Kyrgyz Handmade stellt den Schyrdak in den Vordergrund, einen Teppich, der von Kirgisen seit Jahrhunderten verwendet wird. Novastan hat den Mann hinter dem Unternehmen getroffen, um zu verstehen, was ihn zu seinen Unternehmungen motiviert.
Das Unternehmen Kyrgyz Handmade entstand aus einer Krise heraus. Im Frühjahr 2020 wurde Kirgistan von der Covid-19-Pandemie heimgesucht, die große Teile der Wirtschaft in Mitleidenschaft zog. Dies gilt insbesondere für den Tourismus, dessen Entwicklung eine gewisse wirtschaftliche Diversifizierung ermöglicht hatte. In dem Bereich war auch Baibol (kirgisisch für „Werde reich“) tätig, das 2016 von dem Kirgisen Mansur Abylajew gegründet wurde.
Vor der Krise hatte Baibol etwa 20 vertraglich gebundene Reiseleiter:innen und spezialisierte sich auf die Organisation von Reisen für westliche Tourist:innen. Ohne staatliche Unterstützung wurde Baibol, wie der Rest des Privatsektors, von der Geschäftsflaute im Jahr 2020 hart getroffen. „Wir waren zu Hause, die Ersparnisse gingen zur Neige, unsere Angestellten hatten unbezahlten Urlaub und wir sahen, dass die Touristen nicht so schnell wiederkommen würden“, berichtet Abylajew gegenüber Novastan. Um nicht alles zu verlieren, musste er handeln. „Früher haben wir Reisen verkauft. Was können wir jetzt verkaufen? Wir hatten bereits die Kunden, die Logistik, die Sprachkenntnisse. Aber nicht das Produkt“, fügt der Firmenchef hinzu.
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Als er zufällig von einem Designer eine Bestellung für Schyrdaks erhält, stellt er fest, dass die Frauen, bei denen er einkauft, über einen ganzen Bestand verfügen, der für nicht anwesende Tourist:innen bestimmt ist. Schyrdaks sind Filzteppiche, die aus einer doppelt genähten Schicht bestehen und traditionell in Jurten, aber auch bei verschiedenen zeremoniellen Anlässen verwendet werden. Im Juni 2020 schlug Abylajew vor, mit dem Online-Verkauf dieser Teppiche zu beginnen. Dies ist der Beginn eines neuen Projekts, über das er schon lange nachgedacht hatte. „Ich hatte 2017 die Domain Handmade.kg gekauft und mir gesagt, dass ich sie gebrauchen könnte. Wenn ich eines Tages etwas machen wollte, das mit Textilien und traditionellem Kunsthandwerk zu tun hat“, erzählt er. So stand auch schon der Name seines neuen Projekts.
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Der Aufbau einer nationalen Produktionskette
Während Kyrgyz Handmade in den ersten Monaten Schyrdaks nur weiterverkaufte, beschloss Abylajew, eine eigene Produktion aufzubauen. Er betont: „Neben den Problemen mit der Qualitätskontrolle leidet man sehr unter den nicht eingehaltenen Lieferzeiten, wenn man bei einem Hersteller im Land bestellt.“ Seit diesem Juni übernimmt Kyrgyz Handmade daher die Produktion von etwa 90 Prozent seiner Schyrdaks. Der Filz stammt von zwei Herstellern, einem aus dem Gebiet Tschüj und einem aus dem Gebiet Yssykköl, zwei Regionen im Norden Kirgistans.
Das Schneiden, der heikelste Schritt, findet in den Räumlichkeiten des Unternehmens in Bischkek statt. Die Stücke werden dann zum Nähen, dem zeitintensivsten Schritt, wieder in die Regionen geschickt. An diesem letzten Teil sind etwa 30 Personen in verschiedenen Regionen des Landes beteiligt. Abylajew begründet die Auslagerung mit den geringeren Produktionskosten und dem Wunsch, Arbeitsplätze in armen Regionen zu schaffen. Die meisten dieser Handwerker:innen reisen zuvor durch Bischkek, um eine Ausbildung zu absolvieren.
„Es gibt eine große Vielfalt an Techniken zum Nähen von Schyrdaks. Wir glauben, dass die Naryner Technik die beste und wettbewerbsfähigste ist und wollen sie daher auf die anderen Regionen des Landes ausweiten und vereinheitlichen“, beschreibt Abylajew. Es gibt auch eine besondere Klausel: „Wir stellen arbeitslose Hausfrauen ein, die in Bischkek leben und nicht wissen, wie man Schyrdaks näht. Sobald sie geschult sind, können sie mit Filzstücken nach Hause gehen und dann zu Hause nähen“, fügt der Firmenchef hinzu.
Ein wachsendes Unternehmen
Das Team der Angestellten wächst stetig. „Wir sind insgesamt zehn Leute, die hier in Bischkek in den Bereichen Marketing, Finanzmanagement, Qualitätskontrolle und Design arbeiten“, erklärt Abylajew. Kyrgyz Handmade wächst auch ins Ausland und hat seit September einen Angestellten in Kasachstan, der den Verkauf in diesem Markt koordinieren soll. Zum Zeitpunkt des Interviews rechnete Abylayev mit drei kasachstanischen Angestellten bis zum Spätherbst.
Seit seinem Start im Frühjahr 2020 hat Kyrgyz Handmade etwa 150 Schyrdaks verkauft. Einige gehören zu den konventionellen Formen für die breite Öffentlichkeit, aber gibt auch Sonderbestellungen, die hohe Einnahmen einbringen. „Manchmal werden wir von Innenarchitekten kontaktiert, die für ihre Kunden ganz bestimmte Bestellungen aufgeben möchten. Wir haben bereits einen achtunddreißig Quadratmeter großen Schyrdak für einen Monegassen entworfen“, erklärt Abylajew.
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Der Leiter von Kyrgyz Handmade konzentriert sich aktuell darauf, seine Produkte weiter zu individualisieren, sodass Kunden Formen und Farben selbst wählen können. Er macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen und möchte „die Produktion im kommenden Jahr um das Fünffache steigern“. Dazu soll die Zahl der Beschäftigten, die im ganzen Land als Subunternehmer:innen tätig sind, erhöht werden. „Wir haben in verschiedenen Regionen Anzeigen geschaltet und es gibt bereits 350 Personen, die daran interessiert sind, sich ausbilden zu lassen und mit der Produktion zu beginnen“, sagt er. Das Gebiet Talas, das stark von seinem Bohnenexport, und somit den entsprechenden Weltmarktpreisen abhängt, ist besonders im Visier. Parallel dazu möchte Abylajew die Produktpalette erweitern, und auch weitere traditionelle Produkte wie Hausschuhe oder Kissen vertreiben, aber auch um Teppiche, die für besondere Zwecke wie Yoga oder das Gebet geeignet sind. Aktuell kommen 80 Prozent des Umsatzes von Kyrgyz Handmade von Schyrdaks.
Westliche Märkte als Zielgruppe
Heute werden 50 Prozent der Produktion von Kyrgyz Handmade in Kasachstan oder Kirgistan verkauft, 25 Prozent in den Vereinigten Staaten, 15 Prozent auf dem europäischen Markt und zehn Prozent in Ländern wie Japan oder Südkorea. Abylajew möchte die Präsenz seines Unternehmens im Westen, insbesondere in Europa, ausbauen. Er begründet seine Ziele damit, dass „es ein anderes Kulturniveau gibt: Die Europäer haben eine Vorliebe für das Handgemachte, das Handwerkliche, das es anderswo nicht gibt“.
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Abylajew möchte, dass Kyrgyz Handmade sich um Labels wie „Fair Trade“ bemüht, von deren Attraktivität im Western er weiß. Um Zugang zum europäischen Markt zu erhalten und die Kosten für Zollschranken zu senken, hat Kyrgyz Handmade seit Anfang 2021 dafür gesorgt, dass seine Produkte über das Allgemeine Präferenzsystem (APS+) verfügen können, das Kirgistan seit 2016 gewährt wird. Im Rahmen von APS+ können mehr als 6000 kirgisische Produkte zollfrei in die Europäische Union exportiert werden.
Internationale Hilfeleistungen
Kyrgyz Handmade hat auch versucht, Verbindungen zu westlichen Entwicklungshilfefonds und -organisationen aufzubauen. Dies gilt insbesondere für USAID, die US-amerikanische Entwicklungsbehörde, die in Kirgistan stark vertreten ist. Aktuell unterstützt USAID Kyrgyz Handmade „um den Verkauf über eBay zu entwickeln“, erklärt die Organisation gegenüber Novastan. Dies sei eine sehr aktuelle Herausforderung, da der Großteil der Verkäufe derzeit über soziale Netzwerke abgewickelt werde, fügt Abylajew hinzu. Das Unternehmen „wurde auf einer Wettbewerbsbasis ausgewählt, die Gehälter, geschaffene Stellen, Anzahl der Begünstigten, Nachhaltigkeit und Ziele umfasste“, betont USAID. „Wir unterstützen in unseren verschiedenen Programmen etwa 20 Unternehmen pro Jahr mit einer kleinen Finanzhilfe und viel technischer Hilfe“, fügt die US-Agentur hinzu.
Ein ungewöhnlicher Werdegang
Mit seinen Inhalten und internationalen Zielen ist das Unternehmen auch in eine sehr frankophile Kultur eingebettet. Im Jahr 2000 trat Abylajew in die Kirgisisch-Europäische Fakultät in Bischkek (KEF) ein. Dabei handelt es sich um die Wirtschaftsabteilung der staatlichen Universität, die von der Europäischen Union finanziert wird und ihren Studierenden seit 1996 die Möglichkeit gibt, in Europa zu studieren. An diesem Programm haben nach Angaben der Universität bereits über 600 Studierende teilgenommen.
Eine ihrer wichtigsten Partnerhochschulen ist die Universität Pierre Mendès France in Grenoble, die Abylajew im Jahr 2002 im Rahmen seines Studiums besuchte. Nach seinem Bachelor machte er einen Master und verfolgte schließlich einen Doktortitel in Volkswirtschaft, den er jedoch nicht abschloss. Abylajew schätzt seine Jahre in Grenoble sehr und sagt sogar, dass „Frankreich wie ein zweites Vaterland ist“. Anders als die meisten Kirgistaner:innen, die mit diesem Programm nach Europa gingen, wusste er jedoch, dass er in sein Land zurückkehren wollte.
Dies war auch die Motivation für sein Studium. „Ich wünschte mich nützlich zu machen. Ich wollte nach Kirgistan zurückkehren, ein bisschen mit diesem romantischen Ideal, etwas zur Wirtschaft beizutragen“, erzählt er. Dies gelang ihm, als er 2009 in die kirgisische Aufsichtsbehörde für Finanzmärkte eintrat.
Vom Beamten zum Unternehmer
Abylajew arbeitete anschließend mehrere Jahre im kirgisischen öffentlichen Dienst. Da er von seinem konkreten Nutzen als Beamter nicht überzeugt war, zog er eine Umschulung in Betracht. Dies ist der Ausgangspunkt für das Unternehmen Baibol, das er 2016 gründete und zu dem Kyrgyz Handmade noch immer gehört. Baibol war gewinnorientiert und erfüllte die Ziele seines Geschäftsführers: die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung der lokalen Kultur.
Abylajew hatte jedoch eine weitere Leidenschaft, die er weiterentwickeln wollte. Während der ersten Jahre in Baibol behielt Abylajew die Idee, ein Projekt zu gründen, das mit Textilien zu tun hat. Er ist nicht ohne Kenntnisse in dem Bereich, denn während seiner fünf Jahre im Parlament unterbrach er seine Tätigkeit eine Zeit lang, um an der Nationalen Textilschule in Schweden eine Ausbildung zu absolvieren. „Ich wurde dort von der Arbeit zweier Freunde über Massenpersonalisierung inspiriert und fragte mich, wie ich das auf kirgisische Kulturprodukte wie Schyrdaks anwenden könnte“, erinnert er sich. Kyrgyz Handmade ist die Erfüllung dieser Sehnsucht.
Der Schyrdak als Werkzeug kirgisischer Soft Power
Schyrdaks sind das Ergebnis einer sorgfältigen und delikaten Arbeit. „Eine Frau, die jeden Tag allein arbeitet, braucht mehrere Monate, um einen Schyrdak von etwa zwei Quadratmetern fertigzustellen“, erklärt der Firmenchef. Abylajew erklärt, dass diese Teppiche aus zwei zusammengenähten Filzschichten bestehen. Die erste, die aus einem weniger hochwertigen Filz besteht, dient als Basis, auf der die ausgeschnittenen Muster der zweiten Schicht aufgebracht werden. Die isolierenden und wasserabweisenden Eigenschaften von Filz erklären ihre frühere Nutzung als Bodenbelag in allen Jurten. Der Schyrdak hat für Kirgisen auch eine symbolische Bedeutung und wird in vielen Regionen bei Hochzeiten als Mitgift überreicht.
Jenseits der Ziele des Unternehmens, möchte Abylajew auch die Kenntnis und den Ruf des kirgisischen Teppichs verbreiten. Er meint: „In Europa gibt es bereits seit mehreren Jahrhunderten eine Vorliebe für persische oder türkische Teppiche. Wir möchten, dass der kirgisische Teppich sich einen Platz unter diesen erobert.“ Mit diesen Argumenten beruhigt er die lokalen Produzenten, die die Konkurrenz großer Unternehmen fürchten, indem er sagt, dass „Kyrgyz Handmade das Wissen über den kirgisischen Teppich verbreitet und dass dies letztendlich die Preise für alle erhöhen wird“. Seit 2012 steht der kirgisische Schyrdak auf der Liste des immateriellen Weltkulturerbes.
In der Begründung erinnert die UNESCO daran, dass der Schyrdak seit Jahrhunderten verwendet wird und dass es aufgrund seiner Beschaffenheit und Herstellungsweise für das kirgisische Volk eine der Quellen „für ein Gefühl der Identität und Kontinuität“ ist. Das fast vollständige Verschwinden dieses Handwerks motiviert die Maßnahmen der UNESCO, und Abylajew ist sich dieser Situation sehr wohl bewusst. Er möchte, dass „das Produktionszentrum von Kyrgyz Handmade in Bischkek zu einer Art Museum wird, in dem nicht nur Touristen, sondern auch Kirgisen die Herstellungsmethoden ihrer Vorfahren sehen und erlernen können“. Es ist ein schmaler Grat zwischen der lukrativen Nutzung einer kulturellen Marke und der echten Sorge um den Schutz eines Erbes. Die Dynamik von Kyrgyz Handmade sowie die Hingabe seines Gründers lassen zumindest auf die Erneuerung und Neuerfindung einer Kunst schließen, die bis vor kurzem noch vom Aussterben bedroht war.
Tiago da Cunha Redakteur für Novastan in Bischkek
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath
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