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Memes in Zeiten der Krise – ein Gespräch mit den Gründern von Satira.Media

Die zwei Freunde Azamat Xaidaraliyev und Sergey Makyan haben im Februar 2020 das usbekische Medienprojekt satira.media ins Leben gerufen. Dort verwandeln sie Nachrichten in Memes und tragen mit ihrem Humor dazu bei, ihre Leserschaft mit Nachrichten über Korruption, kaputte Straßen und sonstige Tragikomik zu unterhalten. Das folgende Gespräch erschien im Original auf Sarpa.Media. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Sarpa.media 

Satira Media
Satira Media

Die zwei Freunde Azamat Xaidaraliyev und Sergey Makyan haben im Februar 2020 das usbekische Medienprojekt satira.media ins Leben gerufen. Dort verwandeln sie Nachrichten in Memes und tragen mit ihrem Humor dazu bei, ihre Leserschaft mit Nachrichten über Korruption, kaputte Straßen und sonstige Tragikomik zu unterhalten. Das folgende Gespräch erschien im Original auf Sarpa.Media. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

„Ein Vierteljahrhundert des Zweifels“ lautet das Motto der 2020 ins Leben gerufenen Online-Plattform Satira-media. Dort werden aus Russisch, und weniger häufig auf Usbekisch Tagesnachrichten aus Usbekistan zusammen mit schlagkräftigen Memes – also humorvolle Bilder mit Querverweisen zur weltweiten Popkultur – dargelegt. Über seine Social-Media Kanäle erreicht die Plattform mehrere Zehntausend Leser:innen. In einem kurzen Interview mit der usbekischen Nachrichtenseite Sarpa.media sprechen die Gründer von Satira.Media Azamat Xaidaraliyev und Sergey Makyan über Selbstzensur, ihre Einschätzungen zu Usbekistan und darüber, was Sergeys Mutter sagte, als sie mit dem Projekt begannen.

Wie Satira.Media enstanden ist

Azamat: Wir sind sehr spontan zur Gründung von „Satira“ gekommen. Am Anfang stand ein ganz anderes Projekt – ein ganz gewöhnlicher Nachrichtenkanal. Aber die Konkurrenz in dieser Nische ist riesig und solche Projekte leben nicht lange. Ich dachte, dass ich etwas Interessantes und Originelles machen müsste. Ich hatte die Idee, ein Projekt zu entwickeln, das sich nicht durch den Inhalt, sondern durch dessen Darstellung unterscheidet. Und eigentlich hätten wir nie gedacht, dass es so groß werden würde.

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Wir haben festgestellt, dass es in Usbekistan eine Menge negativer Nachrichten gibt. Und mit unseren Memes versuchen wir, sie irgendwie aufzuhellen. Auf einer anderen Seite wären das alles lediglich laute Schlagzeilen. Bei uns klingt das etwa so wie „Leute, vielleicht ist es gar nicht so schlimm“. Oder es ist doch schlimm, aber man kann wenigstens darüber lachen. Wir haben uns vom russischen Projekt Lentach inspirieren lassen und haben das auch nie verheimlicht. Das Format ist dasselbe, aber wir „nationalisieren“ es. Alles Neue ist schließlich schon längst vergessenes Altes. Am Anfang wussten wir nicht, wie wir Nachrichten präsentieren sollten, welches Format wir verwenden sollten und wie die Qualität der Nachrichten aussehen sollte. Jetzt haben wir die Mechanik der Arbeit ausgearbeitet und alles geschieht automatisch. Im Prinzip können wir uns für jede Nachricht ein Meme ausdenken.

Seht auch bei Novastan: Worüber Lacht man in Zentralasien?

Wir versuchen immer, die Zeit unserer Leser zu sparen, weil wir glauben, dass der Journalismus der Zukunft schnell und „kurz“ ist. Leider ist das wahrscheinlich der Grund, warum so viele Menschen nicht auf unsere Website gehen. Sergey: Zuerst haben wir experimentiert. Wir haben getan, was wir wollten. Aufgrund unserer Nachlässigkeit wurden Beiträge nur alle drei Tage veröffentlicht. Je größer das Publikum, desto größer die Verantwortung. Wir haben es aufgegeben, unsere Meinung in Texten auszudrücken, wie wir es früher getan haben, und drücken sie jetzt nur noch in Memes aus. Ich und Azamat sind der Kopf. Unser Designer Jenya ist unsere Hand. Was wir nicht selbst tun können, tut er. In zwei Jahren haben wir das Handwerk schon gelernt. Und während wir die Überschrift schreiben, nimmt das Meme in unseren Köpfen bereits Gestalt an.

Welches ist eurer Lieblingsmeme?

Sergey: Mein Lieblingsmeme ist Jim aus der Fernsehserie „The Office“. Ich verwende ihn oft, wenn ich etwas vergleiche. Zum Beispiel als ein stellvertretender Gouverneur für den Diebstahl von 13 Milliarden Sum (gut eine Million Euro) zu 7,5 Jahre Haft verurteilt wurde, und ein Arzt fünf Jahre für den Diebstahl von 500.000 Sum (400 Euro) erhielt.

Azamat: Das ist so, als würde man sich entscheiden, welches seiner Kinder man am liebsten hat. Das Meme „Wir sind nicht gleich“ gefällt mir wahrscheinlich am besten. Eine unerschöpfliche Quelle für Memes ist meiner Meinung nach die Arbeitslosigkeit. Korruption als Thema nutzt sich ein wenig ab, der Inhalt wird eintönig. Aber im Allgemeinen sind Korruption, Veruntreuung und Arbeitslosigkeit Themen, die immer wieder in den Nachrichten auftauchen. Sergey: Besonders in der Zeit der Quarantäne und des Lockdowns gab es jeden Tag Nachrichten darüber.

Azamat: Und der usbekische Fußball! Wir lieben den usbekischen Fußball. Vor allem, wenn man Witze darüber macht. Wir haben auch eine redaktionelle Politik für unsere Plattform definiert. Wir machen keine Witze über Terrorismus, Mord, Vergewaltigung oder Religion. Wir sind tolerant und werden uns nicht über den Glauben anderer lustig machen. Es geht nicht darum, dass wir Angst haben, sondern darum, dass jeder seine Meinung frei äußern kann, wie er möchte. Es spielt keine Rolle, welcher Religion jemand angehört. Die Menschen in unserem Land können und lieben lachen. Ich habe den Eindruck, dass der Start von Satire genau zum richtigen Zeitpunkt kam, denn es ist genau die richtige Zeit, um über die Geschehnisse zu lachen. Zuerst hatten wir Angst, dass es für „Satira“ in Usbekistan nicht funktionieren würde, aber nein – auch dort lachen alle.

Sergey: Heutzutage schreiben uns die meisten unserer Leser Worte der Dankbarkeit. Die Anzahl der negativen Kommentare liegt buchstäblich bei einem Prozent, und auch das nur bei Facebook. Auf Telegram und Instagram sind die Menschen freundlicher. Menschen, die keinen Humor verstehen, die nicht über sich selbst lachen können, folgen uns auch nicht. Wir haben ein sehr treues Publikum.

Über politisches Engagement und den Glauben an das Land

Azamat: Wir haben unseren eigenen Standpunkt als Bürger. Jeder hat einen, das sollte nicht in Medienprojekten durchscheinen, weil dadurch die Objektivität verloren geht. Dennoch sollten wir natürlich Korruption und Veruntreuung nicht beschönigen. Wenn etwas politisch ist, sollten wir darüber berichten, aber von außen. Um es objektiv zu machen. Hier gibt es kein Gut und Böse. Ich würde das Bild des Beamten nicht verteufeln und das Bild vom einfachen Mann nicht zu sehr verschönen. Es ist inzwischen sehr angesagt die Regierung nicht zu mögen. Ich glaube an unser Land. Und tue das auf der Grundlage von einigen Indikatoren: Wirtschaft, das Niveau der Meinungsfreiheit. Natürlich ist Usbekistan im Moment nicht ideal. Wir haben viele große Probleme zu lösen, und einige davon sind meiner Meinung nach überhaupt nicht lösbar. Aber ich bin froh, dass es zumindest einen kleinen Trend in die Richtung gibt.

Meme Korruption
„Das übliche?“ – Nachrichten über Korruption.

Sergey: Hat sich Usbekistan in den letzten 5 Jahren verändert? Ja, aber ich sehe nur neue Bauprojekte. Mit der Meinungsfreiheit ist es ein bisschen besser geworden. Aber im Großen und Ganzen hat sich die Situation in Sachen Korruption und Veruntreuung verschlechtert. Und wenn ich die Nachricht schreibe, dass der Hokim (Leiter einer lokalen oder regionalen Verwaltung, Anm. d. Ü.)  den Vorsitzenden der Mahalla (Lokalverwaltung auf Nachbarschaftsebene, Anm. d. Ü.) – der nutzlosesten aller Organisationen – nach Dubai schickt, macht mich das traurig. Manchmal kann ich solche Entscheidungen einfach nicht nachvollziehen. Habe ich Vertrauen in dieses Land? Nein.

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Ich glaube, dass es in unserem Land ehrliche und intelligente Beamte gibt, die ihre Arbeit gewissenhaft erledigen, aber leider sind sie in der Minderheit.

Azamat: Wir haben keine vollkommene Meinungsfreiheit, wie in jedem anderen Land. Sie ist sicherlich niedriger als sie sein sollte. In den letzten Jahren ist aber schon ein Anstieg zu verzeichnen. Und ich bin glücklich darüber. Manchmal ist unsere Arbeit beängstigend und es scheint, als hätten wir eine Grenze überschritten, dass sie uns morgen irgendwohin entführen. So entsteht Selbstzensur. Ich glaube, jeder Journalist in Usbekistan spürt die Selbstzensur und das innere Unbehagen. Aber bisher haben wir keine Maßnahmen gespürt, die uns an der Arbeit gehindert hätten. Es gab Verwarnungen von der Agentur für Information und Presse, aber nicht wegen unserer Inhalte, sondern wegen Kommentaren, in denen vulgäre Ausdrücke und ähnliches vorkamen.

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Sergey: Als wir Satira starteten, pflegte meine Mutter zu sagen: „Mischt euch nicht in die Politik ein – ihr werdet umgebracht“. Azamat: Satira ist für mich schon zu etwas Eigenem geworden. Man kann lustige Dinge tun, Menschen erfreuen und damit Geld verdienen. Ich glaube nicht, dass das eine das andere ausschließt. Für mich ist Satira auch ein Geschäft. Sergey: Für mich spielt Geld natürlich auch eine wichtige Rolle. Ich mag es, Memes zu erstellen und traurige Nachrichten irgendwie aufzuhellen. Für mich geht es bei diesem Projekt am ehesten um die Möglichkeit, Dinge besser zu machen.

Mit Azamat und Sergey sprach Shirin Yusupova Sarpa.media

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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