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Daniyar – ein moderner Nomade

Früher Dorfjunge, heute ist Daniyar Touristenguide in Kirgistan. Mit Novastan hat er über seinen Lebensweg, das Reisen und die Hoffnung auf eine gute Zukunft für sein Land gesprochen. Dieses Porträt ist Teil der Serie „Kinder der Unabhängigkeit“, die gemeinsam mit der Fotojournalistin Valérie Baeriswyl entstand.

Kirgistan, Präsident, Guide
Seit Mai 2017 arbeitet Daniyar als Tourenguide der Trekking Union Kirgistan

Früher Dorfjunge, heute ist Daniyar Touristenguide in Kirgistan. Mit Novastan hat er über seinen Lebensweg, das Reisen und die Hoffnung auf eine gute Zukunft für sein Land gesprochen. Dieses Porträt ist Teil der Serie „Kinder der Unabhängigkeit“, die gemeinsam mit der Fotojournalistin Valérie Baeriswyl entstand.

Anders als die deutschen und französischen Touristen, die er um den Songköl-See im Herzen Kirgistans herumführt, hat Daniyar das Pferd, das ihm seine Nachbarn geliehen haben, fest im Zaum. Ein Ruf genügt und das Pferd steht, eine Geste und es läuft weiter. Man spürt den gegenseitigen Respekt zwischen Tier und Mensch. „Ich reite, seit ich sieben bin“, bemerkt Daniyar. Der Dreiundzwanzigjährige galoppiert bis zu seiner Gruppe und führt sie in 3000 Höhenmetern den langen Weg entlang am „Blauen See“ zurück.

Kirgistan im Herzen

Zurück in der Hauptstadt Bischkek, trifft sich Daniyar mit uns in den Räumlichkeiten der Trekking Union Kyrgyzstan, wo er seit Mai 2017 arbeitet. Inmitten einer Menge Skiausrüstung, Kletterseilen und Trekkingstöcken berichtet er, wie er auf die Idee kam, Touristen aus aller Welt durch Kirgistan zu führen.

Daniyar ist in Bischkek geboren. Hier arbeiten sein Vater als Taxifahrer und seine Mutter als Buchhalterin. Ursprünglich kommt die Familie aus Kochkor, einem Dorf im Zentrum Kirgistans, unweit des Songköl-See. Lächelnd erzählt er, wie er zwischen Bischkek und einem Yaylak, einer traditionellen Sommerweide in den Bergen, aufwuchs.

Daniyar spricht mit glänzenden Augen von Kochkor. „Ich komme von dort“, ebenso wie die zwei Generationen vor ihm, berichtet er stolz. Jeden Sommer trifft sich die Familie in der Gegend am Songköl-See, wo sie einen oder zwei Monate lang in Jurten lebt und das Vieh weiden lässt. An einem Wochenende im Oktober begleitet Daniyar Besucher auf einer Tour um den See, der vor allem während der Herbstzeit einer der am meisten besuchten Orte des Landes ist.

Einmal die Fjorde Norwegens sehen

Nach seinem Schulabschluss in Bischkek begann der junge Mann ein Studium im Tourismusbereich und absolvierte währendessen bereits Praktika bei der Trekking Union Kyrgyzstan, wo er später als Freiwilliger arbeitete. „Dadurch kehrte ich jedes Wochenende in die Berge zurück“, erinnert er sich. Seit ihrer Gründung 2002, an der unter anderen ein norwegischer Diplomat beteiligt war, organisiert die Union umweltfreundliche Exkursionen.

Nach Abschluss seines Studiums bekam Daniyar eine der beiden Festanstellungen der Organisation, bei der mehrheitlich freiwillige Tourenguides arbeiten. Unter der Woche kümmert er sich vor allem um die Organisation der Wanderungen und Veranstaltungen an den Wochenenden. Samstag und Sonntag findet man ihn, auch wenn es noch sehr früh ist, stets mit einem Lächeln auf den Lippen vor dem Büro, wo er die Touristen empfängt, die sich dort sammeln, um die herrliche Natur in der Umgebung zu erwandern.

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Daniyar hat oft darüber nachgedacht, andere Länder zu bereisen. Als erstes möchte er Norwegen und die Fjorde sehen. Das skandinavische Land ist „sein Traum“, den er sich „in zwei, höchstens drei Jahren“ unbedingt erfüllt haben will. Doch zunächst möchte er alle Regionen Kirgistans kennenlernen. „Wie soll ich die Liebe zu meinem Land an andere weitergeben, wenn ich es nicht genau kenne?“, fragt er.

Zehn Liter Kumys als Geschenk

Fragt man ihn, woher diese Liebe zu seinem Land kommt, antwortet er sofort: „Besonders und vor allem anderen: Durch die Leute“. Laut Daniyar behandeln die Kirgisen ihre Besucher herzlich und mit Neugier. „Wenn ich allein wandere, fragen sie mich oft, woher ich komme, und laden mich zum Essen ein… ich bin noch nie ohne zehn Liter Kumys (das Nationalgetränk: vergorene Stutenmilch) zurückgekehrt!“, schwärmt er.

Daniyar ist es auch wichtig, die Traditionen seines Lands zu bewahren. Seit Kurzem nimmt er Unterricht im Komuz-Spielen, dem gitarrenähnlichen kirgisischen Musikinstrument, das vor allem in der muslimischen Tradition eine bedeutende Rolle spielt. Denn Muslim sei er, obwohl er auf Wodka nicht ganz verzichten würde.

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Wie so viele zentralasiatische Muslime glaubt der junge Mann zwar an Allah, doch er „praktiziere nicht“. 85 % der Kirgisen sind muslimischen Glaubens, auch wenn ihn nur wenige tatsächlich ausüben. Das rührt vielleicht auch noch von der Sowjetzeit her, als diese Religion verboten war. Daniyar geht nicht in die Moschee und betet auch nicht, doch er wünscht sich von seiner künftigen Frau, dass sie nach der Hochzeit für einige Zeit einen Schleier trägt.

Kirgistan, Präsident, Guide
Daniyar hat bereits fast alle Regionen Kirgistans besucht

Hätte er die Wahl, würde er ein einfaches Nomadenleben in einem Yaylak führen. „Aber so wie die echten Nomaden, die nicht mit der Außenwelt verbunden sind“, betont er. „Doch im 21. Jahrhundert ohne Elektronik zu leben, das wäre schlecht für die Entwicklung des Landes“, fügt er hinzu.

„Ich möchte Präsident Kirgistans werden“

Daniyar glaubt daran, dass der Tourismus einer der Schlüsselfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung Kirgistans ist, ebenso wie die Steigerung des Exporthandels, vor allem landwirtschaftlicher Produkte. Seit einigen Jahren kommt das Land bei Wanderern als Reiseziel immer mehr in Mode. „Wir haben viele schöne Gegenden zu bieten, aber es mangelt noch an qualifizierten Mitarbeitern“, erklärt er. Der junge Mann hat eine Menge Ideen und seine Worte sind voller Hoffnung für sein Land.

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Er ist davon überzeugt, dass es möglich ist, alle fünfeinhalb Millionen Bürger Kirgistans in Lohn und Brot zu bringen. „Eigentlich wäre ich schon gern der Präsident Kirgistans“, scherzt er. „Ich weiß, wie die einfachen Leute leben und es geht mir wirklich schlecht, wenn ich die Arbeit unserer Politiker betrachte. Ich liebe mein Land und ich möchte dafür arbeiten, ohne mich daran zu bereichern“, fügt er ernst hinzu. Präsident vielleicht. Aber wie sieht er die nähere Zukunft? „Vielleicht starte ich mein eigenes Tourismusunternehmen. Warum nicht, solange man noch jung ist?

Clara Marchaud

Aus dem Französischen von Elisabeth Rudolph

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