Stepnogor ist eine mysteriöse Stadt im Norden Kasachstans. Zu Sowjetzeiten war sie auf Karten nicht verzeichnet und auch heute werden bestimmte Teile ihrer Geschichte verschwiegen. Renat Taschkinbajew und Turar Kasangapow von Tengrinews haben die Stadt besucht und zeigen in dieser Fotoreportage, wie das heutige Stepnogor lebt.
Zu Sowjetzeiten war die Stadt Stepnogorsk (heute Stepnogor, Anm. d. Ü.) geheim und einige Zeit nicht in Karten verzeichnet. In Dokumenten trug sie Namen wie Zelinograd-25 oder Makinsk-2. Dies alles geschah aufgrund des sich hier befindenden Objektes des Verteidigungskomplexes der UdSSR, des Bergbau- und Chemiekombinats, in dem Uran angereichert wurde.
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Seitdem ist schon viel Zeit vergangen. Kasachstan hat das 25-jährige Jubiläum seiner Unabhängigkeit gefeiert, die Stadt Stepnogor ist schon lange keine geschlossene Stadt mehr, aber dennoch haftet der Stadt der Geruch des Geheimen an. Zum Beispiel findet man im Regionalmuseum keine Informationen über die Entwicklung biologischer Waffen, die hier stattfand, und man kann die Stadt nur per Auto oder Bus erreichen.
Stepnogor befindet sich 199km von Astana entfernt.
Ankunft nur per Bus
Personenzüge fahren nicht hierher. Aber stündlich fahren Reisebusse aus der Hauptstadt, die Stepnogor in drei Stunden erreichen (Tickets kosten 2000 Tenge, also circa 5,70 Euro).
Wie in vielen Städten Kasachstans kann man hier bis heute Relikte aus der sowjetischen Vergangenheit sehen.
Und so sieht der Busbahnhof von Stepnogor aus. Das Gebäude ist gepflegt, klein und kompakt.
Im Wartesaal gibt es kostenloses W-Lan. Im kleinen Gebäude gegenüber wird noch ein kostenloser Service angeboten: der Ruf von Taxis.
Mit den Taxipreisen ist es hier einfach. Der Einheitspreis ist 300 Tenge (circa 0,85 Euro).
Wo wir gerade bei Preisen sind: Wir übernachteten im Hotel „Stepnogorsk“. Ein Standard-Doppelzimmer kostet hier 7000 Tenge (circa 20 Euro) pro Nacht.
Dieses Gefährt des Komitees für Katastrophenschutz (eine Einheit des Innenministeriums, Anm. d. Ü.) sahen wir in der Nähe der Stadtverwaltung.
Hier sammeln sich die Polizei und andere städtischen Dienste.
An diesem kam Sergej Kulagin, der Akim (Verwaltungschef der Region, Anm. d. Ü.) des Akmolinsker Gebietes zu einem Arbeitsbesuch nach Stepnogor. Etwas später kam er an diesem Platz an um die technische Ausstattung zu betrachten und mit den Mitarbeiter*innen der Polizei sowie der Rettungs- und anderer kommunaler Dienste zu sprechen.
Zur Stadtverwaltung kehren wir noch zurück, aber erst einmal betrachten wir die Hauptstraßen der Stadt.
Kein Wohnbezirk N°8
Eine der Besonderheiten von Stepnogor besteht darin, dass die Adressen sich aus der Hausnummer und der Nummer des Wohnbezirks zusammensetzen.
Die Wohnbezirke liegen direkt nebeneinander und oft werden sie von kleinen Straßen und Zufahrten getrennt.
Insgesamt gibt es acht Wohnbezirke, aber interessanterweise existiert kein Wohnbezirk Nr. 8, dafür aber Nr. 7 und Nr. 9.
Die örtlichen Behörden arbeiten im Moment daran. Der detaillierte Plan des 8. Wohnbezirks, in dem sieben Häuser gebaut werden sollen, ist schon ausgearbeitet.
Und wo wir gerade beim Wohnungsbau sind: Seit den Sowjetzeiten bis heute wurden in der Stadt keine neuen Häuser gebaut.
In der Zeit ist die Zahl der Wohnungssuchenden auf 1500 angestiegen.
Dafür vermietet man wiederaufgebaute Häuser. Nach einer Gasexplosion in der 90ern lag dieses Gebäude praktisch in Ruinen. Es vergingen Jahre und vor kurzem wurde das Haus wieder völlig hergestellt und dem Wohnungsmarkt übergeben.
Die Schlüssel wurden den neuen Bewohner*innen im feierlichen Rahmen ausgehändigt. Im nächsten Jahr soll man ein weiteres leerstehenden Haus wiederhergestellt werden und in der Zukunft plant man Neubauten.
Aber kehren wir auf die Straßen Stepnogors zurück. Wie in anderen Städten sieht man hier Menschen, die mit Eingesalzenem und anderen Produkten aus heimischer Herstellung handeln.
Wollsocken kosten 1500 Tenge (circa 4,30 Euro).
Stepnogorer Industrie einst und heute
Aber der Straßenhandel ist kein Massenphänomen. Der Großteil der Bevölkerung arbeitet in den Fabriken, die am Stadtrand gelegen sind.
Hier liegen das Stepnogorer Bergbau- und Chemiekombinat, das Unternehmen „Kazakhaltyn“ (staatliches Goldunternehmen, Anm. d. Ü.), die Stepnogorer Kugellagerfabirik und andere Unternehmen.
Zu den Industrieunternehmen kann man mit der Elektritschka (Vorortzug, Anm. d. Ü.) fahren.
Interessanterweise steht im Fahrplan die Station „Fortschritt“, ein sowjetisches Unternehmen zu dem jene Einrichtungen gehörten, in denen biologische Waffen entwickelt und gebaut wurden.
Züge halten dort aber nicht. Aber die örtliche Bevölkerung sieht nichts Geheimnisvolles daran. Man sagt, dass zu den sich heute an Stelle von „Fortschritt“ befindenden Unternehmen (sie stellen Kunstdünger und Spiritus her), die Arbeitnehmer*innen mit dem Bus fahren.
Informationen über die Fabrik „Fortschritt“ kann man im Stepnogorer Museum finden.
„Unsere berühmte Fabrik „Fortschritt“, die Futter für die Tiere und Vitamine für die Pflanzen produzierte, stellte auch Schampoo, Essig und Lotion her. Das alles produzierte man in unserer Fabrik“, erzählt uns Museumsmitarbeiterin Nadeschda Lyszowa.
Auf die Frage, wo denn die Abteilung über die biologischen Waffen sei, zuckt Nadeschda Dimitrijewna mit den Schultern: „Wir reden überhaupt nicht darüber, diese Industrie war geschlossen und wir haben von dort nichts. Wir wissen, dass es unter der Erde war. Um dorthin zu kommen gab es bestimmte Wege. Das ist alles, was wir wissen.“
Aus offenen Quellen ist bekannt, dass in den Geheimlaboren des Komplexes das Sibirische Geschwür (ein Milzbranderreger, Anm. d. Ü.) in Massenproduktion hergestellt wurde und dass man auch andere biologische Waffen wie die „Variante U“ des Marburg-Virus testete.
Aus denselben offenen Quellen ist auch bekannt, dass die Anlage mit Unterstützung der USA unschädlich gemacht wurde.
„Es kamen Wissenschaftler*innen, die haben alles mit Schweißgeräten rausgeschnitten. Dort gibt es Keller in 90 Meter Tiefe, eine ganze Stadt. Dann haben sie alles rausgeholt und anschließend geflutet“, erzählt der Anwohner Viktor.
Beim Bürgermeister: „Eine raue Stadt“
Dies ist der Blick aus dem Fenster der Stepnogorer Bürgermeisters Anuar Kumpekejew. Der junge und mobile Beamte ist gerne bereit auf einige unserer Fragen zu antworten, darunter Fragen, die die Geschichte mit der Entwicklung biologischer Waffen an diesem Ort betreffen.
„Dank eines internationalen Programms zwischen den USA und der Republik Kasachstan wurde alles demontiert, kultiviert und den zivilen Behörden unterstellt. Heute arbeiten dort private und halbstaatliche Unternehmen. Dort gibt es das Staatsunternehmen „Nationales Zentrum für Biotechnologie“. Sie beschäftigen sich mit Wissenschaft, die auf Landwirtschaft und Tiermedizin ausgerichtet ist, also Biotechnologie“, sagt der Bürgermeister.
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Anuar Kumpekejew ist 32 Jahre alt. Er hat in Moskau studiert und einen Master der Universität Bradford in Großbritannien. Nachdem er in verschiedenen Positionen in Astana gearbeitet hatte, kam der Bolaschak-Stipendiat (Bolaschak, zu deutsch Zukunft ist ein staatliches Stipendienprogramm, Anm. d. Ü.) 2012 nach Stepnogor um den Posten des stellvertretenden Bürgermeisters zu bekleiden. 2015 wurde er dann selbst Bürgermeister.
„Dies ist eine raue Stadt, eine Bergarbeiterstadt. Es gibt es gutes Sprichwort: „Der Allmächtige gab uns zwei Ohren und einen Mund, damit wir mehr zuhören als reden“. Genauso ist es mit dieser Stadt. Sie akzeptiert Taten mehr als Worte“, sagt Kumpekejew als er die Frage beantwortet, ob es für ihn nicht schwierig gewesen sei die Leitung der Stadt zu übernehmen.
„Das Straßennetz war zu 90 bis 100 Prozent verschlissen. Circa 3 Milliarden haben wir darin investiert“, erzählt der Bürgermeister. Nach seinen Worten hatte die Stadt zwei Probleme: einen Mangel an Kindergärten und einen Mangel an Wohnraum. Das erste Problem, so sagt er, sei gelöst. Es bleibt noch die Leute mit Wohnungen zu versorgen.
„Das Wohnungsproblem lösen wir jetzt. Nur halt nicht mit Siebenmeilenstiefeln, aber wir haben den Stillstand überwunden“, sagt der Bürgermeister.
Nach seinen Worten gibt es keinen Bevölkerungsschwund. Derzeit zieht niemand aus der Stadt weg und man kann einen Zuwachs der Bevölkerung beobachten.
Renat Taschkinbajew und Turar Kasangapow
Tengrinews.kz
Aus dem Russischen von Robin Roth