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Kasachstan: Ein Tag des Sieges ohne Militärparade und mit eigenem Gedenken

Wie bereits im vergangenen Jahr steht der 9. Mai in Kasachstan im Schatten von Russlands Krieg in der Ukraine. Eine Militärparade ist nicht geplant, aber der Tag bietet Anlass dazu, an Kasachstans eigene Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zu erinnern.  

Denkmal Panfilov Park Almaty
2. Weltkriegsdenkmal im Panfilov-Park in Almaty, Kasachstan. Foto: mauro gambini/flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Wie bereits im vergangenen Jahr steht der 9. Mai in Kasachstan im Schatten von Russlands Krieg in der Ukraine. Eine Militärparade ist nicht geplant, aber der Tag bietet Anlass dazu, an Kasachstans eigene Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zu erinnern.  

Zum fünften Mal in Folge erfolgt der Mai in Kasachstan dieses Jahr ohne Militärparade. Weder zum „Tag des Verteidigers des Vaterlandes“ am 7. Mai noch zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai, wenn in Teilen der ehemaligen Sowjetunion das Ende des Zweiten Weltkriegs begangen wird. Der offizielle Grund, in diesem wie im vergangenen Jahr: Haushaltseinsparungen.

Der 9. Mai bleibt aber ein gesetzlicher Feiertag. Statt einer Parade plant das kasachstanische Verteidigungsministerium „militärisch-patriotische Veranstaltungen“ abzuhalten, etwa in einzelnen Militäreinheiten besondere Ehrungen auszusprechen. In den Medien und bei öffentlichen Veranstaltungen wird den im Krieg gefallenen kasachstanischen Soldaten gedacht.

Vor dem Hintergrund von Russlands Angriffkriegs gegen die Ukraine ist der 9. Mai zunehmend politisiert, wird die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg doch stark von russischer Seite instrumentalisiert. Aber Kasachstan pflegt auch ein eigenes Gedenken an seine Kriegsteilnahme.

Freund, Feind oder Nachbar?

Als das kasachstanische Verteidigungsministerium im April des vergangenen Jahres ankündigte, aus Kostengründen keine Militärparaden am 7. und 9. Mai abzuhalten, bezeichnete der russische Fernsehmoderator und Propagandist Tigran Keosajan die Entscheidung der „kasachischen Brüder“ als „Undankbarkeit“.

Wir verstehen, dass es hier nicht um Geld geht. Im Moment ist das Feiern vom Tag des Sieges ein ‚Freund-Feind‘ Erkennungszeichen“, so Keosajan in einem Video auf seinem YouTube-Kanal. Er verwies auf die „unentgeltliche Hilfe“ zur „Rettung eurer Macht in Kasachstan und zur Beendigung eures Chaos“, also den Einsatz von Truppen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit in Kasachstan im Januar 2022. In Reaktion auf seine kaum verschleiertern Drohungen erklärte das kasachstanische Außenministerium Keosajan zur unerwünschten Person.

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Viele Kasachstaner, darunter auch Politiker, unterstützten diese Entscheidung. „Wir sind auf der Seite der Länder, die glauben, dass Russland ein Aggressor gegen die Ukraine ist. Wir sind nicht euer kleiner Bruder, nicht eine brüderliche Nation. Wir sind Nachbarn. Nachbarn sollten sich gegenseitig respektieren. Wenn ihr uns nicht respektiert, werden wir euch nicht respektieren”, antwortete etwa die Bloggerin und Aktivistin Toǵjan Qojaliyeva in einer Videobotschaft.

Den Haushalt oder das Image retten?

Tatsächlich hat Kasachstan in 32 Jahren seiner Unabhängigkeit nur zwei Militärparaden abgehalten, in den Jahren 2013 und 2018. „Die Kosteneinsparungen sind eine formale Ausrede, die keine zusätzliche Kontroverse hervorruft“, erklärt der Politikwissenschaftler Ǵaziz Ábishev gegenüber Novastan. Im Verhältnis zum gesamten Haushalt seien die Einsparungen nicht allzu bedeutend. Wie der Verteidigungsminister Rýslan Jaqsylyqov dem lokalen Zweig des russischen Mediums Sputnik erklärte, koste eine Parade ca. 4 Milliarden Tenge, also etwas mehr als 8 Millionen Euro.

Wir sind der Ansicht, dass es in dieser Situation […] am besten ist, sich mit der Kampfbereitschaft und der Ausbildung der Streitkräfte zu befassen“, so der Minister. Eine Angabe, die laut Ábishev jedoch nicht auf die Vorbereitung von tatsächlichen Militäraktionen hinweise. 

Kasachstan kann sich zu Recht als Siegerland des Großen Vaterländischen Krieges und des Zweiten Weltkriegs bezeichnen. Im Jahr 2023 (wie auch im Jahr 2022) kann eine Militärparade am 9. Mai […] vor dem Hintergrund eines blutigen Krieges zwischen den beiden größten Volksgruppen, die den Krieg auf Seiten der Sowjetunion gewonnen haben, als unangemessenes Säbelrasseln angesehen werden“, erläuterte Ábishev in seinem Telegrammkanal. „Die Absage der Militärparade ist eine Art Geste des Pazifismus, ein Zeichen des Protests gegen den Krieg zwischen den Siegernationen”.

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Gleichzeitig bedeute die Absage der Militärparade nicht, dass der Feiertag selbst abgesagt werde. Während Kasachstan weiterhin mit Russland in den Strukturen der Eurasischen Union und der OVKS zusammenarbeitet und dabei hilft, Handelsbarrieren und Sanktionen zu überwinden, versuche es keine Gründe dafür zu liefern für eine allzu große Nähe unter Druck zu geraten, erklärte Ábishev auf Nachfrage von Novastan.

Anders als sein kirgisischer Amtskollege Sadyr Dschaparow wird der Präsident Kasachstans Qasym-Jomart Toqaev auch der Militärparade in Moskau am 9. Mai fernbleiben. Laut seinem Pressedienst wird er an dem Tag in der Hauptstadt Astana „den im Großen Vaterländischen Krieg Gefallenen gedenken“. (Update: Wie am 8. Mai bekannt wurde, reist Toqaev doch für zwei Tage nach Moskau, um der dortigen Militärparade am 9. Mai beizuwohnen).

Die Unterstützung von Veteranen

Ein fester Bestandteil der Feiern zum Tag des Sieges in vielen postsowjetischen Ländern ist die Ehrung der Veteranen. Zwischen 1941 bis 1945 wurden mehr als 1,2 Millionen Kasachstaner an die Front einberufen. Davon leben noch 222 Kriegsteilnehmer und -verwundete, sowie 60 106 Bürger, die zum Sieg im Großen Vaterländischen Krieg beigetragen haben, so das Nachrichtenportal inform.kz.

Jedes Jahr erhöht der Staat die Veteranenrenten und andere Sozialleistungen, und zahlt zum Tag des Sieges eine Sonderzuwendung. In diesem Jahr sollen jeder Kriegsveteran nicht weniger als 1,5 Millionen Tenge (ca. 3 000 Euro) vom Staat bekommen. Im Vergleich zu anderen zentralasiatischen Ländern bietet Kasachstan die größte finanzielle Unterstützung für Veteranen.

In den letzten Jahren ist das sogenannte „Unsterbliche Regiment“ zu einem festen Bestandteil der Feiern zum Tag des Sieges in Russland geworden, wird dort aber dieses Jahr aus Sicherheitsgründen in anderen Formaten abgehalten, so eine Koorganisatorin.

Man könne das Porträt eines Veteranen auf dem Auto oder auf der Kleidung kleben, den Avatar in den sozialen Netzwerken ändern und von Helden erzählen, statt es wie zuvor bei einem Marsch zu Tragen.

Das Russische Haus in Almaty, eine der Vertretungen der russischen Agentur für internationale Zusammenarbeit Rossotrudnitschestwo, wird die Kundgebung des „Unsterblichen Regiments“ ebenfalls online abhalten. Jeder kann bis zum 6. Mai Informationen über „Helden“ aus seiner Familie an die E-Mail-Adresse des Russischen Hauses schicken, welches diese Informationen am 9. Mai über seine sozialen Medien verbreitet.

Im vergangenen Jahr lehnte die kasachstanische Regierung den Marsch des „Unsterblichen Regiments“ offiziell ab und schlug stattdessen eine Online-Veranstaltung vor. Vertreter von Veteranenorganisationen schlugen eine analoge Form der Kundgebung vor: „Batyrlarǵa taǵzym“ (kas. für Verbeugung vor den Helden) an, bei der ebenfalls Porträts von kasachstanischen Kriegsteilnehmern getragen werden. Eine solche Aktion wurde sofort genehmigt.

In diesem Jahr wurde diese Online-Aktion „Er esimi – el esinde“ (kas.: „Der Name des Helden im Gedächtnis der Nation“) stattfinden. Kasachstaner können auf einer eigens geschaffenen Internetplattform Informationen über ihre im Großen Vaterländischen Krieg gefallenen Vorfahren und ihre Heldentaten teilen.

Die traditionelle Form der Kundgebung war zugegebenermaßen schon immer mit gewissen Risiken für die öffentliche Sicherheit behaftet“, erklärte der Vorsitzende des öffentlichen Vereins „Union der Veteranen des Aghanistan-Krieges“ von Almaty Murat Abdýshýkýrov bei einer Pressekonferenz. Außerdem würden Straßenblokaden im Zentrum von Almaty zu Unnannehmlichkeiten für die Anwohner führen.

Ein Tag der Trauer und des Gedenkens

Ásem Japisheva, Journalistin und Aktivistin in der oppositionellen Bewegung „Oyan, Qazaqstan!“ (kas.: „Kasachstan, erwache!“) zeigt ihre Freude über die Entscheidung Kasachstans, zum fünften Jahr in Folge keine Parade abzuhalten. „Das ist eine sehr gute Entscheidung, denn der Kult des Militarismus führt zu nichts Gutem. Kasachstan hat mit seiner multivektoralen Außenpolitik keinen Grund, der Welt die Zähne zu zeigen, zumal wir auch keine große Armee haben“, so Japisheva. „Der Tag des Sieges sollte als Tag der Trauer, als Tag des Gedenkens begangen werden. Im Krieg geht es nicht nur um die toten Soldaten, sondern auch um die Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, und um die Menschen, die an der Arbeitsfront ihre Gesundheit verloren haben.”

Bezüglich des „Unsterblichen Regiments“ kommentierte die Journalistin, der russische Staat habe eine scheinbar gute, private Initiative monopolisiert und sie zu einem Teil seiner Propagandamaschine in einem endlosen Krieg mit dem „Westen“ gemacht. Auch die Aktion „Batyrlarğa tağzym“ sei in dem Sinne nicht unproblematisch.

Auch wenn öffentliche Verbände als Organisatoren auftreten, ist es doch ein staatlicher Auftrag, ein Mangel an Fantasie. Unsere Beamten kopieren ständig russische Entscheidungen, von Gesetzen bis hin zu öffentlichen Kundgebungen. Ich bin der Meinung, dass wir von Russland unabhängig sein sollten. Wenn es nicht von den russischen Kollegen kopiert würde, hätte ich keine Beschwerden“, so Japisheva.

Aizere Mailaisarova
Aus Almaty für Novastan.org

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