybek Dandajew ist jeden Tag mit dem Bus unterwegs. “Das Problem ist in unserer Mentalität, mit einer älteren Person kann man nicht streiten,“ sagt der Informatik-Student. Seine Kommilitonin Bekmyrza denkt, dass einige Rentner den großen Respekt der Kirgisen vor alten Menschen ausnutzen. „Manche ältere Menschen werden mit dem Alter unverschämt. Sie gewöhnen sich daran, dass andere Menschen ihnen im Bus ihre Plätze anbieten und sie immer respektieren,“ sagt sie.

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WhatsApp-Gruppe „Dynastie der Beksultanows“

Etikette gibt es in Kirgistan auch dafür, was man sich in Chatanwendungen schickt. Auch dabei werden Regeln oft von älteren Menschen missachtet. Der Familienzusammenhalt ist unter Kirgisen sehr stark. Deshalb haben fast alle eine spezielle Familien-WhatsApp-Gruppe. Solche Gruppen werden nach den Nachnamen der Verwandten benannt, z.B. „Sultankulovy“ oder „Baktybekovy“. Sie haben auch Namen wie „Generation der Sultankulows“, „Die Dynastie der Beksultanows“ oder einfach „Tuugandar – Verwandte“.

Spam von den Angehörigen

In solchen Gruppen schicken sich die Verwandten die letzten Neuigkeiten über Themen wie Hochzeiten oder Autokauf. Meistens kommunizieren aber nur die Erwachsenen und älteren Mitglieder. Kinder und Jugendliche teilen dort selten persönliche Informationen.

Ältere Mitglieder schicken wiederum manchmal Nachrichten die mit den Verwandten nichts zu tun haben. „Manche meiner Verwandten sind sehr abergläubisch,“ meint Alybek Dandajew. „Wenn sie eine Nachricht bekommen in der steht: ‚Schick das weiter oder es passiert was Schlimmes‘, dann posten sie diese Nachricht in der Verwandten-Gruppe.“ Die Etikette in diesem Bereich muss sich wohl erst noch entwickeln.

Jarkynai Maratova
Studentin am Kirgisisch-Deutschen Institut für Angewandte Informatik in Bischkek

Der Text ist im Rahmen des Projekts „Digitalisierung in Kirgistan“ entstanden. DAAD-Sprachassistent Folke Eikmeier erarbeitete im Sommersemester 2019 mit Studierenden des INAI journalistische Artikel zu diesem Thema.

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