Nadine Boller, gebürtige Schweizerin, ist Dokumentarfilmerin mit einer Liebe für Kirgistan. Ihr letzter Film „Erkinai – die Halbnomadin“ wurde auf Kika, dem deutschen Kinderkanal, gesendet. Für ihre neuesten Recherchen verbrachte sie mit ihrer kirgisischen Freundin Mahabat ein paar Tage in deren Heimatdorf Ak-Talaa, im Zentrum Kirgistans gelegen. In ihrer sechs-teiligen Serie gibt Nadine einen sehr persönlichen Einblick in die Kultur und Geschichte des kleinen Dorfes und lässt uns hautnah dabei sein.
Teil 1: Mairamgül Eje, ihre Familie und die liebe Religion
Teil 2: Maraimbek, Gülzat und der Brautraub
Teil 3: Was das Eurohaus mit Korruption zu tun hat
Teil 4: Die Lebensrealität im Dorf
Teil 5: Verbrechen, Tod und Sühne
Mahabat hat gerade erfahren, dass ihre alte Schulfreundin Meerkül jetzt als Nomadin lebt. Im heutigen letzten Teil der Reportageserie begleiten wir Mahabat zu ihrem Widersehen mit Meerkül, die weit weg vom Dorf auf dem Land lebt.
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Die Fahrt in dem hellgrünen LADA von 1968 ist holprig und staubig. An mehreren Stellen dachte ich „Das war’s. Jetzt müssen wir schieben.“ Aber zu meiner Überraschung zieht Mairambek seine Schrottkarre immer wieder sauber aus dem Schlamm oder Flussbett heraus. Er hat uns netterweise seinen Dienst als Chauffeur angeboten, weil er uns sein Auto nicht leihen wollte. „Dieses Ding kriegt ihr ohne mich niemals den Berg hoch“, brüllt er durch den Motorlärm. Wir schweigen nur und klammern uns umso mehr an den Sitzen fest.
Wiedersehen mit Meerkül
Nach knapp einer Stunde gefühlt im Cocktail-Shaker erreichen wir die Hochebene, wo zwei weiße Jurten aus der goldgelben Landschaft herausstechen – in der einen scheint der Ofen zu brennen. Ein Hund rennt bellend unserem Auto entgegen und begleitet uns, bis wir zu einem Halt kommen.
Aus der beheizten Jurte kommt eine Frau mit buntem Kopftuch und einem Kind an der Hand heraus und schaut neugierig durch die Fenster des überhitzten LADAs. Schnell erkennt sie Mairambek. Den sieht sie schließlich jeden Winter. Mahabat muss erstmal aussteigen und sich vorstellen, bis endlich ein Gesichtsausdruck der Wiedererkennung sich bei der Frau zeigt. Sie lacht und umarmt Mahabat. „Mehr als zwanzig Jahre ist es her!“, ruft sie. „Kommt rein! Lass uns Tschai trinken!“
Ich wollte ihr folgen, aber Mahabat hielt mich am Oberarm zurück. „Siehst du? Das hätte ich sein können“, flüstert sie. „Wenn ich nie in die Stadt gezogen wäre, wäre ich heute wahrscheinlich an ihrer Stelle. Ich wäre die perfekte Kandidatin für eine nomadische Hirtenfrau gewesen. Ich kannte mich mit den Tieren aus und konnte hart arbeiten. Da hätte sich jeder Hirte um mich gerissen. Schon krass wenn man bedenkt, wo ich heute bin.“ Allerdings.
Meerküls zuerst unfreiwilliges Nomadenleben
Die Frau heißt Meerkül. Mahabat erinnert sich, dass sie Verkäuferin werden wollte und möchte nun wissen, was denn passiert sei. „Naja, ich wurde ein paar Wochen nach dem Schulabschluss entführt. Da war ich ja erst siebzehn Jahre alt. Ich kannte ihn nicht und als ich erfahren habe, dass er Hirte ist, wollte ich erst recht nicht bleiben. Wer will denn schon abgeschieden in einer Filzhütte wohnen?!“, lacht sie.
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„Aber nach langen Gesprächen mit ihm, seiner Familie und meinen Eltern wurde ich dazu überredet, dem neuen Lebensstil eine Chance zu geben. Der Anfang war schwer. Vor allem mit der Einsamkeit hatte ich zu kämpfen. Tagsüber war mein Mann ja mit den Tieren unterwegs. Aber nach und nach habe ich mich daran gewöhnt und als wir Kinder kriegten, war ich auch nicht mehr alleine. Jetzt gefällt es mir ganz gut. Ich kann mir nur schwer wieder ein Leben komplett im Dorf vorstellen.“
Hinter der Jurte sind fünf Fohlen an einem Seil, das dem Boden entlang gespannt ist, angebunden. Ihre Köpfe werden an kurzen Leinen tief gehalten, so dass sie beinahe nicht stehen können. „Das machen wir so, damit sie die Zitzen ihrer Mütter nicht erreichen.“
Vier mal am Tag muss Meerkül die Stuten melken, damit sie Kumis– gegorene Stutenmilch – produzieren kann. Das ist das Nationalgetränk Kirgistans, welches sich beim ersten Schluck eher säuerlich zeigt mit einem Nachgeschmack von Erbrochenem im Abgang. Aber nach ein paar Tassen lernt man es zu mögen. „Kumis ist unglaublich gesund. Es wirkt entschlackend und stärkt das Immunsystem.“ Ich nicke nur und trinke meine Tasse aus.
Das war unser letzter Teil von „Eine Tour durch Ak-Talaa“ mit Nadine Boller. Alle anderen Teile der Reportagereihe findet ihr in unserem Archiv.
Nadine Boller
Gastautorin und Dokumentarfilmerin, aktuell mit dem Film „Erkinai – Die Halbnomadin“