Seit Dezember letzten Jahres scheinen sich die Beziehungen zwischen Kirgistan und Russland zu verschlechtern. Eine Tendenz, die die Worte des kirgisischen Präsidenten Almasbek Atambajew während der traditionellen Sommerpressekonferenz am Issikkölsee weiter bestätigen. Ist es das Ende einer seit 2011 andauernden Annäherung Kirgistans an Russland?
„Es gibt in Russland Minister, die Kirgistan nicht (mehr) als eine Kolonie beschreiben, sondern als ein zweitrangiges Land.“ Solche klaren Worte des Präsidenten Kirgistans Almasbek Atambajew lassen einen Bruch in den kirgisisch-russischen Beziehungen durchscheinen.
Sie wurden am 1. August, im Laufe der sommerlichen Pressekonferenz des Präsidenten geäußert. Traditionell dreht sich das Treffen mit den Journalisten um eine ganze Fülle von Themen. In diesem Jahr stand die Außenpolitik im Vordergrund.
Eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Kirgistan und Russland
Kurz nach seiner Wahl im Herbst 2011 kündigte Atambajew die Schließung des US-amerikanischen Militärstützpunktes am Flughafen Manas in der Nähe der Hauptstadt Bischkek an. Im Juli 2014 zogen die amerikanischen Soldaten aus. Nach 13 Jahren, in denen Kirgistan lange das einzige Land weltweit mit einem russischen und einem amerikanischen Stützpunkt war, wurde dies als ein Zeichen einer außenpolitischen Neuorientierung zum traditionellen Verbündeten Russland gesehen.
Doch seit Anfang 2016 scheint die kirgisische Außenpolitik Russland den Rücken zu kehren. Die Russische Wirtschaftskrise hat Zentralasien mit sich gezogen, insbesondere durch die schwindenden Rückzahlungen der Arbeitsmigranten, eine wesentliche Ressource für die regionale Wirtschaft.
Rückzahlungen aus RU anch KG
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Der Startpunkt: Keine russischen Gelder für Staudämme
Wegen dieser Krise hat Moskau im Dezember erklärt, dass es nicht in der Lage sein wird, mehrere geplante Staudämme auf dem Fluss Naryn zu bauen. Dies nutzte Atambajew, um die entsprechenden bilateralen Verträge für ungültig zu erklären und sich allmählich von Russland zu distanzieren.
Der Bau dieser Wasserkraftwerke war von großer Bedeutung für Kirgistan, dessen Regierung seine wirtschaftlichen Entwicklungspläne auf diese schon zu Sowjetzeiten angedachten Projekte basierte.
Atambajew erklärte während der Pressekonferenz, dass die Verträge zum Bau der Wasserkraftwerke durch Russland „vom kirgisischen wie auch vom russischen Parlament ratifiziert [wurden]. Im Anschluss haben sie aber nichts gemacht, ganz offen: Das ist Sabotage. Ich habe mit Präsident Putin darüber gesprochen und hege keinen Groll gegen ihn. Denn er hat mich vor dem Ende der Verträge oft angerufen. Nur der Wirtschaftsminister fand alle vier Mal, als er zum Gespräch mit mir eingeladen wurde, neue Ausreden“ – wie die Presseagentur Kyrtag berichtet.
Harte Kritik an Russland
Der Begriff „Sabotage“ und die Klage über immer „neue Ausreden“ von russischer Seite sind sehr explizit. Sie bezeichnen ein seit Dezember 2015 neu eingeschlagenes Verhältnis des kirgisischen Präsidenten zu Russland.
Kritik äußerte der kirgisische Präsident auch zum Anlass des letzten Gedenktages an das Ende des zweiten Weltkriegs, am 9. Mai. Atambajew verkündete, dass „faschistische Skinheads auf dem Vormarsch“ in Russland seien. Der Begriff, der von russischer Seite vor allem in Bezug auf die Gegner in der Ukraine genutzt wird, ist bezeichnend.
Bei der Pressekonferenz hat der Präsident bezüglich Russland natürlich nicht nur über Staudämme gesprochen. Er hatte auch ein paar harte Worte für eines der wichtigsten Projekte der kirgisisch-russischen Zusammenarbeit: Die Integration in die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU).
Die Eurasische Wirtschaftsunion: „Konkurrenz“ statt Zusammenarbeit
Atambajew war lange der erste Verfechter der Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion, in der er ein Mittel zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums in Krisenzeiten sah. Diesmal war der kirgisische Präsident jedoch viel kritischer hinsichtlich des Erfolgs dieses Projektes.
Er kam auf die vielen Zollstreitigkeiten innerhalb des gemeinsamen Marktes zurück und prangerte die von Russland nicht gehaltenen Versprechen an, wie die Kyrtag berichtet:
„Einer der Mitgliedstaaten hat uns viel Geld für den Bau von phytosanitären und veterinären Laboratorien versprochen, aber hat uns keinen Kopeken gegeben. Danach hat uns dasselbe Land Grenzkontrollen vorgesetzt. […] Man könnte glauben, dass sie absichtlich Hilfe versprochen haben und nicht gegeben haben, damit wir nicht konkurrenzfähig werden. Jeder Markt bedeutet Konkurrenz.“
In einer weiteren Bemerkung zu der Organisation, die anscheinend mehr Hürden geschaffen als beseitigt hat: „Auch der Einstieg in die EAWU beseitigt nicht bestimmte künstliche Hürden, die manche „verbrüderte Länder“ manchmal aufstellen.“
So wurde laut Atambajew die Integration in die EAWU „nicht durch das Prinzip ‚Wer wird der Beste?‘, sondern nach dem Prinzip ‚Wer wird der Schlechteste?‘“ getrieben. Eine radikale Änderung im Vergleich zu vorherigen Äusserungen des kirgisischen Staatschefs zur EAWU, einem zentralen russischen Vorhaben in Zentralasien.
Korruptionsvorwürfe gegen den „Verwalter der russisch-kirgisischen Beziehungen“
Ein weiterer Fall schlägt einen Schatten auf die Beziehungen zwischen Kirgistan und Russland: Die Festnahme von Andrej Beljaninow wegen Korruption. Der Leiter des mächtigen russischen Zolldienstes war lange eine Schlüsselfigur in den kirgisisch-russischen Beziehungen und Co-Präsident der russisch-kirgisischen Regierungskommission.
Laut der Redaktion des Internetportals Zanoza.kg ist er in Diplomatenkreisen seit über zehn Jahren als der Verwalter der Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern bekannt. Als Leiter des russischen Zolldienstes hat er den Schmuggel von chinesischen Waren über Kirgistan nach Russland mit der Unterstützung des kirgisischen Zolls überwacht.
In vielen ehemaligen Sowjetstaaten gilt der Posten als Leiter des Zolls als eines der ertragreichsten öffentlichen Ämter, da er Zugriff auf die vielen Korruptionsgelder an den Grenzen hat.
Auf die Frage nach einer Stellungnahme zu der Festnahme von Beljaninow erklärte Atambajew sein Bedauern. Beljaninow sei eine der Personen, die sich am aktivsten für die Wirtschaftsentwicklung Kirgistans einsetzten. Der Präsident betonte die Ungerechtigkeit seiner Festnahme und den Schaden, den sie für Kirgistan bedeuten kann. Dieser Fall scheint das Herz der Beziehungen zwischen Kirgistan und Russland zu treffen. Er nimmt einen der wohl besten Kontakte des kirgisischen Präsidenten aus den russischen Behörden.
Zurück zu einer multivektoriellen Außenpolitik?
Atambajews Erklärungen bei der Pressekonferenz bestätigen die seit Anfang 2016 aufgetretenen Schwierigkeiten in den kirgisisch-russischen Beziehungen. Aber auch wenn sich diese Abwendung von Russland bewahrheiten sollte, bedeutet dies nicht automatisch eine Annäherung an die Vereinigten Staaten.
Wie die lokale Redaktion der russischen Presseagentur Sputnik berichtet, kritisierte der Präsident auch die amerikanische Haltung zum Fall des nach den Unruhen im Juni 2010 verurteilten usbekischen Journalisten Asimschon Askarow:
„Als Asimschon Askarow zu einer lebenslagen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, erhielt die damalige Präsidentin Rosa Otunbajewa eine Medaille des Amerikanischen Außenministeriums. Als wir ihrer Militärbasis „Go Home“ sagten, verabreichten sie Askarow eine Medaille. In den Vereinigten Staaten tötet die Polizei zwei Menschen am Tag, vor allem dunkelhäutige. Bei uns würde es mehr Unmut geben, wenn die Polizei unsere Bürger umbringen würde.“
Nachdem das Amerikanische Außenministerium im Juli vergangenen Jahres Askarow einen Menschenrechtspreis verlieh, erklärte die kirgisische Regierung das 1993 verabschiedete grundlegende bilaterale Kooperationsabkommen mit den Vereinigten Staaten für ungültig. Ein neues Abkommen ist seitdem in Verhandlung.
Dabei scheint sich die kirgisische Außenpolitik mit dem historischen Besuch der Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. und 14. Juli weiter gen Westen zu wenden. Allerdings nicht zu den Vereinigten Staaten und der Türkei, beides langfristige Akteure in Zentralasien. Nach dem vereitelten Putschversuch in der Türkei reagierte die kirgisische Regierung mit Abneigung gegenüber den Forderungen der Türkei, gegen Institutionen vorzugehen, die mit Fethullah Gülen in Verbindung gebracht werden.
Den türkischen Warnungen, Gülen könnte auch einen Staatsstreich in Kirgistan planen, entgegnete Atambajew, man brauche Kirgistan nicht vorzuhalten, was es tun solle: „Wenn sie so schlau sind, warum haben sie den Putschversuch bei sich verschlafen?“
So kündigt der neue Kurs die Rückkehr zu einer multivektoriellen Außenpolitik an, die sich nicht an einer alleinigen Großmacht orientiert. Es ist aber auch ein Zeichen für die vermehrten Versuche internationaler Akteure, Druck auf die kirgisische Politik auszuüben, wie dies zwischen 2001 und 2011 der Fall war und zu zwei Revolutionen geführt hat.
Wird das relativ demokratische politische System Kirgistans dem Land verhelfen, besser mit diesen politischen und wirtschaftlichen Druckmitteln umzugehen?
Die Redaktion von Novastan.org