In Almaty, an der Kreuzung der Prospekte al-Farabi und Nasarbaev, ist das Museum für zeitgenössische Kunst „Almaty Museum of Arts“ eröffnet worden. Dies ist nicht nur ein neues Kapitel im kulturellen Leben der ehemaligen Hauptstadt Kasachstans, sondern der gesamten Region. Warum dies wichtig ist, wie die Idee zur Gründung des Museums entstand und wessen Werke dort ausgestellt sind, darüber sprach Fergana mit der Kunsthistorikerin Valerija Ibrajewa.
Bis zur „Vorbesichtigung” des neuen Museums am 9. September existierten in Zentralasien keine Museen für zeitgenössische Kunst. Mehr noch, zu Sowjetzeiten gab es auf dem riesigen Territorium Kasachstans nur sieben Museen für bildende Kunst. Mit der Unabhängigkeit kamen zwei weitere hinzu – die staatlichen Gemäldegalerien „wuchsen“ zu Museen heran. Dort wurden historische Gemälde ausgestellt, beginnend mit dem Jahr 1934 bis hin zur zeitgenössischen Kunst, die jedoch nicht wirklich als Contemporary Art verstanden wurde.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Die Kunsthistorikerin Valerija Ibrajewa meint dazu: „Der grundlegende Unterschied zwischen einem Museum für zeitgenössische Kunst und einem klassischen Museum besteht darin, dass ersteres Kunst ausstellt, dokumentiert und erforscht, die in den letzten dreißig Jahren entstanden ist und auf das umgebende Leben reagiert. Wie wir wissen, schuf die Kunst des Sozialistischen Realismus eine illusorische Welt, während der Wert der zeitgenössischen Kunst darin besteht, dass sie das reale Leben mit all seinen Vorzügen und Nachteilen untersucht.“
Von der Idee bis zur Umsetzung
Von der Idee eines Museums für zeitgenössische Kunst bis zu seiner tatsächlichen Eröffnung gingen indes mehrere Jahrzehnte ins Land. „Im Prinzip sammelt jeder Sammler, angefangen bei Tretjakow bis hin zu Guggenheim, zunächst, lagert und bewundert seine Werke zu Hause. Dann wächst die Sammlung und der natürliche Ausweg für einen solchen Sammler ist der Wunsch, ein Museum für sie zu bauen. Die meisten Museen, darunter beispielsweise der Louvre, sind aus Privatsammlungen entstanden“, erzählt Ibrajewa.
Nurlan Smagulov, Geschäftsmann und Mäzen des neu eröffneten „Almaty Museum of Arts“, hatte diese Idee schon vor etwa 20 Jahren; der Grundstein für das Museum wurde 2021 gelegt. Einen Teil der ausgestellten Werke kaufte Smagulov von dem kasachstanischen Sammler Jurij Aleksejewitsch Koschkin, der ebenfalls von einem Museum träumte und dafür sogar ein Gebäude gemietet hatte. Doch damals, in den 1990er Jahren, gab es weder die Ausstattung noch ein großes Kozept dafür – Koschkin hängte einfach Bilder auf und sagte, dies sei ein Museum.
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Jetzt findet alles auf einer ganz anderen Ebene statt. Das Museumsgebäude wurde speziell für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst gebaut. Seine Funktionen unterscheiden sich von denen eines klassischen Museums, da viele technische Besonderheiten eingebaut wurden und die Lagerung einzelner Kunstwerke sehr komplex sei. Und all dies werde gemäss Ibrajewa sehr professionell auf dem Niveau des internationalen Museumsmanagements durchgeführt.
Mischung aus internationalen und kasachstanischen Kulturschaffenden
Ausgestellt sind zunächst Werke der Klassiker der zeitgenössischen Weltkunst wie Yayoi Kusama, Anselm Kiefer und Bill Viola, deren Arbeiten in Museen auf der ganzen Welt zu sehen sind.
Der Abschnitt zu Kasachstan umfasst zwei Ausstellungen. Eine davon heißt „Qonaqtar“, was aus dem Kasachischen übersetzt „Gäste“ bedeutet – es handelt sich um eine Sammlung von Smagulov selbst, dem Gründer des Museums.
Die Kuratorin Inga Lāce aus Lettland gestaltete auf dieser Grundlage eine Ausstellung dazu, wie Traditionen der Gastfreundschaft im modernen Leben genutzt werden. Dort zu sehen ist zum Beispiel ein Werk von Salihitdin Aıtbaev aus den 1970er Jahren – eine der Versionen von „Das Abendessen der Traktorfahrer“. Die Figuren dieses Bildes bieten einander an, sich zu setzen, und zeigen damit echte Gastfreundschaft.

Weitere Werke befassen sich mit Migration, wie Ibrajewa weiter ausführt. In Kasachstan gebe es verschiedene Arten von Migrantinnen und Migranten, zum Beispiel die „Qandasy“ – Blutsverwandte, Kasachinnen und Kasachen, die aus Afghanistan, der Mongolei und anderen Ländern zurückgekehrt seien. Auch Arbeitsmigrierende seien eine nicht zu vernachlässigende Gruppe, vor allem jene, die aus Russland zurückkehren; sie haben jedoch bisher keinen Eingang in die Kunst gefunden.
Die Ausstellung im „Almaty Museum of Arts“ ist die erste, die die gesamte Kunst Kasachstans von den 1960er- und 1970er-Jahren bis hin zu den neuesten Werken präsentiert, zum Beispiel von Dilyara Kaipova mit arabischen Inschriften und von Erbosyn Meldibekov, wo die Gipfel der Berge in Form von zerknitterten Sanitäranlagen dargestellt sind – ein sehr einfallsreicher Kunstgriff.

Ebenfalls im Museum ist eine Einzelausstellung der in Almaty geborenen und aufgewachsenen Almagul Menlibaeva zu sehen. Es handelt sich um eine Retrospektive aus ihren frühen Werken, die von lokalen Sammlern gekauft wurden wie auch aus aktuellen Werken. Neben Malerei sind auch Video und Installationen von ihr präsentiert, was die Ausstellung vielschichtig und technisch vielfältig macht. Seitdem sie an internationaler Bekanntheit gewonnen hat, lebt und arbeitet Menlibaeva in Berlin und Brüssel.
Als weitere bekannte Künstlerinnen und Künstler aus Kasachstan nennt Ibrajewa Said Atabekov, Saule Dyusenbina, Elena und Wiktor Worobjow, Saule Suleımenova und Quanyş Bazargalıev. Die zeitgenössische Kunst Kasachstans scheint in ihren Augen auf dem Weltmarkt angekommen: „Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass sie Kunst machen, die für die Weltbühne interessant genug ist. Was den schrittweisen Eintritt in den Kunstmarkt angeht – das hat nicht erst jetzt begonnen. Wir sind bereits vor zehn Jahren auf der Landkarte der modernen Weltkunst erschienen und spielen dort natürlich nicht die erste Geige, aber wir spielen irgendwo die Triangel.“

Erste Konkurrenz in Sicht?
Fast zeitgleich mit dem „Almaty Museum of Arts“ wurde das Zentrum für zeitgenössische Kultur „Tselinny“ eröffnet. Dieses Museum ist ebenfalls ein riesiges Gebäude, entstanden durch den bekannten Oligarchen Qaırat Boranbaev. Mögliche Konkurrenz für das „Almaty Museum of Arts“?
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Ibrajewa meint dazu: „Die Aufgabe eines Museums ist es, zu bewahren, zu erforschen und zu zeigen – und zwar Werke, die vom Zeitgeist geprägt sind. Sie müssen irgendwo an Ausstellungen, in Galerien, auf Biennalen präsentiert werden und werden anschliessend im Museum archiviert. Das „Tselinny“ ist hingegen darauf ausgerichtet, den künstlerischen Prozess direkt zu unterstützen; seine Aufgabe besteht nicht darin, zu bewahren, zu erforschen und auszustellen, sondern zu schaffen und den künstlerischen Prozess voranzutreiben. Für die Stadt Almaty ist das ein sehr gelungenes Tandem. Wir hoffen, dass diese beiden großen Institutionen unseren künstlerischen Prozess zu ungeahnten Höhen führen werden.“
Anna Kozyreva für Fergana News
Aus dem Russischen (und überarbeitet) von Michèle Häfliger
In Almaty eröffnet das erste Museum für zeitgenössische Kunst Zentralasiens