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Kirgistan und Kasachstan nehmen Lungenentzündungen in Covid-Statistiken auf

In Kirgistan und Kasachstan folgte ein starker Anstieg  von Lungenentzündung auf die zweite Covid-19-Welle. Vor diesem Hintergrund haben die beiden Länder beschlossen, die Statistiken zusammenzulegen. Kirgistan veröffentlicht bereits seit dem 17. Juli Fallzahlen nach dem neuen Protokoll, Kasachstan hat sich hingegen für ein schrittweises Vorgehen entschieden und sollte ab dem 1. August folgen.

Coronavirus
Der Coronavirus SARS-CoV-2 unter dem Mikroskop. (Illustration)

In Kirgistan und Kasachstan folgte ein starker Anstieg  von Lungenentzündung auf die zweite Covid-19-Welle. Vor diesem Hintergrund haben die beiden Länder beschlossen, die Statistiken zusammenzulegen. Kirgistan veröffentlicht bereits seit dem 17. Juli Fallzahlen nach dem neuen Protokoll, Kasachstan hat sich hingegen für ein schrittweises Vorgehen entschieden und sollte ab dem 1. August folgen.

Seit Mitte Juni flammt in Zentralasien die Covid-19-Epidemie wieder auf, deren Ausbreitung sich im Juli weiter beschleunigt hat. In Kasachstan und in Kirgistan haben die Behörden Mühe, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Beide Länder erlebten zudem einen starken Anstieg von Lungenentzündungen, bei denen die Patienten negativ auf das Coronavirus getestet werden. Dies hatte die chinesische Botschaft in Kasachstan gar dazu veranlasst, über die Existenz einer neuen Epidemie in dem Land zu spekulieren, die tödlicher als Covid-19 sei.

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Wie die Deutsche Welle, berichtete, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) daraufhin, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um Covid-19 Fälle handelt. Angesichts dessen und der zunehmenden Kritik an den Zahlen entschlossen sich Kirgistan und Kasachstan mit einem Tag unterschied, die Fälle von Lungenentzündungen mit in ihre jeweiligen Covid-Statistiken aufzunehmen, um sich ein genaueres Bild vom Ausmaß der Epidemie zu machen.

In Kirgistan verdoppeln sich die Zahlen

Auf einer Pressekonferenz am 16. Juli erklärte die stellvertretende Premierministerin Kirgistans Aida Ismailowa die Zusammenlegung der Zahlen: „Statistische Fälle von ambulant erworbener Pneumonie werden als Fälle von Covid-19 betrachtet“. Ismailowa erklärte zudem, dass das kirgisische Gesundheitsministerium die WHO-Klassifikationscodes für Covid-19 Infektionen übernehmen werde: U07.1 für im Labor bestätigte Fälle und U07.2 für klinische Fälle.

Am 20. Juli erläuterte die stellvertretende Premierministerin weiter die Gründe für diese Entscheidung. Nach Angaben der unabhängigen kirgisischen Onlinezeitung Kloop.kg möchte das Gesundheitsministerium dadurch über Zahlen verfügen, die das tatsächliche Ausmaß der Epidemie widerspiegeln, um objektive Prognosen über ihre Entwicklung treffen zu können und seine Strategie dementsprechend anzupassen.

Am Morgen des 17. Juli verzeichnete die neue offizielle Statistik somit 23.783 Covid-19 Fälle, fast doppelt so viele wie noch am Vortag. Bis zum 23. Juli hat die Zahl bereits die Marke der 30.000 überschritten, bei 1169 Todesfällen. Damit ist Kirgistan nach offiziellen Zahlen nach Kasachstan das am stärksten von der Epidemie betroffene Land in Zentralasien und das Land mit den meisten Todesfällen –  etwa doppelt so viele wie in Kasachstan.

Das Gesundheitsministerium in Kasachstan lässt sich Zeit

Am 17. Juli, dem Tag nach der kirgisischen Ankündigung, erklärte Kasachstans Gesundheitsminister Alekseı Tsoı selbst die Absicht, die Statistiken neu zu gruppieren, „um eine maximale Transparenz der Daten zu gewährleisten“, wie Tengrinews weitergab. Der Minister erklärte, dass die Entscheidung auf der Grundlage von Konsultationen mit dem WHO-Regionalbüro für Europa getroffen wurde. Der vollständige Übergang zur neuen Statistik, bei der auch die Codes U07.1 und U07.2 verwendet werden, soll demnach ab dem 1. August erfolgen.

Es ist notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um die Kompetenz des medizinischen Personals in Bezug auf die Kodierung von Covid-19, die Einrichtung von Informationssystemen und die Lösung anderer technischer Probleme zu verbessern“, zitiert die kasachstanischen Website Informburo Tsoı. Laut einem weiteren Bericht der Seite erklärte dieser einige Tage später, dass nur neue Fälle, die ab dem 1. August identifiziert werden, nach neuem System berechnet werden sollen. Die seit Jahresbeginn registrierten 234.000 Fälle von Lungenentzündung werden demnach nicht in die Covid-Statistik aufgenommen.

Kurz nach der Ankündigung, am 20. Juli, berichtete Radio Azattyq, der kasachstanische Zweig von Radio Free Europe, über den Rücktritt von Oljas Qudaıbergenov von seinem Posten als Wirtschaftsberater des Präsidenten. Qudaıbergenov war für seine kritischen Äußerungen über den Umgang der Regierung mit der Epidemie bekannt. In einem Facebook-Post hatte er die Regierung aufgefordert, die Statistiken zusammenzufassen, aber auch die versprochene Entschädigung in Höhe von 10 Millionen Tenge (rund 21.100 Euro) an die Familien der an den Folgen der Epidemie verstorbenen Ärzte zu zahlen, deren Zahl durch eine zusammengelegte Statistik deutlich zunehmen würde.

Die Gesundheitslage in Kasachstan bleibt kompliziert, aber der Direktor des WHO-Regionalbüros für Europa begrüßte auf Twitter die Bemühungen der Regierung. Wie Tengrinews berichtete, stellte die Organisation auch eine Verbesserung der epidemiologischen Lage im Land fest, rief aber die Behörden auf, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen. Laut Radio Azattyq wollte der Gesundheitsminister jedoch darauf hinweisen, dass die Änderung der Fallstatistik zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Position Kasachstans in der Weltrangliste für das Coronavirus führen wird. Bis die neuen Statistiken vorliegen, meldet das kasachstanische Gesundheitsministerium zurzeit 76.799 laborbestätigte Fälle von Covid-19 mit 585 Todesfällen.

Tadschikistan und Turkmenistan leugnen

Während Kirgistan und Kasachstan sich entschlossen haben, realitätsnähere Zahlen vorzulegen, werden die Statistiken in anderen Ländern der Region genutzt, um das Ausmaß des Problems zu verschleiern. Turkmenistan rühmte sich nach dem Besuch eines Expertenteams der WHO, dass es auf seinem Territorium nach wie keine Fälle von Covid-19 gebe. Auf einer Konferenz am 15. Juli kam die Leiterin der Mission, Catherine Smallwood, zu dem Schluss, dass im Land keine Fälle von Infektionen mit dem Coronavirus verzeichnet worden seien. Sie äußerte sich jedoch besorgt über zunehmende Fälle von Lungenentzündung und akuten Atemwegserkrankungen.

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Tadschikistan hat lange Zeit die Unterscheidung zwischen Lungenentzündung und Covid-19 benutzt, um das Vorhandensein des Virus auf seinem Territorium zu leugnen. Die Regierung meldete zwar am 30. April erste Fälle, dennoch vermuten Beobachter, dass die offiziellen Statistiken nicht die Realität widerspiegeln. Wie Radio Ozodi, der tadschikische Zweig von Radio Free Europe, Ende Juni beschrieb, ergibt eine von Aktivisten regelmäßig aktualisierte Liste der Todesopfer eine achtmal höhere Zahl als die von der Regierung vorgelegte Statistik.

Einige der Familien, die von diesen Journalisten befragt wurden, sagten, dass die Krankenhäuser den Tod ihrer Angehörigen, die alle Anzeichen von Covid-19 aufwiesen, allein auf eine Lungenentzündung zurückführten und von medizinischem Personal in Schutzanzügen begraben wurden.

Pia de Gouvello
Journalistin für Novastan in Bischkek

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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