Am 29. April feierte die kirgisische Hauptstadt Bischkek ihren 140. Geburtstag. Der Stadtrat organisierte Kulturveranstaltungen und eine Parade und verzierte Straßen und Plätze. Allerdings ist die Stadt eigentlich älter als 140 Jahre. Was genau wurde also an diesem Tag gefeiert?
Anlässlich des 140. Geburtstags von Bischkek gab es Konzerte mit klassischer und Jazzmusik, internationale Jugendtanzgruppen traten auf. Die Fotoausstellung „Pischpek – Frunse – Bischkek“ erinnerte an die Geschichte der Stadt, die seit ihrer Gründung diese drei Namen getragen hat. Bürger besuchten Kunstaustellungen und eine vom Gemeindeunternehmen „Bishkekselenchoz“ ausgerichtete Gartenschau.
Abends zog eine Parade von internationalen Tanzgruppen, einer Zirkustruppe und dem Orchester der Nationalphilharmonie zum zentralen Ala-Too-Platz. Danach fand dort ein Konzert mit kirgisischen Popmusikern und einer Tanzeinlage von Teilnehmern des internationalen Festivals “Nariste” statt.
Mit diesen Veranstaltungen wurde an den 29. April 1878 erinnert. Wer sich mit der Geschichte von Bischkek auskennt, weiß jedoch, dass die Stadt schon älter ist und dieser Tag also nicht ihr Geburtstag sein kann. An welches Ereignis wurde dann erinnert? Um diese Frage zu beantworten sollte man sich anzuschauen, wie die Stadt entstanden ist.
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Festung zur Kontrolle der Nomaden
Das Gebiet um das heutige Bischkek ist eines der fruchtbarsten der Region, weil hier die Flüsse Ala-Artscha und Alamedin in den Tschüi münden, heute der Grenzfluss zwischen Kirgistan und Kasachstan. Die Gegend war daher schon vor über 20.000 Jahren besiedelt. Im 10. bis 12. Jahrhundert gab es im Tschüi-Tal mehrere Städte, die unter anderem als Stationen der Seidenstraßen fungierten. Ungefähr an der Stelle des heutigen Bischkek lag die Stadt Dschul. Im 13. Jahrhundert zerstörten jedoch die Mongolen alle diese Siedlungen und erst im 19. Jahrhundert wurden Menschen hier wieder seßhaft.
1825 ließ ein Armeeanführer des Khanats von Kokand, einer Stadt im Ferganatal, namens Ljaschkor Kumbeli im Stadtgebiet des heutigen Bischkek eine Festung aus Lehmziegel errichten. Der damalige Khan Muhammad Ali (Madali Khan) wollte damit die Bewegungen von Nomaden und Reisenden kontrollieren und Steuern von vorbeiziehenden Karawanen eintreiben. Die Mauern der Festung waren zehn Meter dick und fünf Meter hoch. In der Nähe entwickelte sich schnell eine Siedlung, in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits etwa Tausend Menschen lebten. Die Kokander nannten die Festung „Pischpek“, nach einem Quirl für die Herstellung von Kymys, vergorener Stutenmilch.
Aufstand unter Baitik Baatyr
1860 lehnte sich ein lokaler kirgisischer Stamm gegen die Kokandische Herrschaft auf und eroberte mit Hilfe russischer Truppen die Festung, die Kokander konnte diese jedoch wenig später zurückerobern. 1862 kam es zu einem weiteren Aufstand unter Führung von Baitik Kanai uluu (Baitik Baatyr). Er bat wiederum russische Truppen aus dem nahegelegenen Werny (heute Almaty in Kasachstan) um Hilfe. Daraufhin kam eine Einheit mit 1400 Soldaten und Artillerie unter General Gerassim Kolpakowski nach Pischpek und belagerte die Festung. Am 24. Oktober ergaben sich die Kokander und die kirgisischen Aufständischen zerstörten aus Rache die Festung.
Noch heute kann man nördlich des Stadtzentrums an der Straße Kusnetschnaja Krepost (Schmiedefestung) Reste der alten Festung besuchen.
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Pischpek wird Bezirkshauptstadt
Die russischen Soldaten blieben im Tschüi-Tal und errichteten 1864 einen Militärstützpunkt in der Nähe der zerstörten Festung. Die Region wurde nun Teil des Oblasts Semiretschje (Siebenstromland) mit Hauptstadt in Werny und gehörte zum Bezirk von Tokmok, 60 Kilometer östlich. Tokmok war eine weitere ehemalige Kokandische Festung, die von russischen Truppen erobert und zerstört worden war.
Tokmok wurde mehrmals von durch Schneeschmelze verursachten Überschwemmungen des Tschüi beschädigt. Daher plante die Verwaltung des Oblasts, die Administration für das Gebiet zwischen Tschüi und Tian Schan Gebirge nach Balyktschy am Westufer des Issikköl-Sees zu verlegen. Nachdem Gouverneur-General Konstantin von Kaufman die Region 1870 besucht hatte, beschloss er aber, stattdessen Pischpek zur Bezirkshauptstadt zu machen. Alle Institutionen und Verwaltungsbeamten zogen daraufhin an den Ort an den Ufern von Ala-Artscha und Alamedin.
Der Ort begann sich schnell zu entwickeln. 1871 entwickelten Planer des russischen Militärs einen Stadtplan, der bereits das rechtwinklige Straßenraster vorsah, welches noch heute das Zentrum prägt. Viele dieser Straßen trugen die Namen ihrer wichtigsten Gebäude, so gab es die Straßen „Kaserne“, „Krankenhaus“, „Kirche“, „Friedhof“. Andere wurden nach den Nationalitäten oder Berufen ihrer Bewohner benannt, zum Beispiel die Straßen „Tatar“, „Dungane“, „Bürger“ oder „Kaufmann“ genannt. Wieder andere nach den Orten, zu denen sie führten, zum Beispiel gab es die Straßen „Taschkent“, „Werny“ und „Sokuluk“. Nach der Revolution 1917 und der kirgisischen Unabhängigkeit 1991 wurden die meisten dieser Straßen umbenannt. Diese Webseite zeigt historische Fotografien aus der Geschichte der Stadt.
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Obwohl die Verwaltung nun in Pischpek saß, nannte man den Bezirk immer noch „Tokmok“. Erst am 29. April 1878 verlieh Gerassim Kolpakowski, mittlerweile zum Militärgouverneur des Oblasts Semiretschje aufgestiegen, Pischpek offiziell den Status einer Bezirkshauptstadt. Dieser Beschluss markierte den Beginn der Entwicklung des Ortes zur ersten Stadt europäischer Art auf dem Gebiet der heutigen Republik Kirgistan und wird heute als der „Geburtstag“ der Stadt gefeiert.
Mit Informationen von meria.kg, tourkg.com und cda.kg sowie aus dem Architekturführer Bischkek von Henning Hraban Ramm und Benedikt Viertelhaus.
Anastasia Shevtsova
Journalistin für Novastan.org
Folke Eikmeier
Chefredakteur in Bischkek
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