Als erstes deutsches Regierungsoberhaupt besuchte Kanzlerin Angela Merkel die einzige Demokratie in Zentralasien. Die Hauptstadt Kirgistans ist mit riesigen Merkel-Plakaten verziert. Ihre Ankunft wird wie die eines Popstars gefeiert. Was tat die deutsche Kanzlerin in Kirgistan und vor allem: warum?
Das Programm: Zwischen militärischen Ehren und Milchproduktanalyse
Am Mittwoch Abend traf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Flughafen in Bischkek ein. Dort wurde sie mit militärischen Ehren und der Verkostung kirgisischer Spezialitäten von Präsident Almasbek Atambaev begrüßt.
Am Donnerstag traf sie neben dem Parlamentspräsidenten Kirgistans Chynybai Tursunbekow auch Vertreter der kirgisischen Zivilgesellschaft. Auch ein Bildungsprojekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), das die berufliche Bildung in Zentralasien mit deutscher Hilfe unterstützt, würdigte Merkel mit einem Besuch. Nachdem die promovierte Physikerin mit Studenten am Lehrstuhl für Lebensmitteltechnologie der Technischen Universität Bischkek sprach und das dortige Labor für Mikrobiologie und Milchproduktanalyse begutachtete, fand die Kurzvisite einen touristischen Abschluss im Ala-Artscha Nationalpark.
Grund der Reise: Wertschätzung für den eingeschlagenen Weg?
Nach den Besuchen Atambajews in Berlin 2012 und 2015 revanchierte sich die Kanzlerin nun und legte einen Zwischenstopp auf dem Weg zum ASEM-Gipfel in der Mongolei ein. Warum eigentlich?
Kirgistan ist nur Handelspartner 146 von rund 200 Ländern weltweit. Es gebe laut Auswärtigem Amt kaum deutsche Investitionen. Eine Verbesserung sei nicht in Sicht. Für Deutschland ist die einzige zentralasiatische Demokratie also wirtschaftlich nahezu bedeutungslos.
Der erste Staatsbesuch eines deutschen Kanzlers in Kirgistan soll, so teilt das Kanzleramt mit, die Wertschätzung der Regierung für die demokratische Stabilität Kirgistans ausdrücken. Die Region habe großes Potenzial. „Wir haben großen Respekt vor dem eigenständigen Weg, den Kirgistan seit 2010 (der Wahl Atambajews, Anm. d. Red.) geht“, teilte Merkel mit.
Auch wichtig: Deutschland und Kirgistan sind historisch verflochten
Auch die historischen Verflechtungen beider Länder werden betont. Doch die einst 100.000 Menschen große deutsche Minderheit in Kirgistan ist, nachdem die Bundesregierung die Einbürgerung nach Deutschland erlaubte, rapide geschrumpft und spielt heute kaum mehr eine Rolle.
Noch rund 8.000 Deutschstämmige leben vor allem in den Städten und einigen Dörfern wie Rotfront oder Kant, die ihre deutschen Namen noch tragen. Aber die Deutschen sind auch dort zu Minderheiten geworden.
Der Sprecher der deutschen Minderheit in Kirgistan und ehemalige Vizepremier des Landes Valeri Dill, beklagte im Gespräch mit Novastan: „Das kulturelle Erbe der deutschen Minderheit ist gefährdet. Vor allem junge Familien ziehen nach Deutschland und kaum einer spricht mehr deutsch.“
Entscheidend?: Annäherung zwischen der EU und Russland
Doch bei den Gesprächen zwischen Merkel und Atambajew ging es insbesondere um die Beziehungen zwischen der Eurasischen und der Europäischen Union. Der kirgisische Präsident sprach sich nochmals für eine Wirtschaftsunion von Lissabon bis Wladiwostok aus.
Atambajew rief die EU und Russland dazu auf, die Differenzen um die Ukraine zu klären, damit die Sanktionen gegen die Russische Föderation aufgelöst werden könnten. Merkel wiegelte zunächst ab: „Da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns, aber ich befürworte das im Grundsatz.“ Doch sie betonte auch:
„Wenn alle guten Willens sind, dann können wir es schaffen, und dann werden wir uns auf andere Themen wieder konzentrieren können.“
So war der Zwischenstopp in Kirgistan wohl auch ein Instrument, um die vorsichtigen Annäherungen zwischen dem Westen und Russland zu unterstützen. Erst am Mittwoch tagte der Nato-Russland-Rat – zum ersten Mal seit April wieder auf Botschafterebene. Laut Außenminister Steinmeier verlief dieser konstruktiv und beiderseitiges Interesse an einem fortlaufenden Dialog wurde bekundet.
Disharmonien beim Thema Menschenrechte?
Auch disharmonische Klänge begleiteten den historischen Besuch. Hoffnungen auf ein Plädoyer Merkels zur Einhaltung der Menschenrechte in der zentralasiatischen Republik kam die Kanzlerin nach. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW), Amnesty International und Reporters Without Borders kritisieren Kirgistan insbesondere scharf für die Inhaftierung eines usbekischstämmigen Journalisten.
Merkel, so Hugh Williamson, Vorsitzender bei HRW für die Abteilung Europa und Zentralasien forderte Merkel auf, das Gespräch mit Atambajew zu nutzen, um kirgisische Menschenrechtsverstöße anzusprechen. Sie solle sich um die Befreiung des seit 6 Jahren inhaftierten Journalisten Azimzhan Askarov bemühen.
Bereits am 21. April forderte das UN-Menschenrechtskomitee die kirgisischen Behörden auf, Askarov aus der Haft zu entlassen. Es sah als bewiesen an, dass Askarov in einem Scheinprozess verurteilt, zu Unrecht in Haft gesetzt und gefoltert wurde.
Merkel sprach das heikle Thema zum Ende des Besuches im Ala-Artscha-Nationalpark an. Atambajew versprach, dass der Prozess offen sei und wieder aufgerollt würde. Internationale Experten sind eingeladen, den Prozessverlauf zu beobachten.
Gregor Bauer
Chefredakteur