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Kirgistan: Wie die Frauen das fließende Wasser zurück nach An Oston brachten

Ein Leben ohne fließendes Wasser ist für viele kaum vorstellbar. Doch genau das war viele Jahre lang für die Einwohner des kirgisischen Dorfs An Oston harte Realität. Schließlich waren es die Frauen, die sich zusammenschlossen, um die Dinge zu verändern. Eine Reportage über das Dorf in der Region Yssykköl und eines der größten Probleme der ländlichen Regionen Zentralasiens: der Zugang zu Trinkwasser.

erudolph Augustin Forissier 

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Klärgruben An Oston Kirgistan
Gulay und einige Männer aus dem Dorf neben einer neuen Klärgruben

Ein Leben ohne fließendes Wasser ist für viele kaum vorstellbar. Doch genau das war viele Jahre lang für die Einwohner des kirgisischen Dorfs An Oston harte Realität. Schließlich waren es die Frauen, die sich zusammenschlossen, um die Dinge zu verändern. Eine Reportage über das Dorf in der Region Yssykköl und eines der größten Probleme der ländlichen Regionen Zentralasiens: der Zugang zu Trinkwasser.

Bis 2013 hatte die Dorfschaft An Oston, in der Region Yssykköl und an den Zuflüssen des gleichnamigen Flusses im Osten Kirgistans gelegen, ein großes Problem: Seine 1750 Einwohner hatten gerade einmal zwei Stunden pro Tag Zugang zu fließendem Wasser. Grund dafür war ein Wasserverteilungssystem aus der Sowjetzeit, das mit der Zeit marode geworden war. Dabei liegt das Dorf in der weiten, fruchtbaren Ebene von Karakol und am Fuß des Hochgebirges Tian Shan, also in einer Region, die aufgrund der zahlreichen Seen, Flüsse und Gletscher sehr wasserreich ist.

Für Gulay, eine der Frauen des Dorfes, war das Leben in dieser Zeit alles andere als einfach. „Es war sehr schwer für die Dorfgemeinschaft, denn einige hatten keine Zeit, das Wasser während der zwei Stunden, in denen es verfügbar war, zu nutzen“, sagt sie, während sie im Obstgarten hinter ihrem Haus sitzt. „Insbesondere für die Frauen war es schwierig, die ganze Hausarbeit zu erledigen, zu putzen, waschen und kochen. Auch Kindern machte die Situation zu schaffen, ihre Hygiene litt und sie verbrachten den Tag damit, Wasser zu finden, anstatt zu spielen und zu lernen“, sagt sie.

Wassertank Kirgistan
Ein alter Wassertank

„Wir, die Frauen des Dorfes, waren vom Wassermangel am meisten betroffen. Die Männer verlassen morgens das Haus und kehren erst abends zurück. 2014 haben wir uns entschieden, ein Kollektiv zu gründen, um eine Lösung zu finden. Ich wurde von meinen Kollegen als Kollektivleitung nominiert, und wir begannen, nach Leuten zu suchen, die uns helfen könnten“, sagt Gulay mit einem gewissen Stolz in der Stimme.

Die Frauen als Heldinnen des Dorfes

Seit 2014 ist Gulay Vorsteherin des Kollektivs und des Wasserdienstes des Dorfes. Gemeinsam mit den anderen Frauen hatte sie erfolgreich nach Lösungen gesucht. „Als wir den Männern unser Projekt erklärten, glaubten uns 80 % von ihnen nicht. Sie waren überzeugt, dass wir spinnen“, erklärt sie. „Ich nahm zunächst Kontakt zu Ainura auf, einer Frau aus dem Nachbardorf Mundus. Sie brachte mich mit Dschangul in Verbindung, die mich wiederum an Anara Choitonbayeva, Direktorin der NGO Kyrgyz Alliance for Water and Sanitation (KAWS) vermittelte. Diese hat uns schließlich enorm geholfen.“

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Die KAWS ist eine auf Hygiene und Wasserfragen spezialisierte NGO in Kirgistan. In Kollaboration mit der Community Drinking Water Users Union (CDWUU), einer Gesellschaft, die sich um Dörfer mit Trinkwasserproblemen kümmert, arbeitet sie bereits mit vielen Dörfern der Region zusammen. Als Reaktion auf die Initiative der Dorffrauen haben die KAWS und ihre Partnerorganisation Women Engage for a Common Future (WECF), eine auf Gender- und Wasserfragen spezialisierte NGO, ein Projekt zur Erneuerung der Kanalisation entwickelt.

Beide NGOs finden hauptsächlich in Europa finanzielle und technische Unterstützung für das Projekt. So investierten die französische Stadt Saint-Omer und die Wasseragentur Artois-Picardie bereits 60 000 Euro. Know-how und technische Unterstützung wurden in Deutschland an der Technischen Universität Hamburg-Harburg und an der Bremer Overseas Research and Development Association (BORDA) gefunden. Zweck dieser Arbeitsgemeinschaft ist es, die Lebensbedingungen benachteiligter Gemeinschaften zu verbessern und gleichzeitig den Schutz der Umwelt zu gewährleisten.

„Im November 2017 brachte das Projekt Trinkwasser für 24 Stunden am Tag und sieben Tage pro Woche in 191 der 210 Häuser zum Laufen“, sagt Anara Choitonbaeva. „Vor der Sanierung der Leitungen musste jedoch die Bevölkerung für die Zahlung einer wöchentlichen Gebühr vorbereitet werden, um den Zugang zu fließende Wasser finanzieren zu können. Ein wichtiger Teil des Projekts besteht darin, lokale Strukturen für ein autonomes und nachhaltiges Ressourcenmanagement zu unterstützen, um die Nachhaltigkeit des Wasserversorgungssystems gewährleisten zu können. Das beinhaltet die Durchführung verschiedener Workshops zur Sensibilisierung“, erklärt sie.

Ein Erfolg

Ganz offensichtlich hat die Initiative der Dorffrauen in allen angestrebten Aspekten Erfolg. Alle 210 Haushalte im Dorf werden 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche mit fließendem Wasser versorgt. Viele Dorfbewohner haben sich bereits halb automatische Waschmaschinen und Spültoiletten in ihre Häuser eingebaut.

Laut einem Bericht der KAWS hatte die Sanierung der Wasserleitungen sehr positive soziale und wirtschaftliche Auswirkungen auf das Dorf. Die Zahl der Infektionskrankheiten ist stark zurückgegangen und die Initiative der Frauen hat es ihnen ermöglicht, aktiv am Dorfleben teilzunehmen und somit die Gleichstellung von Männern und Frauen gefördert. „Die Männer danken uns nun jeden Tag und entschuldigen sich dafür, dass sie an uns gezweifelt haben. Sie sind voll in die Verwirklichung neuer Projekte und in die Entwicklung des Dorfes involviert“, freut sich Gulay.

Das Abwasserproblem

Die Rückkehr des fließenden Wassers bedeutet jedoch keineswegs das Ende aller Probleme. Tatsächlich wirft der Zugang zu fließendem Wasser eine neue Schwierigkeit auf: das Auffangen, Speichern und Klären des Abwassers. Die Partner-NGOs organisierten daher Anfang Mai 2018 zwei Wochen lang Workshops, um die Bewohner über Abwassermanagement und die Nützlichkeit von Klärgruben zu informieren. Dieser fand in den Räumen der Dorfschule statt, wo Männer und Frauen aus An Oston wieder hinter die Schulbänke zurückkehrten, um das Leben in ihrer Gemeinde zu verbessern.

Workshop Kirgistan Wasser
Dorfbewohner nehmen am Workshop zum Abwassermanagement teil, das von der NGO Borda in den Räumen der örtlichen Schule organisiert wurde

„Bisher wurden seit der Sanierung des Fließwassersystems unbehandelte Abwässer direkt in die Natur eingeleitet, was ein großes Umweltproblem darstellt“, sagt Stephan Deegener, Ingenieur an der Technischen Universität Hamburg-Harburg und technischer Experte für Abwasserbehandlungsmethoden. „Einige Abwässer sind gut für die Landwirtschaft, aber andere sind sehr schädlich für die Umwelt“, erklärt er.

Abwassergrube Kirgistan
Eine der zahlreichen Abwassergruben

Im Frühjahr 2018 begannen die Dorfbewohner unter Aufsicht des Hamburger Ingenieurs, für jedes Haus Klärgruben zu bauen. Für Gulay haben sich die Dinge im Dorf dank ihrer Initiative und der Hilfe der verschiedenen NGOs wirklich verändert.

„Es war für alle eine große Veränderung. Manche können sich bereits jetzt gar nicht mehr an ihr Leben im Dorf erinnern, bevor das Fließwasser kam. Das Dorf lebt erneut auf, die Bedingungen haben sich für alle verbessert und die Kinder verbringen ihre Zeit damit, zu lernen und Spaß zu haben, anstatt den ganzen Tag nach Wasser zu suchen“, sagt sie.

 

Augustin Forissier
Redakteur in Bischkek 

Aus dem Französischen von Elisabeth Rudolph

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