Die Bischkeker Aktivistin Bermet Borubajewa ist vor allem für ihre Arbeit in den Bereichen Kunst und Ökologie bekannt. Nun möchte sie aber einen Schritt weitergehen und tritt für die Kommunistische Partei bei der Wahl des Bischkeker Stadtrats am 11. April an. Ein Videointerview mit Novastan.
Am 11. April 2021 finden in Kirgistan neben einem Verfassungsreferendum auch Lokalwahlen statt. Der Stadtrat der Hauptstadt Bischkek ist dabei besonders umstritten: laut dem Online-Nachrichtenportal Kloop.kg nehmen insgesamt 27 Parteien an der Wahl teil, und viele KandidatInnen, die bereits im vergangenen Oktober an der Parlamentswahl teilgenommen hatten.
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Dabei bringt der Wahlkampf auch seine Überraschungen: So hat etwa die Ökologie- und Kunstaktivistin Bermet Borubajewa ihre Kandidatur für die Kommunistische Partei Kirgistans erklärt. Im Videointerview mit Novastan erklärt sie, was sie dazu bewegt hat, und was für sie die brennendsten Fragen der Stadtpolitik sind.
Novastan.org: Wer bist Du und warum bist Du politisch aktiv?
Bermet Borubajewa: Ich heiße Bermet Borubajewa und bin Kandidatin für den Bischkeker Stadtrat für die Kommunistische Partei Kirgistans. Ich habe hier an der Slawischen Universität studiert, danach habe ich die Higher School of Economics in Moskau abgeschlossen, mit einer Spezialisierung in staatlichem Management der städtischen Ökologie. Für mich ist es sehr wichtig, die Beteiligung der Einwohner in den Angelegenheiten der Stadt zu fördern.
Also, ich habe in Moskau studiert, habe dort als Assistentin des Generaldirektors der TsTI Fabrik (Zentrum für künstlerische Initiativen, Anm. d. Red.) gearbeitet. Dann wollte ich mich aber selbst in Kunst und Forschung weiterentwickeln. Ich habe mich für die Rechte von Arbeitenden aus Zentralasien eingesetzt – ihr wisst in welchen schwierigen Lagen diese sich befinden.
Dann kam ich wieder nach Bischkek, eigentlich nur für zwei Monate, um meine Familie zu sehen und an einer Ausstellung meiner Kollegen des Ci-Laboratoriums teilzunehmen. Ich erfuhr, dass die Stadt von einem unheimlichen toxischen Smog befallen ist, dass sie weltweit auf dem ersten Platz bei der Luftverschmutzung stand – für mich war das ein Schock. Ich begann, Protestaktionen und Flash-Mobs zu organisieren. Wlad Uschakow (Bischkeker Fotograf und Aktivist, Anm. d. Red.) ist mit der Initiative „Sorokmatov potuschi“ – jetzt „Dschaparowitsch potuschi“: Wir fordern von den Behörden, dass sie die städtische Müllablage schließen zu uns gestoßen.
Und so bin ich einfach in Bischkek geblieben, denn für mich ist der Erhalt der Stadt sehr wichtig. Ich fühle, dass ich dafür alle Kompetenzen haben: analytische Fähigkeiten, juristische Kenntnisse – ich verteidige eben die Position der Einwohner. Wir haben hier mit Kollegen auch die Bischkeker Schule für Zeitgenössische Kunst gegründet, worüber ich mich sehr freue. Und ich führe schon lange Foodsharing Projekte in Bischkek. Wir einigen uns mit Geschäften, dass sie ihre überschüssigen Lebensmittel nicht wegwerfen, sondern zum Beispiel an ein Zentrum für Obdachlose, andere soziale Zentren oder an Kinder aus Großfamilien geben. Ich bin bereit, all diese Projekte weiterzuführen, aber ich denke dafür braucht es zusätzliche Ressourcen, wie ein Mandat im Stadtrat.
Wie steht es um Bischkek heute? Was möchtest Du verändern?
Bischkek, oder auch Frunse (der Name der Stadt zwischen 1926 und 1991), wurde in der Sowjetunion errichtet: Sowjetische Planung und Gebietseinteilung. In den vergangenen 30 Jahren wurden aber keine gesellschaftlichen Räume vom Staat gebaut. Das Bauwesen wird nicht reguliert. Zum Beispiel kann heute in jedem Innenhof ein neues Gebäude errichtet werden, auch ohne das Einverständnis der Einwohner. Dabei können aber auch die Käufer Probleme bekommen, denn sie erhalten meist keine Eigentumserklärung. An diesen Punkten bilden sich bereits Konflikte.
Deshalb braucht es eine sehr starke Kontrolle darüber, was in der Stadt passiert. Ich denke, es braucht starke städtische Behörden. Die heutigen Abgeordneten des Stadtrats vertreten die Interessen von Eliten, von Bauherren. Viele sind selbst in diesem Geschäft, oder auch ihre Verwandte. Die Interessen der Einwohner werden dabei vollkommen außer Acht gelassen. Schauen wir beispielsweise auf den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). Ich habe eine Anfrage an die Stadtverwaltung gestellt: Wir haben 11 ÖPNV-Linien mit 100 Bussen und 100 Trolleybussen. Das kann für eine Millionenstadt nicht sein, eine riesige Megapolis, die sich dynamisch entwickelt. Wir haben keine Strategie für die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs. Es braucht eine komplexe Planung für die ÖNPV-Entwicklung.
Man sagt uns, es gibt kein Geld. Aber es ist Geld da! Es sind öffentliche Gelder, aber alles wird für andere Bedarfe ausgegeben. Es geht nicht darum, dass es kein Geld gibt, sondern darum, wie es verteilt wird. Daher denke ich, meine Aufgabe und die meiner Kollegen, die der Einwohner ist es, die Stadt und das Stadtbudget entsprechend der Interessen der Einwohner zu planen und zu verwenden, für ihren Zugriff auf öffentliche Güter. Wir haben ein großes Problem mit Obdachlosigkeit. Warum lösen wir Parkplatzprobleme und weitere Fragen, die nicht unmittelbar mit Menschenleben zu tun haben. Menschen erfrieren und sterben auf der Straße. Warum können wir keine Bedingungen schaffen, um dieses Problem irgendwie zu lösen? Das Problem ist, dass der aktuelle Bischkeker Stadtrat nicht die Interessen der Menschen vertritt.
Was forderst Du? Was ist deine Idee einer neuen Stadtverwaltung?
Stadtverwaltung ist fast immer eine politische Frage. Unsere erste Forderung ist, dass der Bürgermeister gewählt wird. Aktuell werden Bürgermeister einfach ernannt und wieder ihres Amtes enthoben. Sie sind vor allem Handlanger der Regierung. Wir müssen erreichen, dass die Einwohner selbst entscheiden, wer Bürgermeister wird. Das ist der erste Punkt auf der Agenda, dank dem wir auf politischer Ebene die Stadtverwaltung angehen können. Wenn die Einwohner den Bürgermeister wählen würden, dann wäre es schwerer, ihn zu entlassen, und er müsste unabhängiger sein.
Weitere Probleme in der Stadt sind bekannt: der ÖPNV oder das Problem mit dem unkontrollierten Bauwesen. Das betrifft nicht nur die Stadtverwaltung, sondern auch die Generalstaatsanwaltschaft und andere staatliche Organe, die ständig versuchen, sich gegenseitig zu decken, zu schützen. Und ein weiteres allen bekanntes Problem ist der Bischkeker Smog. Auch das ist eine Angelegenheit für den Stadtrat. Was heute passiert ist das Ergebnis von 30 Jahren inkompetenter Stadtverwaltung.
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Dabei werden die Interessen der Einwohner dem Profit von manchen Businessprojekten geopfert. Ökologische Standards werden einfach ignoriert, das führt zu solchen Ergebnissen. Wenn wir jetzt aber keine Lösung für diese Problemkomplexe erreichen, wird sich alles nur noch verschlimmern. Verschiedene Lungenkrankheiten, Herzkrankheiten, Allergien, Krebs, haben alle mit der schädlichen Umwelt zu tun. Wir bekommen eine riesige Anzahl an Umweltflüchtlingen, die einfach wegziehen müssen, weil sie nicht atmen können. Junge Spezialisten, die eigentlich froh wären, hier zu arbeiten, ziehen ins Ausland. Und nicht alle Betroffenen können einfach umziehen. Der Smog ist wie ein unsichtbarer Mörder. Das Schlimmste ist das sogar wir als gesunde Menschen unsere Zukunft riskieren, indem wir uns ständig in dieser Umwelt befinden. Daher muss die Stadtverwaltung das Problem lösen, und es grundlegend lösen.
Warum hast Du dich für die Kommunisten entschieden?
Ja, viele waren komplett überrascht von meiner Entscheidung, für die Kommunistische Partei anzutreten. Aber wie ich schon gesagt habe: Die Stadt wurde von Kommunisten gebaut. Und ich bin der Ansicht, dass ich eben mit dieser Partei bereit bin, an den Wahlen teilzunehmen. Denn mit anderen neoliberalen Parteien könnte ich kaum zusammenarbeiten. Wir haben unterschiedliche Lösungsansätze. Liberale Parteien sagen: Gebt alles der Wirtschaft, möge der freie Markt, die Konkurrenz alle Probleme in der Stadt lösen. Ich bin damit grundsätzlich nicht einverstanden.
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Es braucht eine Regulierung von Seiten der Stadtverwaltung und der Einwohner. Wir werden der Wirtschaft seine Arbeit ermöglichen, schaffen dafür die nötigen Bedingungen im Rahmen des Gesetzes. Aber eben die Einwohner stehen in der Priorität. Die lokalen Behörden wurden von den Einwohnern selbst gewählt. Daher hoffe ich natürlich, dass das einen positiven Einfluss auf das Ergebnis der Wahl haben wird. Ich unterstütze diese Partei in vollem Verständnis, denn ich bin auch Teilnehmerin von KyrgSoc. Das ist eine Marxistische Gruppe, in der wir Fragen rund um Arbeit und Kapital erörtern. Ich beschäftige mich damit also schon lange, und werde es auch weiterhin tun.
Interview: Lilit Dabagian
Video: David Leupold
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