Mit dem politischen Rap von „Rap View“ bringen zwei junge Künstler eine originelle Stimme in die kirgisische Öffentlichkeit. Ihre scharfen und unkonventionellen Texte befassen sich mit den politischen und kulturellen Begebenheiten des Landes.
Ende Juni fand die siebte Ausgabe des internationalen Street-Art-Festivals Basicolors statt. Es war auch ohne Zweifel die umstrittenste Ausgabe, nachdem eine Wandbemalung im Boom-Tal nordöstlich von Bischkek viel Kritik auf sich gezogen hatte. Das 700 m² Graffiti wurde von fünfzehn Künstlern an eine Betonwand am Rande der Hauptstraße zum Issikkölsee gesprüht und stellte verschiedene kirgisische Symbole auf eine moderne Art dar. Während einige sich an dem Bild erfreuten, sahen andere darin eine Verspottung des kirgisischen Volkes.
Der Skandal um das Graffiti im Boom-Tal machte mehrere Tage lang Schlagzeilen in Kirgistan. „Offiziellen“ Künstlern und Aktivisten war vor allem die Darstellung von Balbalows (antike Statuen aus der türkischen Zeit, Anm. d R.), die auf westliche Weise bekleidet abgebildet wurden, ein Dorn im Auge. Diese Statuen gelten als Sinnbild für die Ahnen und den Schutz ihrer Nachfahren. Einer der Balbalows auf dem Bild zeigt zudem das Ebenbild eines in Kirgistan verehrten Manastschi (einen Erzähler des kirgisischen Nationalepos Manas, Anm. d. R.). Die Freske wurde letztendlich von Aktivisten übermalt, was von den Befürwörtern der Graffitis als das Verschwinden eines weiteren Kunstwerks aus Kirgistan gesehen wurde.
Die Polemik gab den zwei kirgisischen Rappern Mederbek Ypsalijew und Ermek Myrsabekow die Gelegenheit, ein originelles Projekt zu starten. Ihr erster Clip wurde mit Unterstützung der Journalistenschule des Internetmagazins Kloop am 2. August ins Internet gestellt.
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=PB9ZFz5GM2A]
Im Songtext setzen sich die zwei Rapper gegen Zensur ein. Sie beklagen, dass Künstler heute nicht mehr frei nach ihrer Inspiration schaffen können. Werke, die mit einem ehrlichen Glauben an die Kunst erschaffen wurde, werden oft durch interessengeleitete Interpretationen instrumentalisiert. Eine klare Anspielung auf die Debatte um die Boom-Graffitis. Auch das Argument, das Bild würde die Nationalehre verletzen, können sie nicht nachvollziehen:
„Die Kunst an den Wänden bei Boom– das ist Graffiti.
Eine Erniedrigung der Nationalehre: dein Intellekt!“
Zu einem Beat des US-Rappers Eminem wenden sich die zwei Freunde direkt an die Aktivisten, die sich laut gegen die Graffitis eingesetzt haben. Ihrer Meinung nach handeln die selbsternannten „Vertreter der Interessen des Volkes“ vor allem in eigenem Interesse.
Dieses erste Video der „Hip-Hop-Aktivisten“ erhielt ein sehr gutes Echo in sozialen Netzwerken und gab dem musikalischen Projekt den Anstoß. Die zwei Rapper hatten einen Nerv getroffen. Ende September eröffneten sie ihre eigene Facebook-Seite veröffentlichten bisher sieben Videos. Das vierte davon war der Parlamentswahl im Oktober gewidmet.
Der Titel dieses Videos, „Ak-Schakali“, ist ein Wortspiel zwischen „Schakal“ und „Aksakal“ (wörtlich „Weißbart“), die respektvolle Bezeichnung für ältere Männer in Kirgistan. Der Begriff gilt der alten politischen Klasse, die sich nicht erneuern will. Fast alle amtierenden Abgeordneten haben sich am 4. Oktober wieder zur Wahl gestellt.
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Mit den Bildern der Revolution 2010 im Kopf setzen sich die zwei Rapper mit der Bilanz von 24 Jahren Unabhängigkeit auseinander. Hat sich wirklich etwas geändert? Seit den 1990ern haben zwei Revolutionen im Land stattgefunden. Beide Male mit dem das Versprechen, das Volk von korrupten Politikern zu befreien. Den Rappern zufolge waren das nur leere Worte:
„Das Land ist in Klans und Regionen geteilt
So eine Ordnung wollen unsere Ak-Schakali
Niemand will die Lage zum Besseren wandeln
Die Teufel an der Macht füllen nur ihre eigenen Taschen“
Die Rapper prangern den mangelnden Einfluss des Volks an. Trotz großer Versprechen auf eine offene Gesellschaft, scheint diese sich immer weiter zu schließen.
„Alle reichen Geschäftsleute sind Beamte
Wo ist die soziale Kontrolle hin? Am *rsch!“
Mederbek Yrsalijew hatte schon vor zwei Jahren die Idee, ein solches Projekt zu starten, als er ein Video der russischen Rapper Dino MC 47 und ST sah, das von der staatlichen Presseagentur RIA Novosti verbreitet wurde. „Ich suchte einen Partner, aber schließlich hat es aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. Ermek arbeitete damals im Ausland und konnte nicht mitmachen. Nach dem Skandal um die Boom-Freske im Juli konnte ich ihn endlich überzeugen“, erklärt er.
Anfangs war ein wöchentlicher Kommentar zu aktuellen Nachrichten geplant, wie eine gerappte Wochenschau. Aber es war schwierig, ausreichend verschiedene Themen dafür zu finden. „Letztendlich schreiben wir vor allem über Politik und einzelne aktuelle Meldungen.“
Die Rapper haben keine musikalische Ausbildung und streben auch nicht nach Berühmtheit oder danach, Geld mit ihrem Hobby zu verdienen. „Natürlich wäre das nicht schlecht. Aber am wichtigsten ist es uns, die Wahrheit zu sagen. Sonst könnten wir genauso gut schweigen“, betont Mederbek. Trotz einiger Differenzen wählen sie ihre Themen immer gemeinsam.
„Manchmal ist es schwer, uns zu einigen. Meistens schaffe ich es dann, Ermek zu überzeugen. Üblicherweise interessiere ich mich für Gegensätze, Unschlüssigkeiten oder einfach für amüsante Themen. Mir gefällt es, Akzente zu setzen, eine Tendenz zu definieren, damit sich die Dinge in der Gesellschaft ändern“, meint Mederbek.
Geboren ist er in Naryn, im Zentrum Kirgistans. Als Vorbilder nennt er Woo Fam, Method Man, den frühen Kanye West, Eminem, Rakim und auch 2Pac. Von den russischen Künstlern hat die Rapgruppe Kasta am meisten Einfluss auf ihn. Durch sie hat er den russischsprachigen Rap für sich entdeckt.
RAP View mischt soziale, politische und auch wirtschaftliche Themen. Mederbek, der seinen Masterabschluss an der OSZE Akademie in Bischkek gemacht hat, unterstützt keine Regierungs- oder Oppositionspartei. „Ich denke, dass die Gesellschaft, in der wir leben, für das verantwortlich ist, was wir durchleben“, sagt er. Auf dem politischen Spektrum sieht er sich als ein Mitte-Links-Liberaler. Da es keine entsprechende Partei in Kirgistan gibt, hat er für niemanden gestimmt.
Sein Mitstreiter Ermek Myrzabekow, auch unter dem Künstlernamen Roll’X bekannt, kommt aus Dschalalabat, im Süden Kirgistans. Er rappt seit gut neun Jahren und hört am liebsten die russischsprachigen Rapper Krec, Oxxxymiron und Mr. Hyde. Ihn interessieren vor allem soziale Fragen.
„Die gemeinsamen Interessen, die wir mit Ermek teilen, ersparen uns ernsthafte Streitigkeiten“, erklärt Emerbek. „Jeder schreibt seinen Teil des Textes und dann „zensieren“ wir uns gegenseitig. Ohne Ermek wären unsere Texte schärfer und aggressiver. Er rundet die Ecken ab.“ Für Ermek ist es wichtig, den Behörden die Probleme des Volks zu zeigen, um sie zu einem besseren Handeln zu bewegen. Die zwei Rapper meinen, sie seien offen für jede Kritik, solange sie positiv und argumentiert ist.
Das Projekt wird von einem Dritten unterstützt: Adil, der die Musik aufnimmt und die Videoclips schneidet. Indem er seinen zwei Freunden hilft, möchte er auch den Rap in Kirgistan fördern. RAP Views ist für ihn eine Gelegenheit, für sein Aufnahmestudio Red Point Rec zu werben.
Trotz der kleinen Streitigkeiten, dem Schlafmangel und dem Stress, findet das Team Spaß an RAP View. „Das ist wie in den Bergen Fahrrad fahren. Anfangs ist es sehr schwierig, man schwitzt… Aber wenn Du einmal oben bist, fühlst Du die ganze Euphorie der getanen Pflicht.“
In Zukunft möchten die drei jungen Männer neue Formate und Themen ausprobieren. Es ist vorgesehen, auch Videos in kirgisischer Sprache aufzuzeichnen. Debatten zwischen verschiedenen Rappern sind geplant, aber dazu gibt es noch keine weiteren Details. Was ihre persönlichen Zukunftsträume anbelangt, hat Mederbek eine klare Ansage: „Wir wollen nicht im Ausland ein besseres Leben suchen. Wir träumen davon hier, in unserem Geburtsland, unser Leben aufzubauen“.
Darya Gavrilenkova
Aus dem Französischen übersetzt von
Florian Coppenrath