Das Bauprojekt einer neuen Skistation in der Region Almatys (Kasachstan) führt zu intensiven Debatten zwischen Bürgern und der Verwaltung. Warum aber spricht sich ein Großteil der Bevölkerung gegen den Willen der Regierung aus, den Tourismus im Land zu unterstützen. Um die Lage um den Park zu verstehen, hat Novastan im Mai Dagmar Schreiber getroffen, eine Aktivistin die sich stark gegen das Projekt ausspricht.
Dagmar Schreiber ist eine deutsche Expertin für die Entwicklung des Ökotourismus, die bereits zwei mal von Kasachstan für ihre Engagement im Bereich des Tourismus ausgezeichnet wurde und sich aktiv für die Bewegung „Schützen wir Kök-Schailoo“ einsetzt. Schreiber hat Philosophie in Sankt-Petersburg und Moskau studiert und zuerst als Soziologin gearbeitet. Im Jahr 1994 reiste sie das erste Mal nach Kasachstan, um für ein Projekt der Weltbank zu forschen. Zwischen 2008 und 2014 arbeitete Schreiber mit der kasachischen Tourismusorganisation (KTA) zusammen. In Deutschland arbeitet sie zur Zeit in den Feldern des Tourismus und des Journalismus.
In Schreibers Büchern zeigt sich ihre Faszination für die wilde Schönheit des Landes: die Natur, die Schaf- und Pferdeherden, die die Steppe bevölkern. Sie schreibt und kämpft, um eben diese Freiheit, „den wichtigsten Reichtum des Landes“, zu schützen. Seit ihrem ersten Kasachstanaufenthalt wurden viele Barrieren geschaffen und viele der schönsten Gebiete sind bereits nicht mehr erreichbar. Langsam „verliert das Land seine Identität und seinen Charme.“
Die Regierung der Republik Kasachstan legt ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Tourismus im Land, und führt auch viele Projekte in diesem Bereich durch. Eines davon ist der Bau des „Kök-Schailoo“ Ferienresorts, der jedoch auf den Widerstand der Naturschützer stößt. Könnten Sie und mehr zu diesem Thema verraten?
Die Lage ist relativ kompliziert. Kök-Schailoo ist eine schöne Hochebene in der Nähe der Stadt Almaty, innerhalb des Ile-Alatau Naturparks. Viele Einwohner Almatys gehen dort gerne spazieren, picknicken oder wandern. Es gibt dort keine geteerten Straßen, alle gehen zu Fuß oder fahren mit dem Fahrrad. Daher liegt dort auch fast kein Müll. Die Natur ist noch fast unberührt. In der Nähe befindet sich der Kumbel-Gipfel, etwas weiter eine ökologische Stabilisierungszone des Parks und eine Ruhezone. Die Gegend beherbergt auch Hirsche, Bären und sogar Schneeleoparden. Dieser Ort ist einfach eine Perle. Er muss in dieser Form für alle Menschen, die frische Luft und ruhige, saubere Orte brauchen, erhalten werden. Auch für die Nachwelt.
Mit ungefähr 750 Millionen Dollar öffentlicher Gelder möchte aber die städtische Verwaltung eine Skistation beziehungsweise einen Wohn- und Freizeitkomplex errichten. Die Erschließung des Gebiets geht mit einer weitreichenenden Asphaltierung und Kanalisierung sowie der Einrichtung elektrischer Leitungen und kilometerlanger Seilbahnen einher. Viele der ohnehin seltenen Tien-Schan-Fichtenwälder werden dafür abgeholzt. Und wozu? Man träumt von Millionen Touristen, wovon jeder einzelne pro Tag 390 Dollar umsetzten würde. Das wäre selbstverständlich kein Tourismus für alle und erst recht kein Ökotourismus. Es ist ein Nationalpark! Die Prozedur der Übertragung des entsprechenden Geländes aus dem Nationalpark ist nun fast beendet. Das bedeutet das Ende für diesen Ort. Man wird ihn schlicht und einfach in einen Teil der Stadt verwandeln. Nicht für alle, sondern für die, die es sich leisten können, dort Immobilien zu kaufen. Immobilien sind ja das Herz dieses Projektes. Ich glaube, dass nun jeder Leser verstehen kann, warum wir dagegen sind.
Aus wem besteht die Umweltbewegung „Schützen wir Kök-Schlailoo“, die sich gegen dieses Projekt einsetzt?
Unsere Bewegung besteht aus vielen Bürgern Kasachstans und anderer Länder. Wir werden von großen internationalen Organisationen für Umweltschutz und Ökotourismus unterstützt. 10.000 Personen haben unsere Petition an den Präsidenten Nasarbajew unterschrieben, um das Projekt zu stoppen und den Nationalpark von Ile-Alatau auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes setzten zu lassen. Das wäre viel preisgünstiger als das vorgesehene Projekt. Zumal das restliche Geld für die Förderung eines sozialen Tourismus, der allen dient, verwendet werden könnte. Das würde der weltweiten Tendenz entsprechen und gleichzeitig der öffentlichen Meinung mehr Beachtung schenken. Zusätzlich wäre dies ein unbezahlbarer Schritt für die Entwicklung Almatys als eine vorbildhafte grüne Stadt.
Aber man hört nicht auf uns. Bis jetzt haben wir keine Antwort erhalten. Die zuständigen Behörden treiben das Projekt immer weiter voran und brechen damit eine Reihe von Gesetzen und Konventionen. Doch das ist den Urhebern des Projektes gleich. Es wurde angekündigt, dass im Juni die ersten Bulldozer ihre Arbeit in Kök-Schailoo aufnehmen. Ich weiß nicht, was wir noch tun können. Möge Gott uns helfen! Unterstützen Sie uns!
Warum sind Sie aus Kasachstan gezogen?
Das hat mehrere Gründe. Manche Leute behaupten ja, das läge an dem Einbruch in mein Haus letztes Jahr, bei dem mir alle Datenspeicher gestohlen wurden und somit auch sechs Jahre meiner Arbeit. Aber auch daran, dass mich eine „Nichtregierungsorganisation“ wegen „Gefährdung des sozialen Frieden“ und „Manipulation der Jugend“ angezeigt hat. Diese Zwischenfälle haben mich in der Tat sehr berührt und im ersten Moment dachte ich auch daran, sofort wegzuziehen. Viele meiner Bekannten haben mir auch dazu geraten und meinten, dass all dies zu gefährlich sei. Wäre ich aber nach diesen Ereignissen gegangen, so hätte ich schon im August oder September 2013 das Land verlassen. Aber wie Sie sehen, ist mein Gewissen rein.
Ich habe weder soziale Konflikte angeheizt, noch die Jugend manipuliert. Ich führte Studierende, deren ausdrücklicher Wille es war, nach Kök-Schailoo, um ihnen den einzigartigen Charakter dieses Ortes zu näher zu bringen sowie meinen Schmerz und meine Sorgen über das Bauprojekt eines Wohn- und Freiheitskomplexes zu vermitteln. Auch habe ich nie ein Geheimnisse daraus gemacht, Teil der Widerstandsbewegung zu sein, aber bei strikter Einhaltung der Gesetze, wie man auch auf unserer Seite nachlesen kann.
Ich habe mich also entschieden, bis zum Ende meines Vertrages mit der Tourismusorganisation Kasachstans im Januar 2014 zu bleiben. Das Land habe ich am letzen Gültigkeitstag meines Visums verlassen. Danach bin ich im April zurückgekehrt, aber nur für einen Monat mit einem Touristenvisum, um eine Gruppe deutscher Touristen auf einem botanischen Rundgang zu begleiten. Momentan erlaubt es mir die Visaregelung Kasachstans nicht, länger als 120 Tage in einem Jahr im Land zu bleiben. Ich werde also immer wieder lediglich „vorbeischauen“. Aber ich werde immer wieder zurückkehren. Kasachstan ist meine zweite Heimat. Es ist mir unmöglich ohne dieses Land und ohne meine kasachischen Freunde zu leben.
Was ist ihre Expertenmeinung zu der aktuellen Lage des Tourismus in Kasachstan und im allgemeinen in Zentralasien?
Usbekistan beansprucht ohne Zweifel den regionalen Spitzenplatz in Sachen Tourismus. Der Staat hat alle Bedingungen für die Entwicklung des kulturellen und historischen Tourismus geschaffen. Der Preis für Ökotourismus geht hingegen an Kirgisistan. Das Land hat mit vielen ausländischen Partnern zusammengearbeitet und ein breites Netzwerk ländlicher Herbergen aufgebaut, Karten erstellt und Fremdenführer ausgebildet. Zusätzlich hat der kirgisische Staat durch die Abschaffung der Visumspflicht für Touristen aus reicheren Ländern einen günstigen Rahmen geschaffen.
In Kasachstan ist leider weder der eine, noch der andere Tourismus in der Entwicklung. Die Strategien für Tourismusförderung bilden kein schlüssiges Gesamtkonzept. Seit über 10 Jahren gibt es viele Diskussionen über die Notwendigkeit der Entwicklung des Tourismus und den Abbau der Hürden, die diesem Ziel entgegenstehen. Millionen Seiten wurden bereits zu dem Thema geschrieben. Die Anzahl der Touristen hat aber nicht merkbar zugenommen. Im Gegenteil: die Anzahl der ausländischen Touristen hat sogar abgenommen. Für mich ist die Strategie nicht ganz klar. Manchmal hat man das Gefühl, das der Immobiliensektor mit dem Tourismussektor verschmolzen wird. Es werden Bauprojekte für Immobilien entwickelt, meisten aber nur für die Elite.
Man kann einfach verstehen warum. Immobilien fordern eine minimale Investition bei einer maximalen Rentabilität. Die Entwicklung des Tourismus ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Es erfordert eine minutiöse Arbeit, setzt Kenntnisse in Geographie, Ökologie, Märkten und Investitionen voraus, wobei viel Kreativität und Liebe benötigt wird. Es braucht Kontinuität, nicht was mit dem Sprichwort „jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf jagen“ beschrieben wird. Am 13. Mai wurde ein neues Konzept für die touristische Entwicklung Kasachstans angenommen, wodurch sich die Lage vielleicht verbessern wird. Die Resultate werden sich nicht von heute auf morgen zeigen und auch nicht unbedingt in Form von finanziellen Gewinnen. Ein Beruf im Bereich des Tourismus ist nur etwas für die wahren Kenner und die Leidenschaftlichen. In Kasachstan kenne ich viele gewissenhafte und erfahrene Spezialisten, die der Entwicklung des Tourismus einen starken Impuls geben könnten. Aber sie besetzen nicht die Posten, auf denen man die Entscheidungen im Bereich des Tourismus trifft.
Was den Ökotourismus in Kasachstan angeht, gibt es ein enormes Potential. Aber es wird nicht genutzt. Im Gegenteil: es wird sogar teilweise zerstört. Ich sehe eine starke Tendenz darin, dass man die schönsten Gebiete in private und öffentliche Freizeitparks verwandelt, die Freizeitparks anschließend zerstört um private Häuser und große Hotels zu erbauen, wie das bei den Nationalparks von Burabaj, Sairam-Ugam und Ile-Alatau der Fall ist. Ökotourismus ist nicht nur Tourismus in der Natur und er besteht auch nicht darin, dass man aus der Natur maximale Gewinne zieht. Ökotourismus ist Tourismus, der der Natur nicht schadet und das Wohlempfinden der lokalen Bevölkerung verbessert. Dieser Tourismus überlebt in Kasachstan dank einer Handvoll leidenschaftlicher Menschen. Es gibt ihn, und ich hoffe wirklich, dass er eine Zukunft hat.
Was sollte man laut Ihrer Meinung tun?
Wenn ich meine bittere Erfahrungen der letzten Jahre zusammenfasse, kommt mir ein russischen Sprichwort in den Kopf: „Man muss die Spreu vom Weizen trennen.“ (Отделить мух от котлет). Lasst die Möglichkeit offen den Tourismus ohne den Eingriff der Eliten und ohne übertriebene Bürokratie zu entwickeln! Der Markt wird alles von selber regeln. Das einzig Notwendige ist eine gute und funktionierende Gesetzgebung sowie ein sozialer, ökologischer und finanzieller Rahmen. Dieser Rahmen müsste aber vom Staat geschaffen werden.
Wenn ich Tourismusministerin wäre, würde ich nur vier Verordnungen erlassen. Als erstes würde ich die Visumspflicht für ausländische Touristen abschaffen und nur eine Anmeldung fordern, wie es beispielsweise in Kirgistan der Fall ist. Danach würde ich Anreize für Reiseagenturen schaffen, die sich für sozialen Tourismus einsetzen. Drittens würde ich Firmen und kleinen Betrieben im touristischen Bereich Kredite ohne Zinsen oder sogar Subventionen anbieten, wenn sie über fünf Jahre Arbeitsstellen schaffen. Zuletzt würde ich schlicht und einfach die Bebauung geschützter Gebiete verbieten.
Mit Dagmar Schreiber sprach Aisaule Akkozhina
Autorin für Novastan.org
Aus dem Französischen übersetzt von
Florian Coppenrath und Antje Lehmann