Temirtau, 180 Kilometer südlich von der kasachischen Hauptstadt Astana, ist vor allem für eines bekannt: die Fabrik „Arselor Mittal Temirtau“. Was bewegt die Bewohner einer Stadt, die von ihren Hochöfen abhängt? Tengrinews.kz porträtiert die Stadt und ihre Bewohner in einer dreiteiligen Fotoreportage, die Novastan mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzt.
Den dritten Teil der Reportage über Temirtau widmen die Korrespondenten von Tengrinews.kz Renat Taschkinbaew und Turar Kasangapow den kulinarischen Besonderheiten dieser Monostadt – und erfahren zudem von der glücklichen Liebesgeschichte zweier Mitarbeiter des Metallurgiekombinats: Des Inders Dschajanta und der Kasachin Anastasija.
Hier geht’s zu Teil 1 und Teil 2 der Serie.
Seit das Metallurgiekombinat Temirtau zu einer Korporation gehört, die von einem Inder geleitet wird, ist es für die Einwohner offensichtlich schon Alltag geworden, in der Stadt Spezialisten aus Indien zu sehen. Es gibt sogar ein Hotel, welches vollkommen auf die ausländischen Gäste ausgerichtet ist. Das zeigt sich vor allem auf der Speisekarte: Das Hotel besitzt ein eigenes Menü mit indischer Küche. Die vielfältig gewürzten Gerichte, die von speziell angelernten örtlichen Köchen zubereitet werden, erfreuen sich großer Beliebtheit bei den Ankömmlingen aus Indien, besonders bei denen, die außer ihrer eigenen Küche quasi nichts anderes essen können.
In Temirtau ist Jahrmarkt. Die Bewohner werden eingeladen, Wurst, Trockenobst, Fisch und Honig zu kaufen.
Die Städter kaufen nichts sofort. Zuerst wird das Sortiment gewissenhaft studiert und im Wert geschätzt.
Die Verkäufer preisen die Ware an. Leute sehen sich mit Interesse einen riesigen Fisch an. „Das ist ein Thunfisch“, erklären die Händler.
Zur selben Zeit unweit des Hauptbetriebs von Temirtau – des Metallurgiekombinats – werden im Hotel, in dem häufig die ausländischen Gäste absteigen, exotische Gerichte zubereitet.
In der Hotelküche liegt der reiche Geruch der Gewürze in der Luft.
Die Köchin Elena Petrusewa hat die Bestellung eines traditionellen indischen Mittagessens angenommen.
Die Frau ist auf die indische Küche spezialisiert. Ihre Fertigkeiten hat sie bei einem indischen Chefkoch erlernt.
Dal – das ist ein Mix aus gebratenem Gemüse, Curry-Huhn und Linsensauce – wird hier jeden Tag zubereitet. Dieses Gericht ist unter den Indern sehr gefragt, die im Kombinat auf Honorarbasis arbeiten (und die, wie man uns bei Arselor sagt, im Vergleich zur Gesamtzahl der Mitarbeiter nicht viele sind).
Meistens können sich die hier ankommenden Inder nicht sofort an die örtliche Küche gewöhnen, deshalb bevorzugen sie die ihnen bekannten Gerichte.
Um die Zubereitung des indischen Menüs zu erlernen, brauchte Elena einen Monat. Die Bezeichnung der Gerichte hingegen stellte eine größere Herausforderung dar – um sie sich zu merken, brauchte es mehr Zeit. Elena bereitet die von den Bewohnern des Hotels geliebten Süßwaren zu – Chapatibrot und Paratha.
„Unter den Indern, die zu uns kommen, gibt es Vegetarianer und Fleischesser. Im Allgemeinen bevorzugen die Fleischesser Hühnchen“, sagt Elena. Sie gibt zu, auch selbst einige indischen Gerichte lieben gelernt zu haben, nur ihre Familie bevorzugt nach wie vor die gewohnte kasachische Küche.
Im Übrigen hat das großzügig gewürzte Essen auch bei den Einheimischen Temirtaus Anklang gefunden. Die hiesigen Köche haben auch Stammkunden aus der Stadt.
Auf die Frage, ob die Indern denn viel äßen, antwortet Elena: „Wenn man sich zum Vergleich ansieht, wie unsere Männer essen, dann essen die Inder natürlich wenig“.
Ein Großteil der Lebensmittel für die Gerichte wird aus Indien importiert, darunter Gewürze, Öl, Mehl, Reis und Linsen.
Ein besonderes Augenmerk wird auf den Reis gelegt. Die Inder bevorzugen den ihnen bekannten Reis. Wie Elena betont, ist für sie der Reis, was für Kasachstaner das Brot ist.
„Für die Inder hier ist es ungewohnt, dass es bei uns nicht so eine große Auswahl an Gemüse gibt, wie bei ihnen. Sie vermissen das, vor allem die Vegetarier„, sagt die Köchin.
Der letzte Feinstrich, dann kann das Essen auf dem Teller angerichtet werden.
Während der Arbeit erzählt uns Elena von den geschmacklichen Vorlieben einiger Inder. „Einmal sind Jugendliche aus Indien zu uns gekommen. Es war sehr interessant, zu sehen, wie sie Wassermelone essen: Sie würzten sie mit Paprika und Pfeffer. Für uns ist das eher ungewöhnlich„.
Die Bestellung ist fertig und kann ins Café gebracht werden.
Das Hotelpersonal ist an ausländische Gäste gewöhnt. „Es kommen ganz verschiedene Gäste. Manche sind sehr nett, nicht wählerisch, manche sehr ernst. Aber im allgemeinen sind alle freundlich„, sagt Walerija Brodskaja (auf dem Foto rechts).
Die Hotelgäste essen die angebotenen Speisen mit großem Genuss.
Das ist Nurmalendu Biswas, ein Mitarbeiter bei ArselorMittal Temirtau. Er kam vor einem Monat nach Kasachstan. Es gefällt ihm alles gut, besonders, dass das Essen wie zu Hause ist.
Wie die Einheimischen erzählen, kommen jedes Jahr nicht nur Mitarbeiter, sondern auch indische Metallurgiestudenten für ein Praktikum nach Temirtau. Sie laufen durch die Stadt, besuchen das Zentrum für Kinder und Jugendliche des Kombinats und studieren sogar Lieder ein.
Im Übrigen haben einige Inder hier auch nichts gegen die örtliche Küche.
So konnte uns zum Beispiel Mintu Tschetterdschi ein gutes Café empfehlen, wo ausgezeichnetes kasachisches Essen serviert wird. Er fügt jedoch hinzu, dass die Auswahl im benachbarten Karaganda um einiges größer ist.
„Das hier ist ein tolles Land und sehr freundliche Menschen„, sagt Mintu.
Im Durchschnitt beträgt eine Rechnung für zwei hier übrigens 3500 Tenge (ca. 10 Euro, Anm. d. Red.). Zum Vergleich: In Astana (der Hauptstadt Kasachstans, Anm. d. Red.) kosten die selben Gerichte in einem indischen Cafè zweimal so viel.
Die enge Beziehung zu Indien wird nicht nur aus dem Menü ersichtlich, sondern auch in der Einrichtung.
Solche Bilder schmücken die Wände des Hotels. Offensichtlich wurde das gemacht, damit die Inder, die für einen langen Zeitraum hierher kommen, sich nicht allzu fremd fühlen.
„Man muss sehr aufmerksam den Gästen gegenüber sein. Wir bemühen uns, alle unsere Kunden zufrieden zu stellen„, sagt die Hotelmitarbeiterin Alena Wantschurina.
Uns interessiert: Gibt es Inder, die beschlossen haben, ihr Schicksal mit Kasachstan zu verknüpfen, und hier eine Familie gegründet haben? Und tatsächlich, wir finden ein solches Paar.
Dschajanta und Anastasija arbeiten im Metallurgiekombinat und sind schon 14 Jahre verheiratet. Wie Anastasija erzählt, gab es von außen verschiedene Reaktionen, als sie mit ihrem Partner über eine Hochzeit nachdachte. „Mein Mann hat das damals philosophisch betrachtet. Er sagte, dass die Zeit es zeigen wird. Und so ist es auch gekommen: Die Zeit hat alles an seinen Platz gebracht„, sagt Anastasija.
Anastasija und Dschajanta haben schon zwei Kinder. Sie beschlossen, den Mädchen universelle Vornamen zu geben: Sonja (zu Ehren der indischen Politikerin Sonia Ghandi) und Nelli.
Auf die Frage, was ihm in Kasachstan am meisten gefalle, antwortet Dschajanta, Temirtau mit Indien vergleichend – die Stille, das ruhige Leben, dass auf der Straße nicht so viele Menschen und Autos sind. Und auf die Frage, was er hier am meisten vermisst, antwortet er kurz: die Mutter. Im Übrigen, sagt Anastasija, hat sich ihr Ehemann bereits vollkommen an das Leben in Kasachstan angepasst und isst sogar Fleisch. Dschajanta hat übrigens einen berühmten Nachnamen: Tschakraborti (wie ein berühmter indischer Filmschauspieler, Anm. d. Red.).
In der Heimat Dschajantas, in Kalkutta, steigen die Temperaturen in diesen Tagen bis auf +30. Währenddessen herrscht in Temirtau weiter der Winter.
Die Redaktion von Tengrinews.kz
Aus dem Russischen übersetzt von Katharina Kluge