Wie studiert man in einer Bildungseinrichtung, die der Bewegung von Fethullah Gülen nahesteht, den die türkische Regierung für den misslungenen Putsch vor einem Jahr verantwortlich macht? Novastan hat die Atatürk-Alatoo Universität in Bischkek besucht.
Für Studierende in Kirgistan ist die internationale Atatürk-Alatoo Universität in Bischkek eine prestigeträchtige Einrichtung, eine der wenigen im Land, die Kurse auf Englisch anbietet. Für die türkische Regierung ist sie ein Teil eines terroristischen Netzwerks, das für den Putschversuch am 15. und 16. Juli 2016 verantwortlich ist.
Die Universität, wie auch ein Dutzend Schulen in Kirgistan, gehört zur Privatorganisation Sebat, die der Bewegung von Fethullah Gülen nahesteht. Gülen, ein Prediger und Gelehrter, ist ein ehemaliger Verbündeter des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wohnt aber heute im Asyl in den Vereinigten Staaten. Ankaras Feindseligkeit ihm gegenüber ist nichts neues, sie hat sich aber seit dem Putschversuch deutlich verstärkt.
Eine diskrete Bewegung
Gülens Bewegung, auch hizmet („Dienst“ auf Türkisch) genannt, ist über Schulen und Universitäten seit den frühen 1990ern in Zentralasien vertreten. Ihre erklärtes Hauptziel ist die Ausbildung einer neuen modern denkenden Elite, die den türkischen islamischen Traditionen treu bleibt. In Kirgistan stehen 15 Gymnasien und eine Universität dieser Bewegung nahe.
Dabei haben sie kaum direkte Verbindungen mit Gülen selbst: „Unternehmer, Lehrkräfte, Erzieher und Professoren haben sich von Gülens Ideen inspirieren lassen und haben Schulen, Unternehmen oder Medien gegründet“, erklärt der Politikwissenschaftler Bayram Balci, der am Zentrum für internationale Forschung (CERI) an der Pariser Sciences-Po zur arabisch-muslimischen Welt forscht. Gülen hat keinen direkten Einfluss auf die Sebat-Bildungseinrichtungen in Kirgistan. Die Organisation ist jedoch von seinen Ideen inspiriert, auch wenn sie es nicht offen kommuniziert.
So steht es um von Gülen inspirierten Organisationen in der Region. Diese „Intransparenz wurde ihnen immer vorgeworfen“, erklärt sich aber durch „eine gewisse Vorsicht ihrerseits, um in Staaten, die gegenüber aller religiösen Bewegungen skeptisch sind, keine Probleme zu bekommen“, so Balci. Das macht es schwer, die Einrichtungen, die Gülen nahestehen, klar zu identifizieren und seinen Einfluss auf sie zu messen.
Ein solcher Eindruck bestätigt sich auch bei einem Besuch der Atatürk-Alatoo Universität. Der Campus befindet sich am Rande der kirgisischen Hauptstadt und dessen grüne Flächen und moderne Architektur stehen europäischen Universitäten in keiner Weise nach. Auf den ersten Blick ist kein Zeichen einer Nähe zur Gülen-Bewegung zu erkennen.
Im Gegenteil, vor allem die internationale Natur der Universität wird hervorgehoben, von den Gebäudenamen auf Englisch und auf Kirgisisch bis hin zur bunten Treppe zur Vorbereitungsstufe, die mit türkischen und englischen Sprichwörtern versehen ist.
Kirgistan unter Druck
Auch in Zentralasien ist Diskretion angebracht. In der Region stehen viele der Bewegung schon seit langem skeptisch gegenüber, wegen ihrer religiösen Verbindung. Als das hizmet seine Tätigkeit in der Region begann, waren die zentralasiatischen Länder noch jung und die Regierungen begegneten solch einer großen ausländischen Privatorganisation mit Misstrauen.
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Seit 2013 und der Spaltung zwischen der türkischen Regierungspartei AKP und dem hizmet sind die Organisationen größerem Druck ausgesetzt. „Dieser Bruch betraf nicht nur die Türkei.“, ergänzt Balci. „Er hat sich auch ins Ausland exportiert, in alle Länder, in denen es Gülen-Schulen gibt. Die Türkei hat sich sehr für eine Schließung dieser Schulen oder eine Begrenzung ihrer Aktivitäten eingesetzt.“ Tadschikistan und Turkmenistan haben 2015 alle ihre Gülen-Schulen schließen lassen, so dass die Bewegung in Zentralasien nur noch in Kirgistan und in Kasachstan existiert.
Seit dem Putschversuch ist der Druck umso stärker: „Wenn ihr nicht eure Beziehungen [zur Gülen Bewegung] ändert, so werden wir unsere Beziehungen mit euch ändern. Wir erwarten Unterstützung von unseren Brüdern, man dreht Brüdern nicht den Rücken zu“, hatte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu laut 24.kg im Juli 2016 seinem kirgisischen Amtskollegen erklärt. Er warnte auch, dass „sollte es eine Revolte in Kirgistan geben, es das Werk der Gülenisten [sei]“, die die Institutionen des Landes bereits „infiltriert“ haben.
Die kirgisische Seite wies die Warnungen verärgert ab: „Wenn sie so schlau sind, warum haben sie den Putschversuch dann nicht kommen sehen?“, antwortete der kirgisische Präsident Almasbek Atambajew.
Die Atatürk-Alatoo Universität mitten im Gefecht
Bischkek geht auf den türkischen Druck bisher nicht ein, aber die Schulen und Universitäten sind für die Türkei weiter hochverdächtig. Laut der türkischen Tageszeitung Hurriyet, gehört die Atatürk-Alatoo Universität sogar zu einer Liste von Einrichtungen, die die Istanbuler Staatsanwaltschaft der Verbreitung der Ideen der sogenannten „gülenistischen Terrororganisation“ beschuldigt.
Im Gegensatz zu dem, was die kirgisischen Medien ursprünglisch behauptet hatten, hat die türkische Regierung also nicht offiziell die Alatoo-Atatürk Universität als „terroristisch“ bezeichnet. Verdächtigt wird sie aber dennoch.
Die Studierenden der Universität sind von den Beschuldigungen empört: „Letzten Winter haben wir erstmals vom Terrorismus in der Türkei gehört und von den Gerüchten laut denen uns hier terroristische Ideen gelehrt werden,“ erzählt eine Studentin. „Alle Kommilitonen waren empört. Es ist schrecklich, so etwas von uns zu denken.“ Sie ist von den Gerüchten genervt und fügt hinzu, dass „die Leute in den anderen Universitäten wissen nicht, was wir hier machen. Sie urteilen nur durch das, was sie in den Zeitungen lesen.“ Nur ein einziger der von Novastan befragten Studierenden erwähnt Fethullah Gülen und seine Verbindungen zur Universität.
Anpassungen an den kirgisischen Kontext
Dieses Jahr hat es in den Sebat-Einrichtungen, zu denen auch Atatürk-Alatoo gehört, dennoch einige Änderungen gegeben. Die Organisation selbst hat ihren Namen geändert, von „Sebat“ (Qualität auf Türkisch) zu „Sapat“ (Qualität auf Kirgisisch). Auch die Universität sieht wohl einen Namenswechsel vor, auf ihrer Webseite ist schon von der „Internationalen Alatoo Universität“ die Rede.
Diese Änderungen gehören auch zur „Regionalisierung“ der Bewegung, also eine bessere Anpassung an den kirgisischen Kontext. Das betrifft auch das Personal der Universität, mit mehr kirgisischen und weniger türkischen Besetzungen. Auf den ehemaligen türkischen Rektor folgte im April der Kirgise Jangoros Kanimetow.
Es ist schwer zu unterscheiden, welche Änderungen sich auf die Lage in der Türkei zurückführen lassen und welche sowieso stattgefunden hätten. Wie Christopher Swartz, Journalist und Professor an der Amerikanischen Universität Zentralasiens (AUCA) erklärt: „[die Änderungen] haben formell nichts mit dem Putschversuch zu tun.“ Zum Beispiel „gibt es mehrere Standpunkte zu den Beweggründen der ‚Regionalisierung‘. Manche sagen, das sei eine Strategie der Gülen Bewegung, die zuerst Türken ins Ausland sendet, um lokale Kräfte zu gewinnen. Letzteren wird dann die Verantwortung übergeben und die türkischen Angestellten werden abgezogen. Andere meinen, dass sei einfach eine Reaktion auf die Sorgen der zentralasiatischen Regierungen bezüglich der Natur dieser Schulen.“
Trotz Anschuldigungen geht der Alltag weiter
Die meisten Studierenden der Atatürk-Alatoo Universität scheinen sich um Fethullah Gülen oder die Türkei kaum zu sorgen. Für sie zählt es, einen prestigeträchtigen Abschluss zu machen und Englisch zu lernen ohne sich zu ruinieren. Eine Studentin erklärt: „In Kirgistan gibt es nur zwei Universitäten, wo man auf Englisch studieren kann. Die AUCA ist aber zu teuer.“ Nach ihrem Studium würde sie gerne Arbeit in den Vereinigten Staaten finden.
Bayram Balci sieht in den Entwicklungen auch ein Zeichen für eine veränderte Wahrnehmung der Gülen Schulen in den letzten Jahren: „Anfangs sahen die zentralasiatischen Staaten und die Eltern diese Schulen vor allem als moderne Bildungseinrichtungen mit einer säkularen Lehre, die den bestehenden Normen entspricht. Also als gute Schlüssel für Top-Universitäten.“ Seit 2013 ist der Blick auf die Organisation aber differenzierter, „weil man in der Türkei beobachtet hat, zu welchem Machtkampf mit der Regierung die Bewegung fähig ist.“
Valentine Baldassari
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath