Wie ist es, kirgisischer Expat zu sein und ständig zu seinem kaum bekannten Land ausgefragt zu werden? Die Journalistin Bermet Talant berichtet auf der Plattform sheisnomad.com von ihren Erfahrungen.
Wenn ich nur für jedes Mal, wenn mir jemand sagt „You are the first Kyrgyz person I’ve ever met“ einen Dollar bekäme… Millionärin wäre ich wohl nicht geworden, aber ich hätte mir bestimmt schon ein Auto kaufen können.
Es ist manchmal lustig, ein Expat aus einem wenig bekannten Land zu sein, meistens aber ist es ermüdend. Einerseits habe ich mich immer schwer getan, die aus der durchmischten Geschichte Zentralasiens entstandene komplexe Kultur Kirgistans zu erklären. Andererseits haben Ausländer, die von der Region nichts wissen, auch meist keine Vorurteile dazu.
Selbst nach mehreren Jahren im Ausland fühle ich mich noch etwas unwohl bei der Frage „Where are you from?“, denn ich weiß ganz genau, was folgt. Anfangs ist es amüsant, dann nervt es und schließlich gewöhnt man sich daran und lässt die Szene ruhig über sich ergehen.
Der komplizierte Name des Landes
Im Jahr 2010 kündigte die CNN-Nachrichtensprecherin Kira Philips eine Reportage zur kirgisischen Revolution mit folgenden Worten an: „Kirgistan: unmöglich zu Buchstabieren, schwer auszusprechen, viel Glück bei der Suche auf einer Weltkarte“. Ganz unrecht hatte sie nicht.
Wenn ich erzähle, dass ich aus Kirgistan komme, überlegen sich die Leute, was das für ein Land ist. Dabei verwirrt zuerst die Endung –stan, die man eigentlich von Afghanistan und Pakistan kennt. Meist sind auch die Versuche, das Land als Kirgistan, Kirgisien oder Kirgisische Republik auszusprechen, nicht von Erfolg gekrönt. Bei letzterer Variante habe ich sogar schon Verwechslungen mit der Tschechischen Republik erlebt, obwohl ich sowohl K als auch Tsch gut aussprechen kann.
Andere Reaktionen, die ich gehört habe: „K-was?“, „Haha, und im ernst?“ oder „Wow, dieses Land braucht mehr Vokale!“.
Dann muss ich meistens erklären, dass Kurdistan, dass an einer ganz anderen Stelle des Kontinents liegt, mit meinem Land nichts zu tun hat. Vor Kurzem sorgten sich Bekannte, mit denen ich dieses Gespräch eigentlich schon hatte, ob es meiner Familie bei den kürzlichen IS-Angriffen gut ginge. Ich konnte nur noch tief einatmen und antworten, dass es ihnen sehr gut geht und sie sehr weit entfernt von den Angriffsorten wohnen.
Zuletzt ist es auch immer wieder unterhaltsam, wenn ich gefragt werde, ob ich aus China komme und dann nach der Verneinung anfangen, weiter zu raten. Auf die Art hat einmal ein Kassierer in einem Supermarkt versucht, mein Land zu erraten. Hinter mir standen etwas zehn Personen, die bald auch in das „Spiel“ mit einstiegen. Gegen Ende kamen Sie auf Kasachstan und Usbekistan, mein Land konnten Sie aber immer noch nicht erraten. Einen Rabbatt bekam ich trotzdem.
Das Aussehen
Für die meisten nicht-Asiaten sind alle Asiaten entweder Chinesen oder Japaner. Ich denke bereits, das Konitschiwa mein zweiter Name ist. Auch Asiaten tun sich schwer, Kirgisen als solche zu erkennen und halten sie meistens für Mongolen oder Tibetaner. Doch sobald man den Mund aufmacht, merken alle, das etwas nicht stimmt: Chinesen mit russischem Akzent?
Nach einem kurzen Exkurs in die Geschichte und der Aussage, dass Kirgistan mal zur UdSSR gehörte, ist für die Meisten klar: Russland. Den Nachnamen Karybekowa kann auch niemand aussprechen, so dass daraus meist das russische Kalaschnikowa wird. Dann nicke ich einfach und stimme zu, um nicht alles noch einmal von Anfang an erklären zu müssen. Doch die Verbindung in den Köpfen der Leute bleibt, so dass dann irgendein Kameruner mich nach irgendeinem russischen Fußballklub fragt.
Bei der ständigen Assimilation und den zahlreichen gemischten Hochzeiten ist es natürlich schwer, Kirgisen am Aussehen zu erkennen. Manchmal glaubt man nicht, dass ich, mit meinen eindeutig mongolischen Zügen, und meine Freundin mit ihrem hellbraunen Haaren und blauen Augen aus ein und demselben Land kommen.
Die Sprache
Die kirgisische Sprache gehört zu den Turksprachen, wodurch man gleich zu den Türken gezählt wird, während das kyrillische Alphabet und die sowjetische Vergangenheit gleich wieder mit Russland verbunden werden. In der Türkei werden die Völker Zentralasiens übrigens auch dementsprechend genannt: Kırgız Türkler, Kazak Türkler, Özbek Türkler, Uygur Türkler. Wenn ich mich aber im Aksaraj-Viertel in Istanbul befinde, schreit man mir oft auf Russisch nach: „Junge Frau, Pelz, Leder“.
Ausländer sind auch überrascht, wenn Kirgisen miteinander auf Russisch oder auf Englisch reden. Ich erkläre dann, dass Bischkek internationaler ist als die anderen Regionen und Russisch dort Lingua franca ist, dass ich auf eine russische Schule gegangen bin und Englisch laut Wikipedia die vierte Sprache im Land ist. Man kann davon halten, was man will, ich denke aber, dass man in der Sprache sprechen kann, die man mag.
Die Religion
Wenn man aus einem Land kommt, das auf –stan endet, denken die Leute automatisch, dass man Muslim ist. Wegen der Nachbarschaft zu China fragen manche, ob Kirgisen Buddhisten seien. Ein Freund hat mir einmal zum chinesischen Neujahr gratuliert und dabei gesagt: „Du bist doch aus der Ecke.“
Wie die meisten Kirgisen, die zu Zeiten des sowjetischen Atheismus aufgewachsen sind, habe ich mich als Muslimin bezeichnet, wusste aber fast nichts über den Islam. In meiner Familie reduziert sich die religiöse Praxis auf Almosen während des heiligen Monats Ramadan und auf Koranzitate auf Trauerfeiern.
Bis vor Kurzem war ich mir sicher, dass Beerdigungen das einzige muslimische Ritual sind, das Kirgisen richtig begehen. Doch dann erfuhr ich, dass Muslime die Verstorbenen innerhalb von 24 Stunden beerdigen. In Kirgistan geschieht das meist erst nach drei Trauertagen.
Da der Begriff des sekulären Islam mit schamanistischen Elementen nicht sehr verbreitet ist, sage ich meist einfach, dass ich keine Religion habe.
Kultur und Bräuche
An Bräuchen sind die Kirgisen tatsächlich sehr reich! Wir feiern zooastrische, slawische, sowjetische, sekuläre und religiöse Feste, kennen uns mit koreanischer Küche aus und wissen wie es ist, mit den Traditionen einer strengen asiatischen Familie und der Ausdrucksfreiheit des Westens aufzuwachsen. Egal, aus welcher Kultur meine Gesprächspartner kommen, wir finden immer kulturelle Gemeinsamkeiten.
Ich muss zugeben, dass ich das Unwissen der Ausländer über Kirgistan auch manchmal ausgenutzt habe. Einmal in einem afrikanischen Land habe ich einem arroganten Typen, der sich als Nachfahre eines nigerianischen Königs vorstellte, entgegnet, ich sei die älteste Tochter des Hohepriesters des Stammes der himmlichen Krieger des Tien-Schan. Wobei ich bis heute denke, dass er auch bluffte.
Als sie mich im Kindergarten meines Sohnes fragten, ob ich ein Fest für seinen zweijährigen Geburtstag geben wolle, sagte ich einfach, dass man in meinem Land Kindergeburtstage nicht feiere.
Wenn man aus einem wenig bekannten Land mit kaum aussprechbarem Namen und einer so komplizierten Geschichte wie Kirgistan kommt, hat man alle Karten in der Hand. Das birgt natürlich auch viel Verantwortung, denn es kann sein, dass man der einzige Kirgise ist, den Ausländer je treffen. Man handelt und spricht dann quasi stellvertretend für das ganze Land. Gleichzeitig ist es auch eine absolute Freiheit, ungehindert von Vorurteilen und Erwartungen.
Bermet Talant und Nara Rey
sheisnomad.com
Aus dem Russischen von Florian Coppenrath
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Roman Lahodynsky, 2017-09-26
Irgendwie habe ich den Verdacht, dass ihr diesen Bericht in einer Zeitkapsel aus den 90er Jahren gefunden habt. Wo im Ausland lebt diese Kirgisin – höchstens USA und England könnte ich mir vorstellen. Das geographische Bildungsniveau ist in vielen europäischen Ländern höher und Kirgisistan ist als Reiseland gerade bei Wanderern, Alpinisten keinesfalls unbekannt. Darüberhinaus ist die kirgisische Diaspora in vielen europäischen Ländern (Deutschland, Schweiz, Österreich) sehr aktiv. Es gibt Freundschaftsgesellschaften, getragen von Partnern binationaler Ehen, es gibt Vereine, in denen die kirgisischen Studenten sehr aktiv sind, welche auch Konzerte mit kirgisischen Künstlern veranstalten. Vielleicht ist die UN Stadt Wien im Vorteil, da hier das Norus Fest von mehreren Nationen gefeiert wird und da hier jedes Jahr ein UN-Women`s Christmas Bazaar stattfindet, wo auch ein kirgisischer Stand die Handwerkskunst und Musik Kirgisistans präsentiert. Zu den im Artikel geschilderten Details wäre viel Kritisches anzumerken. Der am Ende erwähnten Verantwortung stimme ich zu.
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