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Die Proteste haben ein weibliches Gesicht: Wie Frauen in Usbekistan für ihre Rechte einstehen

In Usbekistan, wie auch in vielen anderen Ländern der Welt, werden Frauen häufig zu Anführerinnen sozialer Bewegungen und Initiatorinnen von Massenprotesten. Dieser Artikel zeigt Beispiele für solche Proteste in Usbekistan und beleuchtet anhand eines Gesprächs mit einer Psychologin, warum Frauen sich häufiger zu Wort melden und offener über Probleme sprechen.

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Können Feminist:innen am 8. März in Kasachstan für Frauenrechte demonstrieren? Foto: Wikimedia Commons

In Usbekistan, wie auch in vielen anderen Ländern der Welt, werden Frauen häufig zu Anführerinnen sozialer Bewegungen und Initiatorinnen von Massenprotesten. Dieser Artikel zeigt Beispiele für solche Proteste in Usbekistan und beleuchtet anhand eines Gesprächs mit einer Psychologin, warum Frauen sich häufiger zu Wort melden und offener über Probleme sprechen.

„Protest hat das Gesicht einer Frau“ ist nicht nur eine Phrase, sondern ein Spiegelbild der Realität in Usbekistan und der Welt, wo Frauen zunehmend zu Hauptakteur:innen sozialer Initiativen und Protestbewegungen werden. Sie kämpfen nicht nur für ihre Rechte, sondern auch für soziale Gerechtigkeit, die Umwelt und den Schutz öffentlicher Güter.

Umweltschutz

In ihrem Bericht für das Jahr 2021 stellen die Vereinten Nationen fest, dass Frauen eine führende Rolle bei der Erhaltung der Natur und der Bekämpfung der Umweltverschmutzung spielen. Dieser Trend geht auch an Usbekistan nicht vorbei: Die Bloggerin Mutabar Xushvaktova ist ein Beispiel für den Umweltaktivismus von Frauen.  

Im Februar 2021 beschloss das Taschkenter Khokimiat (Anm. d. R.: Stadtverwaltung), einen der grünsten Boulevards der Hauptstadt zu rekonstruieren – den Bereich zwischen der U-Bahn-Station Kosmonawtow und dem zentralen Kaufhaus. Der Khokimiat hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass das Projekt zur Umgestaltung der Grünzone zu einer Zunahme der bürgerlichen Aktivitäten führen würde – in nur wenigen Tagen starteten Bewohner:innen umliegender Häuser, Medien und Blogger:innen eine Kampagne zum Erhalt der Bäume.

Die Hauptverteidiger:innen des Parks waren Frauen – Mütter und Großmütter, die oft mit ihren Kindern den Boulevard entlang gingen. Sie initiierten eine groß angelegte Unterschriftensammlung – innerhalb weniger Tage gelang es Aktivist:innen und besorgten Bürger:innen, mehr als 6.000 Unterschriften zu sammeln und damit vor dem Hintergrund eines schmerzhaften Themas zu demonstrieren. Die friedliche Konfrontation mit den Stadtbehörden endete mit der Erhaltung des Parkgebiets. Der Khokimiat gab das ursprüngliche Wiederaufbauprojekt auf und Freiwillige erstellten ein eigenes Dokument zur Erhaltung des Parks.

Schutz des Babur-Parks

Die letzte große Neuigkeit in Bezug auf Grünflächen war der mögliche Wiederaufbau des Babur-Parks in der Rustaweli-Straße. Wie schon beim letzten Mal hat die Stadtverwaltung, ohne die Anwohner:innen zu konsultieren, das Parkgelände für einen Zeitraum von 50 Jahren an das usbekisch-singapurische Unternehmen BMP Smart Decision Management verpachtet. Und wieder mussten die Bewohner:innen ihr Recht auf saubere Luft verteidigen. Die Hauptfigur der Geschichte war die Direktorin des Parks, Iroda Yusupova. Sie versprach, dass der Wiederaufbau unter strenger Kontrolle der Anwohner:innen und unter ihrer Führung erfolgen würde.

Recht auf Wohnraum

Neben dem Schutz von Parks und Bäumen verteidigen Frauen auch das Recht auf Wohnraum – führende Vereine zum Schutz von Wohngebäuden und Immobilien werden von Frauen verwaltet. So hat beispielsweise die Administratorin der Facebook-Community Tashkent-SNOS, Farida Sharif, immer wieder auf Probleme mit der illegalen Zerstörung oder Erschließung von Territorien hingewiesen.

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2020 zündete sich eine Frau in Namangan an, um gegen eine Zwangsräumung zu protestieren – zusammen mit ihrer Mutter wurde sie Opfer von Betrüger:innen und lebte in einem Haus, das ihr nicht gehörte. Die Staatsanwaltschaft von Namangan leitete ein Strafverfahren gemäß dem Artikel über Anstiftung zum Selbstmord ein und ordnete eine offizielle Untersuchung der Handlungen des staatlichen Vollstreckers der Abteilung für Zwangsvollstreckung der Stadt Namangan und der Präventionsinspektoren der Abteilung für interne Angelegenheiten der Polizei der Stadt Namangan an.

Die Geschichte von Dilorom Rozikova

Im Jahr 2018 war der Bau mehrstöckiger Gebäude in der historischen Zone von Samarkand geplant. Korruption in der Regierung und illegale Abriss- und Räumungsgenehmigungen führten zu Konflikten in der Tintschlik Mahalla.

Die Entwickler:innen versuchten, Dilorom Rozikova und ihre Nachbar:innen aus dieser Mahalla zu verdrängen und das Gebiet mit neuen Gebäuden aufzubauen. Die Geschichte erreichte sogar die regionalen Khokim (Anm. d. R.: Leiter:in der lokalen Verwaltung, z.B. Gouverneur:in oder Bürgermeister:in). Sie ging vor Gericht, verlor jedoch. Sie und ihre Familie wurden gewaltsam verdrängt, aber der Versuch, eine unrechtmäßige Räumung zu rechtfertigen, war eine der bekanntesten Klagen gegen Bauträger:innen.

Im Jahr 2020 warf Dilorom Rozikova ein brennendes Handtuch auf Mitarbeiter:innen des Büros für Zwangsvollstreckung und übergoss sie mit Benzin. Das Gericht befand Rozikova der Begehung einer Straftat gemäß dem zweiten Teil von Artikel 219 des Strafgesetzbuches (Anm. d. R.: Widerstand gegen einen Regierungsbeamten oder eine Person, die eine Bürgerpflicht erfüllt) für schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsbeschränkung für einen Zeitraum von einem Jahr und sieben Monaten.

Treten Frauen häufiger auf?

Die aktive Teilnahme von Frauen an Protesten lässt sich aus mehreren Gründen erklären, darunter die historische Ungleichheit, durch die Frauen lange Zeit in ihren sozialen Rechten ganz oder teilweise eingeschränkt waren. Auch Empathie und Mitgefühl spielen eine Rolle – Frauen neigen dazu, sich in die Probleme anderer Menschen einzufühlen. Darüber hinaus erregt die aktive Beteiligung von Frauen an Aktivismus und Protesten die Aufmerksamkeit der Medien.

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„Ich würde nicht sagen, dass Frauen eine Schlüsselrolle bei der Veränderung der Gesellschaft und des Staates spielen. Diese Aktivität ist mit vielen negativen Informationen, einem Energie- und Zeitaufwand und einem Gefühl der Ohnmacht verbunden. Manchmal ist es unmöglich, zu helfen oder etwas zu ändern. Viele Aktivist:innen leiden unter Depressionen, Angstzuständen und anderen Problemen,“sagt Liana Natroshvili, Psychologin.

„Erstens wird die Angst vor Protesten durch die Angst um die eigene Sicherheit und die Sicherheit ihrer Familien, durch die Zurückhaltung, gegen die Gesetze des Landes zu verstoßen, und durch erlernte Hilflosigkeit verursacht. Viele Leute denken, dass alles nutzlos ist. Diese Ängste und Gefühle sind weitgehend berechtigt und haben eine reale Grundlage, und ich bin mir nicht sicher, ob es sich lohnt, sie zu überwinden,“ fügt sie hinzu. „Anderen Menschen zu helfen kann sich auch positiv auf Ihr Selbstwertgefühl auswirken. Allerdings ist es wichtig, die Balance zu wahren und auf sich selbst zu achten,“ meint Natroshvili.

Proteste und Kundgebungen

In den Jahren 2019–2020 protestierten Frauen gegen den Mangel an Gas und Strom in der kalten Jahreszeit. So blockierten Bewohnerinnen des Dorfes Tschigatai in Khorazm die Straße und protestierten gegen den Erdgasmangel in ihrem Dorf. In Kokand blockierten Frauen die Straße in der Nähe des Khokimiat, weil es an Gas und Strom mangelte.

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Im Jahr 2021 protestierten Einwohnerinnen von Almalyk wegen fehlender Arbeits- und Quotenplätzen beim Bergbau- und Metallurgiekombinat Almalyk. Nach Berichterstattung über die Situation in den Medien wurde im Werk eine Initiativgruppe gegründet, um die Zahl der Arbeitsplätze im Unternehmen für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.

Viele Frauen in Usbekistan sind trotz kultureller und politischer Barrieren politisch aktiv. Sie sind aktiv an der Lösung drängender Probleme beteiligt, die häufig mit grundlegenden Lebensbedingungen und sozialer Gerechtigkeit zusammenhängen.

Verabschiedung eines Gesetzes, das Gewalt unter Strafe stellt

Die Verabschiedung eines Gesetzes zur Kriminalisierung von Gewalt, das unter aktiver Beteiligung von Senatorinnen und Zivilaktivistinnen, darunter dem Projekt Nemolchi.uz, entwickelt wurde, erhöhte die Strafen für sexuelle Gewalt gegen Minderjährige, Anstiftung zur Abtreibung und häusliche Gewalt.

Die Arbeit an dem Gesetz war nicht einfach – Irina Matvienko bemerkte in einem Interview mit Mediazona, dass „während der Diskussion des Gesetzentwurfs Widerstand zu spüren war, es gab Streitigkeiten über jeden Artikel.“

Svetlana Peshkova, soziokulturelle Anthropologin, Ethnographin und Islam- und Geschlechterforscherin: „Das politische Engagement von Frauen beschränkt sich nicht nur auf die Interaktion mit dem Staat, es umfasst auch alltägliche Bedürfnisse wie den Zugang zu grundlegenden Ressourcen und soziale Gerechtigkeit.“

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Es gibt auch Beispiele für verschiedene Formen politischer Aktivität von Frauen – von der Teilnahme an lokalen Oppositionsbewegungen bis hin zum Online-Journalismus. Der politische Aktivismus von Frauen in Zentralasien beschränkt sich nicht nur auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder der Regierung, sondern umfasst auch Aktivistinnen, deren Arbeit oft unsichtbar bleibt, wie etwa die Dschadid-Frauen oder die Khudschum-Bewegung.

Haben die Proteste also immer noch ein weibliches Gesicht?

Ja und nein. Jede Person wählt die Antwort auf diese Frage unabhängig. Allerdings muss man zugeben, dass es in den letzten Jahren immer häufiger zu Protestfällen gegen Frauen kam. Die Ermordung von Maxsa Amini und zahlreiche Proteste im Iran, der „Fall Saltanat“ und die Kriminalisierung von Gewalt in Kasachstan, die Verabschiedung eines Gesetzes über häusliche Gewalt in Italien nach der Ermordung von Julia Cecchettin, die „Friedliche Brigade der Großmütter“ in Amerika und viele weitere Beispiele, in denen Frauenaktivismus die Sozial- und Rechtspolitik von Staaten beeinflusste.

Feride Maxsetova, Iana Modelova, Lenochka für Hook

Aus dem Russischen von Irina Radu

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