In Tadschikistan fördern Frauen in den sozialen Netzwerken aktiv einen neuen Trend: den Hashtag „Ya Tadschichka“ (russ. „Ich bin Tadschikin“), mit dem sie die Stereotypen, die sich in der tadschikischen Gesellschaft festgesetzt haben, wirksam in Frage stellen. Dies tun sie durch das Zeigen schöner und unterschiedlicher Bilder in Nationaltracht und Schmuck.
„Ich bin Tadschikin und habe einen unzerbrechlichen Geist, der mir hilft, alle Schwierigkeiten des Lebens zu überwinden“, sagt Madina Nigmatowa, die sich dem Trend angeschlossen hat. Die Social-Media-Management-Spezialistin und Trainerin erklärt, dass das Ziel der Challange sei, zu zeigen, dass es bei einer tadschikischen Frau nicht nur um Küche, Putzen und Hausarbeit gehe. Entgegen etablierten Stereotypen kann und soll sie sichtbar sein – sich durch Kreativität oder eine Karriere verwirklichen. Bei diesem Trend gehe es darum, das Bild der tadschikischen Frau zu erweitern und über die Grenzen aufgezwungener Rollen hinauszugehen.
„Wir kennen unsere Traditionen, wir ehren sie und geben sie von Generation zu Generation weiter, aber wir wollen mit der Zeit gehen und uns weiterbilden. Die moderne tadschikische Frau hat gelernt, viele Rollen zu vereinen: Sie nimmt an Wettbewerben teil, macht Karriere und führt gleichzeitig ein geregeltes Leben und kümmert sich um ihre Kinder“, sagt sie.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!In ihrer Version von „Ya Tadschichka“ lenkt Madina die Aufmerksamkeit auf das Stereotyp der erfolgreichen Frau, die in der tadschikischen Gesellschaft oft als geschiedene Frau gilt. Doch wie Madina sagt, können moderne Frauen Familienleben und Selbstverwirklichung problemlos vereinbaren: Manche backen, manche haben einen Online-Shop, manche sind Visagistinnen.
„Als das Video in verschiedenen Gruppen geteilt wurde, gab es Kommentare, dass es sich um eine tadschikische Frau handeln würde, wenn man zeigen würde, wie sie den Hof fegt, kocht und Kühe melkt. Aber ich möchte sagen, dass wir uns von diesen Stereotypen lösen müssen. Eine tadschikische Frau, eine Kelinka [Ehefrau im ersten Jahr, die traditionell den Haushalt von Ehemann und Schwiegereltern führen muss, Anm. d. Ü.] ist nicht nur Dienst am Nächsten, sie ist eine Person. Frauen versuchen, sich zu entwickeln und Mutterschaft, Alltag und Karriere zu vereinbaren. Ich bewundere unsere Frauen“, so Madina.
Viel Hass, aber auch Unterstützung
Der Trend begann im vergangenen Jahr, als eine Reihe tadschikischer Bloggerinnen ein gemeinsames Video veröffentlichten, in dem sie darüber sprachen, dass sie trotz ihrer tadschikischen Herkunft nicht daran gehindert seien, „Karriere zu machen“, „getrennt von ihren Eltern zu leben“, „sich so zu kleiden, wie sie möchten“, „zu bloggen“, „mit 32 noch nicht verheiratet zu sein“, „Geschäfte zu machen“ und so weiter.
Dieses Video löste eine Welle des Hasses aus, unter anderem weil sich die jungen Frauen als Tadschikinnen positionieren, jedoch im Video auf Russisch sprechen. Aber der Trend hat andere Mädchen inspiriert. Es scheint, als hätten Frauen es satt, den Erwartungen anderer gerecht zu werden. Frauen sprechen heute offen über Dinge, für die sie sich früher geschämt haben.
„Ich bin Tadschikin, 26 Jahre alt, und zögere immer noch, zu heiraten, weil ich Angst vor radikalen Veränderungen in meinem Leben habe. Die Institution der Ehe macht mir Angst und ich sehe nur wenige wirklich gute Beispiele“, schreibt Lejla in ihrem Blog.
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„Ich bin Tadschikin. Ich habe mit 37 geheiratet. Meine einzige Tochter ist jetzt 4,5 Jahre alt. Ich bin 43. Ich habe in Süditalien gelebt und studiert und lebe seit 18 Jahren in Russland. Bevor ich Augenbrauenkünstlerin wurde, habe ich 12 Jahre als Stylistin, Einkäuferin und Leiterin der Merchandising-Abteilung in großen Moskauer Unternehmen gearbeitet“, sagt Sarina.
„Ich bin Tadschikin, habe eine russische Schule in Tadschikistan absolviert und nicht sofort geheiratet. Ich bin Tadschikin aus einer traditionellen Familie, und nein, sie haben mich nicht gescholten, wir haben uns vor meiner Abreise nicht gestritten, und ich sage sogar, sie haben mich dabei unterstützt“, sagt Omina.
„Ich bin Tadschikin und organisiere keine aufwendige Hochzeit auf Kredit, nur damit andere mich nicht bloßstellen. Ich bin Tadschikin und gebe keine ungefragten Ratschläge wie: Ein Kind reicht nicht für eine Familie, du brauchst ein weiteres. Willst du nicht? Sonst verlässt dich dein Mann“, sagt Schachsoda.
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„Ich bin Tadschikin und habe mir bewusst einen kasachischen Ehemann ausgesucht, weil ich das wollte. Wenn ich etwas will, kann ich es mir nicht versagen“, sagt Bargigul.
Solche Beiträge werden Tausende Male aufgerufen und sammeln Hunderte Kommentare. Die Kommentare von Frauen sind häufiger positiv und inspirierend, was man von den Kommentaren von Männern nicht behaupten kann. „Deine Augen sehen nicht aus wie die einer tadschikischen Frau“, „Du bringst Schande über die Nation“, „Indem du einen Ausländer heiratest, zerstörst du den tadschikischen Genpool“ und ähnliche Aussagen findet man unter fast jedem dieser Videos.
Wir sind verschieden, aber wir sind alle Tadschikinnen
Auch der Trend „duchtari todschik“ (tadschikisch für „tadschikisches Mädchen“) wird bei jungen, tadschikischen Frauen populär. In den Videos erstellen die Mädchen Bilder von Bewohnerinnen verschiedener Regionen des Landes und verwischen so die Grenzen des Lokalen – ein Phänomen, das in der tadschikischen Gesellschaft noch immer deutlich spürbar ist.
„Durchtari todschik“ vereint junge Frauen aus verschiedenen Regionen und konzentriert sich auf die Farbe und Identität der Regionen und nicht auf die Trennung. Das Lied des tadschikischen Sängers Nobowar Tschanorow, das von jungen Frauen aus verschiedenen Regionen erzählt, war gut für diesen Flashmob geeignet.
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„Ich wusste nicht, dass es in unserer Heimat so viele Arten nationaler Kleidung gibt“, sagt Bachora in einem ihrer Videos. – „Es ist sehr schön, weil es die Freundschaft zwischen allen Regionen Tadschikistans stärkt“, antworten ihr die Benutzer:innen.
Auf Wunsch ihrer Abonnent:innen zeigt zum Beispiel die Visagistin Farangis Bilder aus verschiedenen Regionen des Landes und gibt kurze Informationen dazu auf Tadschikisch, Russisch und Englisch.
Auch eine junge tadschikische Schauspielerin, die in China studiert, hat sich diesem Trend angeschlossen und ihn aus ihrer eigenen Perspektive dargestellt, wobei sie ihre Zugehörigkeit zu irgendeiner Region Tadschikistans komplett leugnet.
Eine Auswahl an Videos findet ihr im Originalartikel.
Your.tj
Aus dem Russischen (und gekürzt) von Robin Roth
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