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Sexarbeit in Kasachstan: Zwischen rechtlicher Unklarheit und gesellschaftlicher Stigmatisierung

Nach Angaben des kasachstanischen Gesundheitsministeriums wurde die Zahl der Sexarbeiter:innen im Land im Jahr 2021 auf 20.250 Personen geschätzt. Die Meinungen über dieses Gewerbe gehen in der Gesellschaft weit auseinander. Einige sind der Meinung, dass Sexarbeit durch das Arbeitsgesetz geregelt und normalisiert werden sollte. Andere sehen darin eine Ausbeutung von Frauen, die es zu verhindern gilt.

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Redigiert von: Robin Roth

Obwohl formell legal wird Sexarbeit in Kasachstan kriminalisiert (Symbolbild), Photo: Seedfeeder / Wikimedia Commons

Nach Angaben des kasachstanischen Gesundheitsministeriums wurde die Zahl der Sexarbeiter:innen im Land im Jahr 2021 auf 20.250 Personen geschätzt. Die Meinungen über dieses Gewerbe gehen in der Gesellschaft weit auseinander. Einige sind der Meinung, dass Sexarbeit durch das Arbeitsgesetz geregelt und normalisiert werden sollte. Andere sehen darin eine Ausbeutung von Frauen, die es zu verhindern gilt.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind weltweit unterschiedlich. So ist Sexarbeit in einigen Ländern vollständig legalisiert (Deutschland, Ungarn), in anderen ist sie vollständig kriminalisiert (islamische Länder). Darüber hinaus gibt es das „schwedische Modell“, bei dem der „Kauf“ von Dienstleistungen strafbar, der „Verkauf“ jedoch legal ist (Schweden, Norwegen). Aber wie ist Sexarbeit in Kasachstan geregelt?

Die Situation der Sexarbeitenden

Sexarbeit ist in Kasachstan nicht formell illegal. Aber obwohl sie nicht verboten ist, sind Sexarbeitende durch die Gesetzgebung dennoch nicht geschützt. Und das ist das Problem.

„Wenn man den Strafverfolgungsbehörden sagt, dass Sexarbeitende nichts Kriminelles tun, ist das für sie eine Offenbarung. Sie denken, dass Sexarbeit an sich illegal ist, und überwachen deshalb Orte, an denen vor allem junge Frauen sexuelle Dienstleistungen anbieten. Die Strafverfolgungsbehörden glauben, dass sie mit solchen Methoden ein schreckliches Verbrechen verhindern“, sagt Tatiana Chernobil, Menschenrechtsaktivistin und unabhängige Menschenrechtsberaterin.

Die Expertin stellt fest, dass sich die Ordnungskräfte oft wie eine Sittenpolizei verhalten, obwohl sie gesetzlich nicht verpflichtet sind, Sexarbeitende zu verfolgen. Sie ist der Meinung, dass die Gesetzgebung nicht ausreicht, um die Polizeibeamten selbst für ihre Behandlung von Sexarbeitenden zur Verantwortung zu ziehen. Letztere fühlen sich nicht geschützt, gerade weil sie schlecht behandelt werden. Deshalb bestechen sie Polizeibeamte, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie glauben, dass sie als Sexarbeitende für alles belangt werden können, und nicht allen ist klar, dass sie nichts Illegales tun.

Am häufigsten haben sich Transgender-Frauen an mich gewandt, die an dem Ort, an dem sie ihre Dienste anboten, auf sehr hässliche Weise verhaftet wurden. Sie wurden auf die Wache gebracht und beschimpft. In den meisten Fällen machten die Polizist:innen Bemerkungen über ihre Transsexualität und nicht über das Anbieten sexueller Dienstleistungen. Sie diskriminierten eine Person aufgrund ihrer Geschlechtsidentität.

Die Polizeibeamten sind rechtlich nicht verpflichtet, diese Sexarbeitenden zu verfolgen, aber sie tun es, vielleicht aufgrund ihrer moralischen Überzeugungen. Diese Fälle, in denen Sexarbeitende selbst gegen polizeiliches Fehlverhalten vorgehen, sind sehr selten. Man muss schon sehr mutig sein, um es zu wagen“, meint die Menschenrechtlerin.

Die Praxis der Strafverfolgung

In Kasachstan ist die Sexarbeit entkriminalisiert und es gibt keine Artikel, die sie einschränken. Es gibt jedoch einen Artikel, der das „Anbieten sexueller Dienstleistungen an öffentlichen Orten“ unter Strafe stellt. „Wenn eine Sexarbeiterin zum Beispiel friedlich auf der Straße steht und niemanden anwirbt, hat dieser Artikel keine Auswirkungen. Wenn die Polizei jedoch Razzien in verschiedenen Badehäusern, Hotels usw. durchführt (Orte, an denen sexuelle Dienstleistungen angeboten werden können), werden Sexarbeitende nach diesem Artikel bestraft, obwohl es sich um geschlossene öffentliche Orte handelt. Es sind die Kunden, die zu ihnen kommen, um sexuelle Dienstleistungen zu erhalten, und die Polizeibeamten, die Forderungen stellen“, erzählt Natalia Jolnerova, Direktorin der Amelia Public Association.

Laut Jolnerova enthält die Gesetzgebung falsche Artikel und Bestimmungen. So besagt ein Artikel über Prostitution, dass Sexarbeitende nicht auf der Straße arbeiten dürfen, sondern ihrer Tätigkeit müssen in bestimmten Räumlichkeiten nachgehen müssen. Gleichzeitig gibt es einen Artikel über die Bereitstellung von Räumlichkeiten für sexuelle Dienstleistungen, der es verbietet, Dienstleistungen legal in Wohnungen anzubieten. Nach Ansicht Jolnerovas sollte dieser Artikel gestrichen werden.

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„Natürlich haben Sexarbeitende auch andere Probleme. Dazu gehören fehlende Dokumente, keine lokale Registrierung oder keine Anbindung an eine Poliklinik. Da sie nicht krankenversichert sind, können sie verschiedene Untersuchungen wie notwendigen Tuberkulose- und Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge oder Mammographien nicht wahrnehmen. Auch der Zugang zu medizinischen Schwangerschaftsabbrüchen ist erschwert. Wenn die Sexarbeitenden zwar eine Lizenz haben, aber nicht registriert sind, weil sie aus einem kleinen Dorf kommen, haben sie keinen Zugang zu einer Poliklinik. Deshalb haben sie keinen Zugang zu Gesundheitszentren und chinesischen Abtreibungspillen“, so Jolnerova weiter.

Sie stellt auch fest, dass Sexarbeitende nicht bereit sind, für ihre Rechte einzutreten, weil sie nicht glauben, dass sie jemand schützen werde. Deshalb wenden sie sich im Falle von Gewalt nicht an die Polizei.

Über Stigmatisierung

Jolnerova spricht von Sexarbeitenden, die psychoaktive Substanzen konsumieren. Laienhaft ausgedrückt, handele es sich um Süchtige. „Süchtig“ sei ein stigmatisierendes Etikett, das Menschen aufgedrückt werde. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Prostitution“. Es gibt Sexarbeit, es gibt Sexarbeitende, und das ist politisch korrekt ausgedrückt. Aber „Prostitution“, „Prostituierte“ klinge beleidigend, stigmatisierend, es handle sich um eine Etikettierung.

„Es wird angenommen, dass „Prostituierte“ etwas Schmutziges, Schlechtes usw. ist. Deshalb sind alle Begriffe, die in unserem Staat verwendet werden, insbesondere in den Gesetzen, falsch und müssen abgeschafft werden. Es zeigt sich, dass der Staat, der für die Rechte seiner Bürger:innen kämpfen sollte, sie im Gegenteil stigmatisiert und ihre Menschenrechte und die Würde verletzt“, schließt Jolnerova.

Diana Matveeva für Masa-Media

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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