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Kirgistan abhängig vom Geld seiner Migranten

Kein Land der Welt ist so abhängig von den Rücküberweisungen seiner Migranten wie Kirgistan. Aber der größte Teil davon verschwindet in Konsumgüter und Krediten. Statt die Gründung von Unternehmen im Land zu fördern, setzt die Regierung auf die Migration als Mittel gegen soziale Spannungen. Folgender Artikel erschien im russischen Original auf dem kirgisischen Medienportal Kloop.kg.

Rücküberweisungen von Migranten aus Kirgistan
Kirgisische Migranten überweisen jährlich 2,5 Milliarden US-Dollar in ihre Heimat

Kein Land der Welt ist so abhängig von den Rücküberweisungen seiner Migranten wie Kirgistan. Aber der größte Teil davon verschwindet in Konsumgüter und Krediten. Statt die Gründung von Unternehmen im Land zu fördern, setzt die Regierung auf die Migration als Mittel gegen soziale Spannungen. Folgender Artikel erschien im russischen Original auf dem kirgisischen Medienportal Kloop.kg.

Die 24-jährige Altynaj* weiss nicht, was sie machen soll, wenn ihre Eltern ihr kein Geld mehr aus Russland überweisen. Ohne diese 20 Tausend Som (etwa 250 Euro) wäre sie in einer ausweglosen Lage, allein diese Gelder sichern ihr Überleben.

Altynaj wohnt schon drei Jahre zusammen mit ihrer Großmutter, von deren Rente sie kaum etwas zahlen können.

Wie sie erzählt, ziehen die Einwohner ihres Dorfes im Bezirk Lejlek der Region Batken, im Südwesten von Kirgistan, ständig ins Ausland, um Geld zu verdienen. Vor Ort gibt es nicht ausreichend Arbeitsplätze, keine neuen Firmen werden eröffnet und die meisten arbeiten für wenig Geld in den öffentlichen Behörden.

Tatsächlich verlassen in den letzten zehn Jahren immer mehr Leute Kirgistan, um im Ausland Arbeit zu finden. Allein in Russland stehen über 800 Tausend Kirgistaner auf dem Migrationsregister. Der Großteil davon sind Arbeitsmigranten. Im Jahr 2017 überwiesen sie 2,5 Milliarden US-Dollar in ihre Heimat, das sind mehr aus die gesamten Haushaltsausgaben des Landes.

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Schon das zweite Jahr in Folge ist der Anteil dieser Rücküberweisungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) Kirgistans der größte weltweit. Kirgistan rückt damit vor Tadschikistan und das Königreich Tonga.

Die Region Batken, in der Altynaj mit ihrer Großmutter wohnt, ist die ärmste im Land. 40 Prozent der dortigen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, verfügt also über weniger als 2600 Som (etwa 33 Euro) im Monat. Ohne die Rücküberweisungen der Migranten läge diese Zahl sogar bei 60 Prozent.

Tee am Straßenrand Batken Kirgistan
Die Region Batken ist die ärmste Kirgistans. An der Straße zwischen Batken und Isfana.

Auf der Grundlage von Daten des kirgisischen Statistikkomitees hat Kloop die am stärksten gefährdeten Regionen aufgelistet: Je ärmer eine Region, desto abhängiger ist sie von Rücküberweisungen. Dies betrifft in erster Linie die Regionen Batken, Dschalalabat und Osch.

Laut Angaben der kirgisischen Nationalbank helfen die Gelder der Migranten „dem Staat, soziale Spannungen abzubauen“, indem sie die Arbeitslosigkeit und die Armut verringern. Der Migrationsexperte Emil Nasritdinow ist der Ansicht, dass der Staat sich auf die Weise seiner Verantwortung entzieht: „Die Migration hilft der Bevölkerung nur zu überleben und nicht zu verhungern. Das ist alles, was die Regierung braucht – sie entledigt sich der Verantwortung für die Bevölkerung und gibt sie an die Migranten ab.

Die Gelder der Migranten werden nicht investiert

Die Geldüberweisungen retten tatsächlich arme Kirgistaner vor dem Hunger, schaffen aber auch kaum mehr als das. Der Großteil dieser Mittel wird für Lebensmittel ausgegeben. Das bestätigt auch Altynaj: „[Wir kaufen] Lebensmittel, Kleidung. Meine Schwester studiert in Bischkek, ihr schicken wir auch etwas davon. Sparen können wir nicht. Manchmal kann ich ein, zweitausend Som zur Seite legen, aber im Grunde wird das ganze Geld gleich ausgegeben.

Die Nationalbank hat die Daten einer Umfrage von 2800 Familien studiert und herausgefunden, dass drei Viertel der Kirgistaner die Überweisungen von Migranten für Komsumgüter ausgeben: Essen, Kleidung, Haushaltswaren. Das Geld wird öfter für Hochzeiten ausgegeben, als für Bildung oder Gesundheit.

Laut Altynaj leben viele Familien in Lejlek nicht nur vom Geld der Migranten, sondern nehmen zudem auch noch Kredite auf, die durch Rücküberweisungen zurückgezahlt werden: „Jede Familie hat zwei, drei Mikrokredite. Meistens werden die Kredite für Feste aufgenommen, meistens Hochzeiten. Manche nehmen Kredite für Reparaturen am Haus oder für ein Auto. […] Selbst wenn Leute von hier wegziehen, nehmen sie einen Kredit für die Tickets auf, die dann später vor Ort von Verwandten zurückgezahlt werden.

Hochzeit in Kirgistan Toi
Meist wird eine „Toi“ für eine Hochzeit gefeiert, wie hier im Dorf Karamyk

Laut Schätzungen von Kloop wird jedes zehnte Hochzeitsfest in Kirgistan durch Gelder von Migranten bezahlt. Das bestätigt auch Nasritdinow: „Einige Experten sind der Meinung, dass Feste eine Geldverschwendung sind, weil das, was Migranten durch harte Arbeit erwirtschaften, einfach an einem Tag ausgegeben wird. Andere sehen in den Festen eine Investition ins soziale Kapital, das mit der Zeit irgendwelche Dividenden bringen kann. Ich schließe mich aber eher ersteren an“.

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In der Nationalbank ist man der Ansicht, die Gelder der Migranten für Konsumgüter auszugeben sei „nicht schlecht“. Demnach fördere der Konsum die Wirtschaft, indem er lokalen Produzenten dazu verhilft, mehr zu verkaufen. Natürlich werden bei weitem nicht nur lokale Produkte mit den Rücküberweisungen gekauft, sondern auch importierte Güter.

„Um kein Gastarbeiter zu sein“   

Für ein bedeutendes Wachstum seiner Wirtschaft braucht das Land Investitionen. Die Geldüberweisungen könnte man in Unternehmen, dem Bankensektor oder in Wertpapieren anlegen. Aber laut der Nationalbank machen das nur 0,3 Prozent der Kirgistaner.

Einer dieser unternehmungslustigen Menschen ist Meder aus der Region Batken. Bereits seit fünf Jahren verkauft er mit seinen Partnern Baumaterialien in Isfana. Er verdient heute mehr als in den drei Jahren, in denen er in Russland als Fahrer und Bauarbeiter gearbeitet hat, manchmal auch nachts und ohne Ruhetage.

Nach Moskau fuhr ich wegen meiner ausweglosen Lage, hier gab es keine Arbeit. […] Damals [hatte ich einen Kredit], meine Mutter war schwer krank, mein kleiner Bruder hatte eine Behinderung, ich musste fahren“, erinnert sich Meder.

In Russland träumte er von einem eigenen Geschaft („um kein Gastarbeiter zu sein“), deshalb legten seine Eltern das Geld, das er sandte, beiseite. Dank dieser Ersparnisse konnte Meder schließlich auch sein Unternehmen gründen.

Der Staat bietet kein Programm an, das Arbeitsmigranten dabei hilft, ihre Rücküberweisung in die Gründung von Geschäften zu investieren. Das bestätigt auch Emil Nasritdinow: „Es gibt sehr viel Korruption. Zurzeit sehe ich keinen großen Beitrag der Migranten in der Entwicklung von kleinem und mittlerem Business.“

Die Nationalbank ist der Ansicht, Geschäftsbanken könnten das Geld der Migranten im Finanzsektor einsetzen: Sie könnten Sparkonten mit besonderen Bedingungen anbieten, Finanzkompetenzberatung durchführen oder rückkehrenden Migranten Kredite zur Gründung von Unternehmen anbieten.

Die Banken verfolgen aber andere Prioritäten: Sie verdienen lieber an Krediten für große Unternehmen, an den Kommissionen der Geldüberweisungen und der Kundenbetreuung.

Die Nationalbank sieht ihre Rolle darin „die makroökonomische Nachhaltigkeit zu gewährleisten“ und die „Preisstabilität zu unterstützen“. Gemeinsam mit der Regierung versucht sie, den Kirgistanern die effektive Verwaltung ihres Geldes beizubringen.

Während er sein Geschäft entwickelt, verfolgt Meder, wie immer mehr seiner Landsleute ins Ausland ziehen, um Geld zu verdienen. „Viele bleiben dort, weil die Lage in unserem Land sich nicht verbessert“, fügt er hinzu.

Die abhängige Republik Kirgistan

Kein Land der Welt ist so abhängig vom Geld seiner Migranten, wie Kirgistan. Vor zehn Jahren machten die Rücküberweisungen 20 Prozent des BIP aus, heute sind es fast 40 Prozent.

Geld Kirgistan
Bild: Kirgisische Som-Scheine

Diese Abhängigkeit ist gefährlich für die kirgisische Wirtschaft. Das zeigte die russische Krise in den Jahren 2014-2015: Durch den Rückgang der Rücküberweisungen stieg die Armut um 1,5 Prozent.

Batken steht wirklich nichts Gutes bevor. Eine weitere Krise in Russland wird die Lage noch verschärfen. […] Das ist sehr instabil und unzuverlässig, denn eine Krise kann jederzeit eintreten“, so Nasritdinow.

Seiner Meinung nach können sich die letzten Sanktionen gegen Russland und die Verschärfung der Regelungen um die Registrierung von Migranten in Russland sich negativ auf ihre Geldüberweisungen auswirken.

Die kirgisischen Behörden wollen diese Probleme auf eigene Art lösen. Das Projekt der nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung bis 2040 sieht vor, die Geographie der weltweiten Migration noch mehr zu erweitern. Dafür wird der Staat seinen Bürgern dabei helfen, im Ausland Arbeit zu suchen und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Ausland zu erhöhen. So wird das Land noch lange durch das hart erarbeitete Geld der Migranten überleben.

Anna Kapushenko, Savia Hasanova
Kloop.kg

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

*Namen geändert

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